Der demografische Wandel macht den Handlungsbedarf immer dringender: Die Lebenserwartung steigt kontinuierlich – erfreulicherweise! Die Schweiz weist eine der global höchsten Lebenserwartungen aus. Für Frauen liegt sie heute bei 85 Jahren, bei Männern bei 81. Die durchschnittliche Lebensdauer nimmt alle drei Jahre um rund ein Jahr zu. Das wird zur Freude des Konditoreigewerbes zu deutlich mehr runden Geburtstagsfeiern führen.

Schrumpfender Arbeitsmarkt

Vom Jahrgang 2013 werden wahrscheinlich gegen 18% der Männer und fast ein Viertel der Frauen einen 100. Geburtstag feiern können. Zugleich werden aufgrund des tiefen Rentenalters für Männer mit 65 Jahren und für Frauen mit 64 Jahren die Babyboomer als geburtenstarke Jahrgänge in den nächsten Jahren in Pension gehen. Angesichts der steigenden Lebenserwartung ist die Schweizer Altersvorsorge eigentlich ein weltweit einmaliges System einer Frührente für alle – nur wagt dies niemand auszusprechen. Mit dem Austritt der Babyboomer wird der Schweizer Arbeitsmarkt bis 2035 um eine halbe Million Menschen schrumpfen.

Anfangs 2030 wird der AHV-Fonds ohne Reform auf dem Trockenen sitzen. (Wikimedia Commons)

Und was macht die Politik angesichts dieser Entwicklungen? Der federführende Sozialminister glänzt durch eine Reformabstinenz, dass einen das Gefühl beschleicht, die rüstige Rentnergeneration versprühe mehr Dynamik als der verantwortliche Magistrat. Der Zeitplan für eine Reform wird laufend nach hinten geschoben, ganz so, als würde die Lebenserwartung sinken und nicht steigen. Man wartet vorerst den Ausgang der Abstimmung zur gemeinsamen AHV-Steuervorlage ab, die im AHV-Teil eine Art Überbrückungsfinanzierung für das Sozialwerk vorsieht, aber die Altersvorsorge nicht nachhaltig stabilisiert. Bereits 2019 gibt die AHV gegen 1,2 Mrd. Franken mehr aus als sie einnimmt. Anfangs 2030 wird ohne Reform im AHV-Fonds kein Geld mehr bereitstehen. Statt strukturelle Reformschritte einzuleiten, setzt man auf eine weitere Ausweitung der Finanzzuflüsse. Man verdrängt, dass die Fiskalquote mit Zwangsabgaben, also inklusive BVG und KVG, bereits heute bei bedenklichen 42,4% des BIP liegt.

Gewiss, Volksabstimmungen zur Sicherung der Sozialwerke (ab 2030 müsste man von einer dringenden Sanierung sprechen) sind nicht einfach zu gewinnen. Altersabhängige Präferenzen bei der Stimmabgabe sind naheliegend. Das Medianalter der Abstimmenden liegt deutlich höher als das Durchschnittsalter der Bevölkerung. Dieses lag 2015 bei 56 Jahren, bis 2035 dürfte es auf deutlich über 60 Jahre ansteigen. Dazu kommt, dass die Stimmbeteiligung mit dem Alter zunimmt; derzeit erreicht sie ihr Maximum bei den 70-Jährigen. Weitreichende Modernisierungen des Rentensystems, die aufgrund der demografischen Entwicklung dringlich sind, stellen eine direktdemokratische Herausforderung dar, wenn die Stimmbeteiligung nach Alter sich weiterhin so verteilt wie heute.

Dennoch: Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zeichnen sich regelmässig durch eine hohe Reflexionsfähigkeit aus. Der Souverän hat kein Interesse daran, dass zur finanziellen Absicherung der Altersvorsorge zunehmend die Grossmutter gegen den Enkel ausgespielt wird. Eine von Avenir Suisse mit Sotomo durchgeführte Untersuchung ergab denn auch, dass eine Mehrheit der unter 45-Jährigen der Einführung einer AHV-Schuldenbremse zustimmt.

Innovative Modelle im Ausland

Innovative Rezepte finden sich auch ausserhalb der Landesgrenzen: Arbeiten im Alter liegt im Trend, nicht nur bei den Rolling Stones. In vielen europäischen Ländern hat in den letzten Jahren die Erwerbsbeteiligung jenseits des Rentenalters stark zugenommen, oft in reduziertem Pensum. Dazu kommt die Flexibilisierung des Rentenalters. Die Massnahmen variieren von Land zu Land, aber der Mechanismus bleibt im Grundsatz der Gleiche: Die Höhe der Rente sinkt bei einer Pensionierung vor dem gesetzlichen Rentenalter und steigt bei einer Pensionierung danach. Zugleich werden Anreize geschaffen, länger erwerbstätig zu bleiben, zum Beispiel mit einer Teilrente wie in Schweden.

Um die Finanzierung der Schweizer Altersvorsorge zu gewährleisten, braucht es ein gleiches Referenzalter für Mann und Frau. Es sollte keine obere Grenze in Bezug auf das Pensionierungsalter geben. Wer länger arbeiten will, soll auch länger rentenbildend in die Sozialwerke einzahlen können. Jedoch braucht es eine Untergrenze sowie einen automatischen Anpassungsmechanismus an die steigende Lebenserwartung. Zur Vermeidung des Generationenkonflikts gilt es, Prioritäten heute zu setzen und die strukturellen Reformen bei der Altersvorsorge nicht weiter hinauszuschieben.

Dieser Artikel erschien in der Luzerner Zeitung vom 11. Februar 2019.