Seit dem Volksentscheid zur 13. AHV-Rente herrscht Unruhe im Bundesbern. Zusätzliche Lohnbeiträge oder Mehrwertsteuerpunkte, die Einführung einer Mikrosteuer auf Finanztransaktionen: Die Vorschläge zur Finanzierung der neuen Ausgaben sprudeln aus allen Rohren. Vor allem aber wird immer wieder auf die Dringlichkeit hingewiesen, bis 2026 eine neue Finanzierungsquelle zu finden. Doch warum diese Eile?
Die Befürworter der Initiative haben im Abstimmungskampf immer wieder betont, dass der AHV-Fonds gemäss den Finanzperspektiven des Bundesamtes für Sozialversicherungen weiterwachsen wird, und zwar von knapp 50 Milliarden Franken im Jahr 2023 auf rund 68 Milliarden Franken im Jahr 2030. Ein Anstieg, der nach Ansicht der Reform-Verfechter ausreichen würde, um die vier bis fünf Milliarden Franken jährlich zu sichern, die zur Finanzierung der Mehrausgaben erforderlich sind. Ist mit dem AHV-Fonds die Lösung also bereits gefunden?
Bund ab 2026 betroffen
Der AHV-Fonds ist kein Instrument zur langfristigen Finanzierung des Sozialwerkes. Er ist vielmehr eine Art Puffer, der die Rentenzahlungen auch dann sicherstellen soll, wenn die Einnahmen die Ausgaben desselben Jahres nicht decken. Die Höhe des AHV-Fonds ist also vergleichbar mit dem Wasserstand in einer Badewanne, der auch dann stabil bleiben muss, wenn der Abfluss aus dem Siphon (Rentenzahlungen) nicht mehr dem Zufluss aus dem Hahn (Lohnbeiträge und Bundesbeitrag) entspricht. Ende 2022 garantierte der «Wasserstand» 99,8% der jährlichen AHV-Ausgaben, selbst wenn der Hahn plötzlich zugedreht worden wäre.
Kurzfristig allerdings kann der Fonds den Bund vor massiven Mehrbelastungen nicht bewahren. Der Grund dafür liegt im AHV-Gesetz: Gemäss Artikel 103 ist der Bund verpflichtet, 20,2% der AHV-Ausgaben zu übernehmen. Da im Jahr 2026 die 13. Rente vier Milliarden Franken kosten wird, muss der Bund zusätzlich 800 Millionen Franken beitragen. Ohne gesetzliche Anpassung, und wenn das Parlament die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse einhalten will, müssen diese Millionen in anderen Bereichen des Bundeshaushalts eingespart werden.
Das Dessert vor dem Hauptgang bezahlen?
Trotzdem darf die Dringlichkeit nicht den Blick für die gesamten Herausforderungen der AHV verstellen. Die 13. Rente ist nur eine von vielen.
Bereits heute muss die nachhaltige Finanzierung der «ersten zwölf Renten» gesichert werden, denn die Pensionierung der Babyboomer (und damit Mehrkosten und Mindereinnahmen) führt ab 2030 zu einem strukturellen Defizit der ersten Säule.
Sich überstürzt um die Finanzierung der 13. Rente zu bemühen, ohne Rücksicht auf die nachhaltige Finanzierung der ersten zwölf Renten zu nehmen, ist wie darüber zu streiten, wer das Dessert bezahlt, bevor die Rechnung für den Hauptgang beglichen ist.
Finanzielle und gesetzliche Herausforderungen
Die nachhaltige Finanzierung der AHV ist nicht das einzige politische Problem. Nach dem Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Jahr 2022 muss die Schweiz nun auch ihre Gesetzgebung anpassen, um Männern im Falle einer Verwitwung die gleichen Leistungen zu garantieren wie Frauen. Ein entsprechender Vorschlag des Bundesrates sieht vor, einerseits dem überlebenden Ehegatten unabhängig vom Geschlecht die gleichen Leistungen zu garantieren, andererseits aber auch unverheirateten Eltern dieses Recht zuzugestehen, sofern sie Kinder unter 25 Jahren haben. Im Gegenzug zu dieser Leistungsausweitung werden die Renten für Witwen und Witwer unter 55 Jahren und ohne Kinder zwei Jahre nach dem Tod des Ehepartners ausgesetzt.
Angesichts des umfangreichen Reformbedarfs, um die nachhaltige Finanzierung bestehender Rentenleistungen sowie der neuen 13. Rente sicherzustellen und das EGMR-Urteil zu respektieren, ist ein koordiniertes und kohärentes Vorgehen erforderlich. Das Parlament muss einen ausgewogenen Kompromiss finden, um diese drei Ziele zu erreichen. Ein Schnellschuss, der nur die Finanzierung der 13. Rente adressiert, wäre daher kontraproduktiv. Es braucht einen ganzheitlichen und strukturellen Ansatz.
Befristete Verwendung des AHV-Fonds
Wie soll der Spielraum für eine intelligente Reform erhalten und gleichzeitig die finanziellen Vorgaben für 2026 eingehalten werden? Eine Lösung wäre die Flexibilisierung von Art. 103 des AHV-Gesetzes. Der Bund würde weiterhin 20% der heute geltenden gesetzlichen Leistungen der AHV übernehmen. Art. 103 müsste aber so angepasst werden, dass der Bund einen Teil der 13. Rente – z.B. die Hälfte oder zwei Drittel – aus dem AHV-Fonds finanzieren könnte. Letzterer wurde schliesslich gerade dafür geschaffen, um der Politik Zeit zu geben, auf Ungleichgewichte zwischen Einnahmen und Ausgaben zu reagieren. Es widerspräche der Idee des Erfinders, ihn jetzt nicht anzuzapfen.
Gleichzeitig geht es aber auch nicht darum, «die Badewanne zu leeren», um obige Analogie aufzugreifen. Der Fonds ist nicht nur eine finanzielle Reserve, sondern er ist auch ein Garant für die Stabilität und damit für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die erste Säule.
Sollte das Parlament beschliessen, den «Puffer» kurzfristig zu reduzieren, muss es sich gleichzeitig verpflichten, ihn innerhalb eines verbindlichen Zeitplans wieder aufzufüllen. So könnte beispielsweise der Anteil der 13. Rente, der aus dem AHV-Fonds finanziert werden darf, jährlich um ein Fünftel gesenkt werden. So würde der Beitrag des Bundes für die 13. Rente nach fünf Jahren vollständig aus dem ordentlichen Haushalt und nicht mehr aus dem AHV-Fonds finanziert.
Mit einer Änderung von Artikel 103 und der Verpflichtung, den AHV-Fonds mittelfristig wieder aufzufüllen, könnte das Parlament kurzfristig Flexibilität gewinnen, um die Bundesfinanzen zu schonen und sich fünf Jahre Zeit nehmen, eine kohärente Reform zu entwickeln, ohne die Reserven der ersten Säule langfristig zu verknappen.