Die St. Galler Kantonsregierung will aus Kostengründen fünf der bisher neun Spitäler des Kantons schliessen. An den betroffenen Standorten soll es nur noch Notfallzentren geben. Im Interview in der Sendung «Echo der Zeit» von Radio SRF erklärt Jérôme Cosandey, dass dadurch nicht nur Kosten reduziert, sondern auch die Behandlungsqualität verbessert werden kann.

Simone Hulliger, SRF: Freuen Sie die Pläne der St. Galler Regierung?

Jérôme Cosandey: In der Schweiz haben wir ein Überangebot an Spitälern: 99,8 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner erreichen mit dem Auto innert 30 Minuten ein Spital, drei Viertel der Bevölkerung können dabei sogar aus acht verschiedenen Spitälern auswählen.

Die Erfahrung zeigt aber, dass das Volk Spitalschliessungen nicht goutiert…

Das ist korrekt. Es ist aber auch so: Als Prämienzahler hätte man gerne weniger Spitäler, dann würden die Gesundheitskosten nicht so stark steigen. Doch als Kranker möchte man ein Spital in der Nähe haben. Dieses Dilemma können wir nicht lösen, solange Nähe mit Qualität gleichgesetzt wird. Gerade für komplexere chirurgische Eingriffe sollte man bereit sein, ein Spital aufzusuchen, das auch etwas weiter entfernt ist. Dafür führen dort der Chirurg und sein Team nicht nur ein paar Dutzend, sondern Hunderte solcher Eingriffe pro Jahr durch. Wichtig ist, dass man überall in der Nähe eine Notaufnahme hat, wo Patienten im Notfall sehr schnell stabilisiert werden können. Anschliessend können sie in ein spezialisiertes Zentrum überführt werden. Die Spezialbehandlungen sollten an wenigen Standorten fokussiert werden.

«Man muss die Gesundheitsversorgung über die Kantonsgrenzen hinaus betrachten.» (Camilo Jimenez, Unsplash)

Wenn ein Kanton ein Spital schliesst, streicht er Stellen und Steuereinnnahmen. Er schadet sich also selber…

Nach dieser Logik könnte man auch die Zahl der Beamten vergrössern und behaupten, Stellen geschaffen zu haben. Doch wie Beamtenstellen sind auch Spitäler zumindest zum Teil durch Steuergelder finanziert. Es wäre besser, die Steuerlast zu senken und die Menschen entscheiden zu lassen, wie sie ihr Geld ausgeben wollen. Zudem bleibt die Spitaldichte, auch wenn im Fall St. Gallen vier von neun Spitälern geschlossen werden, in der Region gross: Es gibt ein Kantonsspital in Winterthur, eins in Chur, auch Zürich ist nicht weit entfernt. Deshalb: Man muss die Gesundheitsversorgung über die Kantonsgrenzen hinaus betrachten.

Auch andernorts werden ähnliche Pläne wie in St.Gallen geschmiedet. Kommt da schweizweit etwas in Bewegung?

Die Spitäler sind extrem unter Druck. Wegen des technischen Fortschritts braucht es immer mehr und teurere Geräte, ausserdem werden mit der Technisierung die Aufenthalte in den Spitälern immer kürzer. Das ist gut für die Patienten, aber die Spitäler haben dadurch Überkapazitäten. Auch gibt es politischen Druck, immer mehr Behandlungen ambulant durchzuführen, ohne längeren Spitalaufenthalt. Die Spitäler müssen untereinander also kooperieren. Eine Strukturbereinigung ist unausweichlich. Sei es durch Fusionen oder Spezialisierungen.

Ist der Kanton St. Gallen also ein Vorreiter in dieser Entwicklung?

Speziell in St. Gallen ist, wo der Kanton Eigentümer der Spitäler ist. Deshalb jetzt dieser politische Entscheid zur Veränderung. In anderen Regionen, wo die Spitäler mehr Autonomie geniessen, ist der Prozess bereits in Gang gekommen. In den nächsten Jahren wird sich die Entwicklung schweizweit noch beschleunigen.

Das Gespräch führte Simone Hulliger für die Sendung «Echo der Zeit» auf Radio SRF vom 23.10.2019.