Die Diskussion rund um die Initiative «AHV plus» hatte zumindest eine gute Seite: Sie machte uns die Funktionsweise unserer Altersvorsorge und die jeweiligen Aufgaben der drei Säulen wieder einmal bewusst. In dieser Kampagne warf die Linke der Rechten immer wieder vor, sie male die finanziellen Zukunftsaussichten der AHV in den schwärzesten Farben. Sie selbst ritt wiederum auf den Problemen herum, die der 2. Säule infolge der schlechten Renditen auf den Kapitalmärkten drohen. Diese vermeintliche Rivalität zwischen den beiden Säulen ist jedoch unsinnig. Allen Vorurteilen zum Trotz besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Finanzierung der AHV einerseits und jener der Berufsvorsorge andererseits. Sie haben mit denselben ökonomischen Herausforderungen zu kämpfen.
Löhne unter Druck
Auch wenn die tiefen Zinsen auf den ersten Blick vor allem die 2. Säule belasten, wäre es falsch, davon auszugehen, dass die AHV gegen diese Gefahr immun ist. Zur Kompensierung der demografischen Entwicklung – das heisst steigenden Zahl von Rentnern im Verhältnis zu den erwerbstätigen Versicherten – verlangt die Finanzierung der AHV nach einer Erhöhung der Lohnsumme. Die Prognosen des Bundesamts für Sozialversicherungen gehen von einem realen Anstieg der Löhne um 0,9% pro Jahr und von einem immer höheren Anteil der Wirtschaftssektoren mit höherer Wertschöpfung aus. Es wäre aber falsch, jetzt ausschliesslich auf die AHV zu setzen, denn dabei verdrängt man die Gründe für die tiefen Zinssätze und denkt vor allem nicht an ihre Auswirkungen auf die Löhne.
Der Rückgang der realen Renditen auf den Kapitalmärkten spiegelt nämlich eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, beispielsweise gemessen in Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Das BIP besteht, vereinfacht ausgedrückt, aus der Summe der in der Schweiz ausgeschütteten Gehälter und Dividenden. Der Anteil des BIP, der in Form von Löhnen oder Dividenden ausbezahlt wird, ergibt sich aus den verschiedenen Nutzungen der beiden Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital.
In der Schweiz kostet das Ausleihen von Kapital fast nichts mehr, seit die Schweizer Nationalbank (SNB) die Negativzinsen eingeführt hat. Die Arbeit hingegen ist angesichts unseres hohen Lebensstandards sehr teuer. In diesem Kontext ist damit zu rechnen, dass die wirtschaftliche Tätigkeit immer stärker automatisiert wird (wegen des günstigen Kapitals) und immer weniger (teure) Arbeitskräfte eingesetzt werden.
Angesichts dieser Entwicklung werden die Wachstumserträge den Produktionsfaktor Kapital immer stärker und den Produktionsfaktor Arbeit immer weniger entlöhnen. Wenn die Wachstumsraten schwach bleiben und die Bedeutung des Kapitals zunimmt, erscheint eine Erhöhung der Reallöhne um 0,9% in der gesamten Wirtschaft eher unwahrscheinlich. Ohne diese Lohnerhöhungen und bei gleichzeitiger Fortsetzung der demografischen Entwicklung wird die Finanzierung der AHV in Zukunft schwierig.
Diversifikation des Risikos
Falls das reale Wirtschaftswachstum tief bleibt oder sich gar noch weiter verlangsamt, werden die Zinssätze und schliesslich auch die Löhne sinken und damit die Finanzierung der 1. wie auch der 2. Säule schwächen. Die Übertragungsmechanismen funktionieren bei einer Verlangsamung der Wirtschaft jedoch für die beiden Sozialversicherungen jeweils anders und ermöglichen daher einen Ausgleich ihrer Finanzierungsflüsse.
Die Kapitalmärkte sind volatil und wirken sich sowohl positiv wie auch negativ sofort auf die Bilanzen der Pensionskassen aus. Die Löhne sind stabiler, da es schwierig ist, sie für bereits angestellte Arbeitnehmende zu senken. Sie können vor allem bei Neuanstellungen nach unten angepasst werden. Die Arbeitgebenden sind sich dieser Asymmetrie bewusst und erhöhen folglich die Gehälter bei einer wirtschaftlichen Erholung nur zaghaft.
Eine kombinierte Finanzierung durch Umlage und durch Kapitalisierung garantiert ebenfalls eine geografische Diversifizierung der wirtschaftlichen Risiken. Die AHV hängt in erster Linie von der Schweizer Konjunktur ab, welche die Lohnentwicklung und somit die Beitragszahlungen bestimmt. Die 2. Säule hingegen tätigt ihre Investitionen weltweit. Dies stellt zum Beispiel ein Risiko dar, wenn die europäische Wirtschaft sich schleppender entwickelt als die schweizerische, kann aber auch eine Chance sein, wenn die Märkte bestimmter Schwellenländer stärker boomen als der Schweizer Markt.
Es erweist sich daher nur scheinbar als weise Entscheidung, alles auf die Karte der 1. Säule zu setzen und die 2. Säule zu vernachlässigen. Damit hat man einerseits das Problem der tiefen Zinssätze nicht gelöst, denn die Ursachen dafür werden sich irgendwann auch auf die Finanzierung der AHV auswirken – und im Vorsorgebereich steht langfristige Planung im Vordergrund. Andererseits würde die Stärkung der einen Säule auf Kosten der anderen bedeuten, dass man auf die Diversifikation der Finanzflüsse und der geografischen Risiken verzichtet, die unsere Altersvorsorge ausmachen und ihr mehr Stabilität verleihen.
Dieser Text ist in der Zeitschrift Schweizer Personalvorsorge, Ausgabe 11/16 erschienen. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.