Sowohl von Links wie auch von Rechts werden – gerade in grösseren Ländern wie den USA – zunehmend Vorbehalte gegenüber dem Aussenhandel geäussert. Diese Skepsis basiert zu weiten Teilen auf einem grundlegend falschen Verständnis des Prinzips «Handel». Vier Mythen zum Aussenhandel sind besonders weit verbreitet:

Handel ist ein Wettbewerb zwischen «uns» und «denen»

Falsch. Handel ist kein Wettbewerb, sondern eine für beide Teilnehmer des Handels – gemeint sind nicht die Staaten, sondern die einzelnen Akteure – vorteilhafte Aktivität. Wäre der Handel nicht beiden Vertragspartnern dienlich, würde er nicht stattfinden, denn er basiert auf Freiwilligkeit. Er ist also eine Kooperation. Überschreitet dieser Handel Landesgrenzen, wird er Aussenhandel genannt. Die Aussenhandelsbilanz stellt nichts anderes als die Summe all dieser grenzüberschreitenden Handelskooperationen dar.

Ein Handelsbilanzdefizit bedeutet, dass das betroffene Land der Verlierer in diesem Wettbewerb ist.

Falsch. Gegenstand des menschlichen Wohlstands ist der Konsum, nicht die Arbeit. Arbeit ist bloss Mittel zum Zweck. Importe sind Güter, die wir konsumieren können, ohne sie produzieren zu müssen. Exporte sind Güter, die wir produzieren, ohne sie konsumieren zu können. Es ist darum erstrebenswert, sich mit möglichst wenigen Exporten möglichst viele Importe leisten zu können. Dieses Verhältnis nennt man «Terms of Trade». Eine Aufwertung der eigenen Währung verbessert die Terms of Trade.

Ein Handelsbilanzdefizit ist nicht in erster Linie das Ergebnis der Handelspolitik, sondern resultiert aus den Mustern im Konsum und Sparen. Bei einem Handelsdefizit übersteigen die Investitionen im Inland die Inlandsersparnisse. Das wird erst dadurch möglich, dass ausländische Akteure bereit sind, Kapital im Inland zu investieren (und zwar in stärkerem Ausmass als inländische Akteure im Ausland investieren). Ein fortlaufendes Handelsdefizit spiegelt demnach ausländische Interessen an inländischem Kapital. Es ist (ausser im Fall des Kaufs von Staatsschuldenpapieren, der z.B. allerdings in den USA nur 20% zum Wachstum der Auslandverbindlichkeiten beiträgt) keine Schuld, die irgendwann einmal zurückbezahlt werden müsste.

Auch eine Gleichung trägt zu diesem Mythos bei. An ihr zeigt sich, dass ein bisschen ökonomische Bildung manchmal zu falscheren Schlüssen führen kann als keine ökonomische Bildung: Gemäss der Verwendungsrechnung des BIP entspricht die inländische Produktion (Y) der Summe aus inländischem Konsum (C), Investitionen (I), Staatsausgaben (G) und Nettoexporten (Exporte (X) – Importe (M)). Die Gleichung lautet also: Y = C + I + G + X – M. Wer sie schon einmal gesehen, aber nie ausführlich besprochen hat, könnte wegen des Minus-Zeichens vor den Importen davon ausgehen, dass diese das BIP schmälern. Die Gleichung stellt jedoch keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem BIP und dessen Komponenten dar, sondern beschreibt lediglich eine Identität. Eine Zunahme der Importe führt deshalb nicht zu einer Abnahme des BIP. Viel eher gilt: Die Importe sind schon Teil des Konsums, der Investitionen und der Staatsausgaben. Sie müssen deshalb subtrahiert werden, wenn die Summe dieser Komponenten der inländischen Produktion entsprechen soll (und entsprechend müssen die Exporte addiert werden, da sie zwar Teil der inländischen Produktion sind, aber nicht in C, I oder G vorkommen).

Das Outsourcing gewisser Aktivitäten heimischer Unternehmen ins Ausland schadet der heimischen Wirtschaft.

Falsch. Oder, sagen wir: höchstens teilweise richtig. Denn viele Investitionen heimischer Firmen im Ausland ersetzen nicht deren Investitionen im Inland, sondern stehen zu ihnen in einer komplementären Beziehung. Das gleiche lässt sich für die Wertschöpfung, für Lohnzahlungen und, weniger deutlich, für die Ausgaben in Forschung und Entwicklung sagen. Auslandinvestitionen einheimischer Firmen werden nicht nur als Hedging von Risiken infolge der abnehmenden Qualitäten des einheimischen Standortes getätigt, sondern z.B. auch, um näher bei den Kunden vor Ort zu sein. Das steigert unter Umständen auch die Produktion im Inland. Outsourcing erhöht die Wettbewerbsfähigkeit dieser Firmen. Massnahmen, die ein solches Outsourcing erschweren (wie z.B. hohe Importzölle auf die Vorleistungen eigener Tochterfirmen im Ausland), würden deren Wettbewerbsfähigkeit untergraben und die Gefahr erhöhen, dass sie sich gänzlich ins Ausland verabschieden.

Vom Handel profitieren nur das Big Business und die Reichen.

Falsch. Bezogen auf die Handelsbeziehungen zwischen reicheren und ärmeren Ländern profitieren üblicherweise die ärmeren Länder stärker vom Freihandel als die reicheren, denn sie haben vor allem bei den Löhnen komparative Kostenvorteile in der Produktion vieler Güter (die sich allerdings im Laufe des Aufholprozesses verringern werden). Die grössten Opfer eines Ausbaus der Handelsbarrieren bzw. wären somit die Entwicklungs- und Schwellenländer.

Mythenerzählung: Homer beim Vortrag seiner Epen. (Jean-Baptiste Auguste Leloir, 1841, Wikimedia Commons)

Innerhalb des reicheren Landes sind die grössten Profiteure des Freihandels nicht die Unternehmen, sondern die Konsumenten. Sie profitieren vor allem von günstigeren Preisen. Handelsbarrieren halten die Preise vieler Güter der Grundversorgung künstlich hoch und wirken darum wie eine sehr degressive Steuer, die also den Ärmsten am meisten schadet.