Frühlingshafte Gefühle im November letzten Jahres: Die meisten in der Schweiz dürften aufgrund der Wahl Joe Bidens zum amerikanischen Präsidenten erleichtert gewesen sein. Worte der Vorsicht, die Hoffnungen auf ein realistisches Niveau zu dämpfen, waren auch Wochen danach nicht statthaft. So kann man die Reaktionen auf ein Interview des Schweizer Botschafters in Washington Ende Januar deuten. Politiker von links bis rechts kritisierten die Aussagen des Diplomaten. Dabei ging es nur darum, in Erinnerung zu rufen, dass die Schweiz nicht auf der oberen Hälfte der langen Agenda von Bidens Administration steht. Unser Land ist weder in Washington noch Brüssel politisches Tagesgespräch, dies entgegen der oftmals medial verbreiteten Meinung in der Schweiz selbst.

Wie geht es weiter mit dem Wirtschaftsabkommen Schweiz-USA?

Eine Reaktion auf das Interview ging gar so weit, ein Wirtschaftsabkommen zu kritisieren, für dessen Abschluss die offiziellen Verhandlungen zwischen der Schweiz und den USA noch nicht einmal aufgenommen wurden. Die USA sind nach Deutschland der zweitwichtigste Handelspartner der Schweiz, in einzelnen Monaten überflügelten die Amerikaner gar unsere nördlichen Nachbarn. Die wirtschaftlichen Beziehungen sind sehr gut, und lange sprach man davon, das Erreichte mit einem Wirtschaftsabkommen abzusichern. Erstmals 2005, als die Schweiz die Chance aber mutwillig vergab; die zweite Chance vor rund einem Jahr, als die Vorgespräche zu einem Abkommen versandeten. Dabei hatte die Schweiz in den letzten drei Jahren wohl noch nie so viele Möglichkeiten des Austausches auf höchster politischer Ebene.

Gegeben die handelspolitischen Turbulenzen auf den Weltmärkten wäre ein Wirtschaftsabkommen eine wichtige Grundlage, um den gegenseitigen Handel abzusichern. Dies erhält die über 700’000 Arbeitsplätze dies- und jenseits des Atlantiks, die bereits heute vom bilateralen Austausch profitieren, und schafft Perspektiven, die Zahl gar zu steigern. Interessanterweise entstanden die beiden «Windows of Opportunity» für die Schweiz unter republikanischen Präsidenten – George W. Bush und Donald Trump, währenddessen sich beispielsweise der Steuer-Streit vieler Schweizer Banken mit dem «Department of Justice» und der amerikanischen Bundessteuerbehörde unter der Präsidentschaft von Barack Obama entzündete.

Was ändert sich unter Joe Biden für die Schweiz? Der neue Präsident verspricht wieder stärker auf den Multilateralismus zu setzen. (Gayatri Malhotra, Unsplash)

«It’s the economy, stupid» – «America First» 2.0?

Immerhin verspricht der neue Präsident Biden mit seiner Handelspolitik – im Gegensatz zu seinem Vorgänger – wieder stärker auf den Multilateralismus zu setzen. Ein regel- statt eines machtbasierten globalen Handelssystems kommt auch mittelgrossen Exporteuren wie der Schweiz zugute. Doch mehr US-Wähler dürften befriedigt werden, wenn zu Hause die Wirtschaft brummt und auch kurzfristig Jobs geschaffen werden.

Die Biden Administration schein deshalb gewillt, die «America first»-Politik des Vorgängers zumindest teilweise fortzuschreiben. So wurde mittels Dekret des Präsidenten beschlossen, «Buy America» nicht nur weiterzuführen, sondern dessen Umsetzung gar zu verschärfen. Sobald Bundesmittel involviert sind, sollen Produkte und Komponenten eingekauft werden, die in den USA von amerikanischen Arbeitern hergestellt werden. Die Schwellenwerte für Wertschöpfung, die aus den USA kommen muss, sollen erhöht, Ausnahmen zurückhaltender bewilligt und eine höhere Preisdifferenz (bis zu 20%) von US-Produkten gegenüber ausländischen Angeboten akzeptiert werden. Eine neu zu schaffende, hochrangige Funktion in der Administration soll die stringente Umsetzung überwachen.

Mit der Begründung der nationalen Sicherheit stärkte der neue Präsident darüber hinaus den 100-jährigen sogenannten Jones-Erlass. Nur in den USA gebaute, von US-Unternehmen gehaltene und unter US-Flagge fahrende Schiffe dürfen Waren zwischen US-Häfen transportieren. Verschiedene Studien haben bereits aufgezeigt, dass der Erlass die Kosten für Seefracht verteuerte und die Nachfrage nach in den USA gebauten Schiffen senkte, weil viele Logistikunternehmen auf den Landtransport auswichen.

«Buy America» verteuert die öffentliche Beschaffung und dürfte – bei einem gegebenen Budgetrahmen – die mengenmässige Nachfrage nach Gütern senken. Damit dies nicht eintritt, soll der amerikanische Schuldenberg weiter anwachsen. So sind immense Mehrausgaben aufgrund der Wirtschaftslage («Build Back Better») und den Klimaverpflichtungen des Landes geplant. Der Jones-Erlass wird beispielsweise explizit im Zusammenhang mit dem Ausbau von Offshore-Windanlagen genannt. Das präsidiale Dekret ist nicht nur ein Signal an die amerikanischen Wähler, sondern auch an die ausländischen Handelspartner. Es schwächt die Glaubwürdigkeit der Biden-Administration, die Zusammenarbeit mit geopolitisch gleich gesinnten Ländern nach Trump wieder zu stärken.

«Switzerland First» im Agrarbereich

Sollte sich die Schweiz in Sachen institutionellem Abkommen weiterhin nicht bald bewegen, wird der Druck umso grösser, auch ausserhalb Europas die Handelsbeziehungen zu stärken. Dazu muss sich die Schweiz zuerst einmal politisch aufraffen und Konzessionen eingehen, vor allem im Agrarbereich. Dies gilt insbesondere für allfällige Verhandlungen mit den USA. Doch die letzten Beschlüsse des Parlamentes in Bern deuten in eine andere Richtung: Vereinzelter Ausbau des Zollschutzes, Beerdigung der AP22+, die zumindest minimale Reformen an der hochsubventionierten, umweltbelastenden und stark protektionistischen Agrarpolitik erlaubt hätte.

Kurzfristig mag mehr Protektionismus bei inländischen Interessengruppen verfangen, doch eine volkswirtschaftlich nachhaltige Strategie ist dies weder für die Schweiz noch die USA. Es gilt mit nüchternem Blick und Vehemenz die internationale Kooperation voranzutreiben. Sei dies im Rahmen der Uno, der Welthandelsorganisation, der Zusammenarbeit mit der Europäischen Union oder im bilateralen Verhältnis.