Gemäss Lobbywatch.ch weibeln 135 Organisationen im Schweizer Parlament für landwirtschaftliche Themen. Im Vergleich dazu ist die Anzahl an aussenwirtschaftlichen und -politischen Organisationen mit 48 bescheiden. Gemäss Analysen von Avenir Suisse (März 2018) engagieren sich mindestens 33 National- oder Ständeräte regelmässig zugunsten des Agrarkomplexes (13,4% aller Parlamentarier), darunter 15 Landwirte (6,1%). Im Vergleich zur Schweizer Volkswirtschaft – der Anteil der Landwirte beträgt 3,1% – ist der Agrarsektor im eidgenössischen Parlament somit stark überrepräsentiert. Zu den parlamentarischen Mitgliedern gehören u.a. auch der Präsident und der Direktor des Schweizer Bauernverbandes (SBV).

Dieser auf nationaler politischer Ebene mächtige Dachverband zählt 25 kantonale Sektionen und 60 Dach- und Fachorganisationen zu seinen Mitgliedern. Der Bauerverband besitzt Aktiven in Höhe von rund 36 Mio. Fr., erwirtschaftete 2016 17,9 Mio. Fr. und beschäftigt 122 Mitarbeiter (vgl. Geschäftsbericht). Dazu kommen noch 180 Mitarbeiter der Agrisano (Aktiven: rund 63 Mio. Fr., Erträge: 53,8 Mio. Fr.), einer Stiftung, die Bauernfamilien Versicherungslösungen anbietet, sowie 30 Mitarbeiter des Landwirtschaftlichen Bau- und Architekturbüros (LBA). Der SBV ist damit, im Verhältnis zur geringen volkswirtschaftlichen Bedeutung des Sektors, eine der am besten ausgestatteten Interessenorganisation der Schweizer Verbandsstruktur.

Staatliches Inkasso zugunsten Bauernverbände

So fällt es den Interessenvertretern nicht schwer, ihre eigenen Ideen politisch durchzusetzen. Dabei ist die politische Beeinflussung nicht nur im Bundesparlament zu spüren, sondern auch auf der Ebene der Kantone. So werden in 16 Kantonen – gegeben das schriftliche Einverständnis der Bauern – die Mitgliedsbeiträge durch die kantonalen Ämter für Landwirtschaft von den Direktzahlungen abgezogen und direkt an die kantonalen Bauernverbände überwiesen (vgl. Infosperber). Es sind dies die Kantone AR, GL, GR, JU, LU, NW, OW, SG, SH, SZ, TG, TI, UR, VS, ZG und ZH. Ein Beispiel aus dem Jahresbericht des Bauernverbandes Appenzell-Ausserrhoden (BVAR 2017, S. 14): «90% der rund 630 direktzahlungsberechtigten Betriebe lassen sich die Verbandsbeiträge von den Direktzahlungen abziehen. Die Zahlungsmoral ist erfreulich. Mehr als 96% der Betriebe bezahlen die Beiträge und unterstützen so die Arbeit des BVAR.»

Niemand hat eine Lobby im Bundeshaus, die mit jener der Landwirtschaft vergleichbar wäre. (pixabay)

Dadurch haben die Verbände weniger administrativen Aufwand, weil ein Teil der Kosten dem Steuerzahler angelastet wird (z.B. Löhne für kantonale Beamte, die Inkasso und Administration vollziehen), das Debitorenrisiko ist vernachlässigbar, da die Mitgliederbeiträge von den Direktzahlungen abgezogen werden (Schuldner ist der Bund, bzw. der Kanton). Es gibt zudem Evidenz für Nudging; denn in bestimmten Kantonen muss man sich gegen einen Abzug und damit die Mitgliedschaft aktiv wehren. Überdies senkt das System die Transaktionskosten für eine Mitgliedschaft und erlaubt es dem Verband, mehr Mitglieder zu haben, höhere Einnahmen zu erzielen – und letztlich die politische Macht auszubauen.

Allgemeinverbindlichkeitserklärungen

Ein weiteres Beispiel für die politische Durchsetzung der Eigeninteressen findet sich in Art. 8 des Landwirtschaftsgesetzes (LwG): So sind die landwirtschaftlichen Branchen- und Produzentenorganisationen grundsätzlich für die Qualitäts- und Absatzförderung ihrer Produkte selbst verantwortlich. Der Bundesrat kann aber unter gewissen Voraussetzungen und Einschränkungen Nichtmitglieder verpflichten, sich an den Selbsthilfemassnahmen dieser Organisationen zu beteiligen (Art. 9 LwG). Man spricht in diesem Fall von Ausdehnung der Selbsthilfemassnahmen auf Nichtmitglieder einer Organisation, um sogenannte Trittbrettfahrer zu verhindern. Gegenwärtig sind die Selbsthilfemassnahmen von sechs Branchen- und Produzentenorganisationen auf deren Nichtmitglieder ausgedehnt.

Höchste Repräsentation in der Verwaltung

Die Landwirtschaft ist – wie in vielen Ländern – auch in der Schweiz auf höchster Ebene der Verwaltung repräsentiert: Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) «[…] setzt sich dafür ein, dass Bäuerinnen und Bauern nachhaltig und auf den Markt ausgerichtet qualitativ hochwertige Nahrungsmittel produzieren». (BLW 2018). Es vollzieht zusammen mit den Kantonen und bäuerlichen Organisationen die Agrarpolitik der Schweiz, basierend auf Art. 104 der Bundesverfassung (BV), dem sogenannten Landwirtschaftsartikel. Die Aufwendungen für die Verwaltung betragen 56 Mio. Fr. auf Ebene des Bundesamtes für Landwirtschaft, sowie rund 54 Mio. Fr. für den Vollzug / die Kontrolle durch Agroscope (vgl. Privilegien-Register).

Die Ansiedlung auf höchster Administrationsebene als eigenes Bundesamt könnte damit begründet werden, dass es sich bei Nahrungsmitteln um lebensnotwendige Güter handelt. Doch auch andere Produkte sind für viele Menschen essenziell und haben kein dafür zuständiges Bundesamt, etwa Textilien/Bekleidung. Auch der Bezug zur Wertschöpfung der Landwirtschaft legitimiert kein eigenes Bundesamt: Rund 0,7% (2015) beträgt der Anteil des Sektors am Bruttoinlandprodukt (BFS 2017). Kein Vergleich zum Finanz- und Versicherungswesen mit 9,8%, dem Baugewerbe (5,5%) oder der Pharma (4,5%), die alle nicht durch ein eigenes Bundesamt in der Verwaltung repräsentiert werden. Die Energiebranche – vertreten mit dem Bundesamt für Energie (BFE) – hat immerhin einen Anteil am BIP von 1,5% und ist damit mehr als doppelt so gross wie die Landwirtschaft. Vom Wertschöpfungsanteil her vergleichbar ist die Beherbergungsbranche (0,6%) – es würde aber wohl niemandem einfallen, dafür ein Bundesamt für Hotellerie einzurichten.

Beharren auf dem Status quo

Die politische Einflussnahme der Agrarwirtschaft schafft ökonomische Vorteile für die lobbyierenden Organisationen und erschwert mit jeder zusätzlich eingeführten Regelung zugunsten der Akteure die Reformfähigkeit des Gesamtsystems. Die Schweizer Agrarpolitik ist in der jetzigen Form weder wirtschaftlich noch sozial oder ökologisch nachhaltig – der Reformbedarf ist evident. Das Beharren auf dem Status Quo ist keine zukunftsfähige Strategie.

Die aktuelle Politik benachteiligt nicht zuletzt die zahlreichen innovativen Landwirte. Sie sind heute aufgrund der vielfältigen Stützungsmassnahmen in einem Korsett von rund 4000 Seiten Vorschriften gefangen und in ihrer unternehmerischen Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Je länger die politischen Interessenvertreter die notwendigen Reformen blockieren, umso härter dürfte danach der Anpassungsprozess für den Sektor sein. Die lobbyierenden Verbände, allen voran der Schweizer Bauernverband, erweist seiner Klientel einen Bärendienst.