Zwar ist die Pandemie noch lange nicht überstanden. Doch die gute Nachricht lautet bisher: Aus rein wirtschaftlicher Sicht sind die Schweizer Haushalte bislang glimpflich davongekommen. Die Indikatoren etwa, mit denen üblicherweise die Verfassung des Arbeitsmarkts gemessen wird, lassen nur wenige Anzeichen auf einen unmittelbaren Einfluss der Covidkrise erkennen. Die Erwerbsquote ging während des ersten Lockdowns im Jahr 2020 nur kurz zurück, und der Anstieg der Arbeitslosenquote war mässig und von kurzer Dauer. Selbst die Reallöhne bewegten sich kaum: Laut der schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake) stiegen sie 2020 auf dem Höhepunkt der Krise um 1,5 Prozent. Das Gesamteinkommen der Haushalte, das Löhne, Vermögenseinkommen und Sozialtransfers umfasst, stieg im gleichen Jahr teuerungsbereinigt sogar um 2,7 Prozent.
Dieser positive, wenn auch erst vorläufige Befund gilt natürlich nicht für alle Betroffenen gleichermassen. Denn die Coronakrise hat die Wirtschaftszweige sehr ungleichmässig erfasst. Im Jahr 2020 sank die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden in der Hotellerie und der Gastronomie im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent. In diesem Sektor sowie in den Bereichen Kultur, Unterhaltung und Verkehr liegen die Umsätze noch immer unter dem Normalwert. Andere, wie die IT-Branche, der Onlinehandel oder die öffentliche Verwaltung boomen. Der beobachtete Anstieg des Durchschnittslohns könnte eine Folge davon sein, dass in der Krise ausgerechnet diejenigen Erwerbstätigen vom Arbeitsmarkt verdrängt wurden, die ohnehin in tief entlöhnten Branchen tätig waren.
Nichtdestotrotz hat die Verteilung von Gewinnern und Verlierern die seit der Finanzkrise virulente Debatte um Ungleichheit neu entfacht. Zwar handelt es sich dabei um eine grösstenteils importierte Diskussion. Sie wurde vor allem durch die Entwicklungen in den USA angeheizt, wo tatsächlich in den letzten 25 Jahren eine Zunahme der Ungleichheiten zu beobachten war. In der Schweiz hingegen sind die Lohn- und Einkommensunterschiede weitgehend unverändert geblieben – und zwar seit sie Ende der neunziger Jahre systematisch gemessen werden. Im internationalen Vergleich befindet sich unser Land eher am unteren, «gleicheren» Ende der Rangliste.
Wird die Pandemie also das schaffen, was die Finanzkrise nicht geschafft hat, nämlich die Einkommensunterschiede auch in der Schweiz zu vergrössern oder – schlimmer noch – die Armut zu verschärfen?
Allein im Jahr 2020 wurden fast 11 Milliarden Franken für die Kurzarbeitsentschädigung ausgegeben, hinzu kamen zahlreiche subsidiäre Hilfen, z.B. die Verlängerung des Arbeitslosengeldes. Die Sozialleistungen stiegen insgesamt um 21 Milliarden Franken oder 12 Prozent, was etwa 5400 Franken entspricht, die den Schweizer Haushalten im Durchschnitt zusätzlich ausgezahlt wurden.
Sowohl der Staat als auch der Privatsektor haben energisch auf die Coronakrise reagiert. Leider verfügen wir in der Schweiz noch nicht über zuverlässige Daten, die eine Schätzung der Verteilung dieser zusätzlichen Transfers ermöglichen. Im Ausland gibt es jedoch mehrere Studien dazu. Sie zeigen mehrheitlich, dass die Politik zur Unterstützung der Beschäftigung die regressiven Auswirkungen der Pandemie mehr als ausgeglichen hat. Im Klartext: Ohne die staatliche Unterstützung hätte die Pandemie die Einkommensungleichheit deutlich erhöht und die unteren Einkommensgruppen härter getroffen. Berücksichtigt man jedoch die staatliche Unterstützung während der Pandemie, die aus einer Kombination von bestehenden Umverteilungsmechanismen und Sondermassnahmen besteht, wurden die Ungleichheiten nach Steuern nicht erhöht, sondern eher verringert.
Und wie sieht es in Zukunft aus? Hier wird der Beitrag der Unternehmen entscheidend sein. Werden sie nach dem Wegfall der staatlichen Unterstützung in der Lage sein, in die Bresche zu springen? Es ist schwierig, das mit Sicherheit vorauszusagen, aber es gibt gute Gründe, es zu glauben. Noch nie zählte man so viele offene Stellen wie jetzt: Im dritten Quartal 2021 waren beinahe 100’000 Arbeitsplätze unbesetzt, gegenüber 120’000 registrierten Arbeitslosen. Es wäre nicht das erste Mal, dass uns der Schweizer Arbeitsmarkt mit seiner Anpassungsfähigkeit überrascht.