Vorschläge für die Eigenfinanzierung der Alterspflege werden gleich als Verletzung des Generationenvertrags taxiert. Hinter der ideologischen Kritik steckt auch ein Unbehagen in Bezug auf das Altern unserer Gesellschaft.

Die Politik schweigt noch über die Kosten der Alterspflege. Das ist nicht sehr verantwortungsvoll.

Die Politik thematisiert die Kosten der Alterspflege kaum. Das ist nicht sehr verantwortungsvoll. (Bild: Fotolia)

Die Finanzierung der Alterspflege wird heute mehrheitlich von den Krankenkassen und vom Staat geleistet: zwei Finanzierungsquellen, die einen bedeutenden finanziellen Transfer von den Erwerbstätigen zu den Pflegebedürftigen bedingen. Diese heute weitgehend akzeptierte Umverteilung gerät jedoch aufgrund der Alterung der Gesellschaft stark unter Druck. Eine neue Finanzierungsregelung drängt sich auf.

Seniorenorganisationen wehren sich dagegen und erinnern, dass ihre Mitglieder ihren Teil des Generationenvertrags eingehalten haben: Die heutigen Rentner haben viel Zeit und Geld in die Erziehung ihrer Kinder und in die Pflege ihrer betagten Eltern investiert. Nun erwarten sie eine Rendite auf ihre Investition. Doch was zeichnet eine solche aus? Soll jede Kohorte gleich viel erhalten, wie sie selber beigetragen hat oder soll sie das gleiche Engagement wie frühere oder spätere Kohorten leisten?

Wäre die Form der Alterspyramide konstant, bestünden zwischen den Ansätzen keine Unterschiede. Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer verändern jedoch die Altersstruktur massgeblich. Die ägyptische Pyramide entwickelt sich immer mehr zu einer römischen Amphore. Selbst in ihrem optimistischen Szenario schätzt deshalb die Eidgenössische Finanzverwaltung, dass sich die Alterspflegeausgaben bis 2060 auf 3,2 Prozent des BIP verdoppeln werden (2009: 1,6%). Bis dann wird sich das Verhältnis der Erwerbstätigen zu den Hochaltrigen von heute 12:1 um zwei Drittel auf 4:1 reduzieren. Will jeder Senior gleich viel erhalten, wie er selber zeitlich und finanziell investiert hat, wird die Last für die künftigen Aktiven kaum tragbar. Umgekehrt würde die Einhaltung der gleichen «Investitionssumme» pro Kohorte zu drastischen Leistungseinschränkungen führen.

Avenir Suisse schlägt deshalb die Bildung eines individuellen, obligatorischen Pflegekapitals ab Alter 55 vor. Mit diesem Kapital sollen die Pflege und die Betreuung, unabhängig ob zu Hause oder im Heim erbracht, bezahlt werden. Die nicht verwendeten Ersparnisse sollen vererbt werden, um das Pflegeengagement der Angehörigen zu honorieren. Politiker zeigten für den Vorschlag bisher wenig Sympathie und wichen der Diskussion aus.

Diese Reaktion erstaunt kaum: Erstens ist das Thema den Wählern unangenehm. Alle träumen von einem beschwerdefreien Leben bis ins hohe Alter mit einem schlagartigen, schmerzlosen Tod. Die Realität sieht jedoch anders aus. Nur 15 Prozent der Hochaltrigen sterben zu Hause und drei Viertel der 90-Jährigen und älter verbringen den Lebensabend in einem Pflegeheim. Die damit verbundenen Kosten sind immens. Ein durchschnittlicher Heimaufenthalt dauert über zweieinhalb Jahre und kostet – ohne Hotellerie – 134’000 Franken!

Zweitens führt uns der Vorschlag von Avenir Suisse eine unliebsame Wahrheit vor Augen, weil er künftige alterungsbedingte Zusatzkosten bereits in die Prämien einkalkuliert. Kaum überraschend, dass viele Leuten der Status quo billiger und das «Nichtstun» attraktiver vorkommen. Diese Zusatzkosten werden jedoch anfallen, egal ob man dafür bereits heute Geld auf die Seite legt und am Kapitalmarkt investiert oder sie erst morgen via erhöhte Krankenkassenprämien und Steuern finanziert.

Das genaue Ausmass der Alterung und ihre finanziellen Konsequenzen sind noch ungewiss. Der Trend hingegen ist klar: Alle offiziellen Projektionen zeigen deutliche Mehraufwände auf. Die Diskussion über neue Finanzierungsmodelle muss geführt werden. Die Augen zu verschliessen, eine Kerze anzuzünden und zu beten, ist verlockend, aber keine verantwortungsvolle Option.

Dieser Artikel erschien in der «Schweizer Versicherung» vom 01.10.2014.