Jetzt, wo der Sommer endlich da ist, wiederholt sich das alljährliche Ritual des Kampfes gegen die zusätzlichen Kilos auf den Hüften. Die Ursachen sind bekannt – Schokolade, Raclette mit Freunden, ein gutes Glas Wein: All diese Versuchungen, die uns ein Jahr lang das Leben versüsst haben, rächen sich nun.

Analog dazu hat der Nationalrat am Mittwoch, 9. Juni 2021, einen Beschluss gefasst, der einen schwierigen Start in den Sommer verspricht. Mit dem Griff in die Süssigkeitendose der Schweizerischen Nationalbank (SNB) zur Finanzierung der AHV hat eine Allianz aus SVP, SP und Grünen die Büchse der Pandora geöffnet, welche die Politik nicht mehr wird schliessen können. Im Gegensatz zu den oben erwähnten süssen Versuchungen ist das Geld der Nationalbank eine harte Droge. Einmal süchtig, ist es fast unmöglich, davon wieder loszukommen. Die Mitglieder dieser unheiligen Allianz können zwar beteuern, dass die jährliche Zahlung der SNB von ein bis zwei Milliarden Franken zeitlich begrenzt sein wird, solange der Negativzins in Kraft bleibt, wie es in der Pressemitteilung der Parlamentsdienste heisst. Aber wie alle Raucher wissen, ist es ein schwieriges Unterfangen, mit dem Rauchen dauerhaft aufzuhören – auch wenn sie behaupten, es jederzeit zu können. Tatsächlich ist es ein Kunststück, das nur wenigen gelingt.

Die SNB hat einen klaren Auftrag: die Preisstabilität unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwicklung zu gewährleisten (Art. 5 NBG). Nach fast einem Vierteljahrhundert mit sehr niedriger Inflation haben wir die Bedeutung dieses Ziels aus den Augen verloren. Jeder zweite Banker hat in seinem Arbeitsleben keinen Anstieg der Lebenshaltungskosten von mehr als 2% pro Jahr erlebt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass dieses Thema in den Kundengesprächen nicht mehr im Vordergrund steht. Doch mit den Hunderten von Milliarden Dollar, die von den Regierungen zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus bereitgestellt wurden, kehrt das Thema Inflation in die Wirtschaftsmedien zurück. Obwohl unwahrscheinlich, ist ein deutlicher Anstieg der Inflation nicht auszuschliessen.

Zum Sommeranfang ist der Nationalrat der Versuchung erlegen, zur Finanzierung der AHV
bei der Nationalbank zu naschen. (Chelsea Audibert, Unsplash)

In diesem Kontext ist es wichtig, unsere Zentralbank uneingeschränkt und frei handeln zu lassen. Die Bindung eines Teils ihrer Aktivitäten an die AHV-Finanzierung ist der Erfüllung ihres Auftrags abträglich. Es ist umstritten, ob der Zustand der AHV-Finanzen durch ein grösseres Engagement des Bundes verbessert werden sollte. Der Bund kann die direkten Bundessteuern oder die Mehrwertsteuer erhöhen, oder er kann bestehende Ressourcen nutzen, wie z.B. die Einnahmen der SNB (2 bis 6 Mrd. Fr. pro Jahr für Bund und Kantone zwischen 2020 und 2025). Aber dann wird man erklären müssen, dass dieses Geld an anderer Stelle fehlt: in der Verteidigung oder in der Landwirtschaft, Lieblingsbereichen der SVP, oder in der Sozialhilfe oder im öffentlichen Verkehr, die der rot-grünen Linken so am Herzen liegen. Man kann den Einfränkler nur einmal ausgeben.

Andererseits ist die Schaffung einer direkten Finanzierungsbrücke zwischen der SNB und der AHV eine Versuchung, der man unbedingt widerstehen muss. Wenn diese Brücke erst einmal errichtet ist, wird es sehr schwierig sein, sie wieder abzubrechen. Die SNB wird ihre Verpflichtung gegenüber der Sozialversicherung in ihrer Geldpolitik berücksichtigen müssen, was ihren Handlungsspielraum begrenzt und unweigerlich zu Zielkonflikten führt. Ausserdem wird die AHV von der Volatilität der Schweizer Geldpolitik abhängig sein.

Diese Zielkonflikte und Abhängigkeitsrisiken sind nicht nur ein theoretisches Problem, sondern existieren bereits in der Praxis. Die Tabaksteuer trägt derzeit mit mehr als zwei Milliarden Franken pro Jahr zur Finanzierung der AHV bei. Jeder Raucher, der aufhört (oder stirbt), verstärkt das strukturelle Finanzierungsproblem der AHV. Überspitzt formuliert: Das Bundesamt für Sozialversicherungen muss die Präventionsbemühungen des Bundesamts für Gesundheit wohl eher skeptisch betrachten.

Die Schaffung einer zusätzlichen Abhängigkeit für die Finanzierung der AHV ist gefährlich, da der Geldsegen SNB nicht nachhaltig ist. Sie ist auch für die SNB gefährlich, da sie sie von ihrem Kernauftrag ablenkt und ihre verfassungsmässig verankerte Unabhängigkeit verletzt. Der Ständerat wäre daher gut beraten, die Entscheidung der grossen Kammer zu korrigieren und das goldene Eier legende Huhn der SNB-Unabhängigkeit nicht zu verletzen. Mit der SNB-Finanzierung ist es wie mit dem Tabak: Es ist besser, nie damit anzufangen.

Vertiefende Informationen zur SNB und ihrer Unabhängigkeit finden sich auch in der jüngsten Studie zum Thema: Abstandsregeln zur SNB einhalten.