Dem Finanzplatz drohe eine Überregulierung: darüber waren sich Urs Rohner, Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse Group und Martin Hellwig, Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn, einig. «Was läuft schief bei der Bankenregulierung?» wollte Gesprächsleiter und Avenir-Suisse-Direktor Gerhard Schwarz an einem Abendlichen Gespräch bei Avenir Suisse von den beiden Experten wissen, und «wo steht die Schweiz mit ihren Reformbemühungen?»
Martin Hellwig bezweifelt, dass das Bankensystem mit Basel III sicherer wird. Er fordert in seinem vielbeachteten, zusammen mit Anat Admati 2013 veröffentlichten Buch «The bankers‘ new clothes», eine Abkehr von der Illusion, Bankrisiken seien messbar. Deshalb plädiert er für eine wesentlich höhere Eigenkapitaldecke von 20-30% der Bilanz für alle Banken. Weder das «Too big to fail» – Problem sei gelöst, noch habe die nötige Konsolidierung am Markt stattgefunden, da nahezu alle Banken in der Krise gerettet wurden. Nach Hellwig hat die Finanzstabilität keine Lobby. Es bestehe ein grundlegender Konflikt zwischen dem, was für Banken gut sei, und dem, was für die Volkswirtschaft insgesamt gut wäre.
Fehlende Abstimmung als Systemrisiko
Urs Rohner hingegen sieht die Schweizer Grossbanken dank dem «Swiss Finish» und der raschen Umsetzung der «too big to fail» – Vorlage als sehr gut kapitalisiert und mit durchdachten Abwicklungsplänen mit Bail-in Konzepten für den Krisenfall ausgestattet. Seit der Finanzkrise seien die Bilanzen und die Risiken massiv verkleinert worden und im Vergleich zu vor der Krise verfügten die Schweizer Grossbanken über eine wesentlich dickere Kapitaldecke und liegen auch bezüglich der Liquidität vorn.
Vielmehr sorgt Rohner die ungenügende internationale Abstimmung bei der Bankenregulierung: viele Länder würden den internationalen Standards (Basel III) zusätzliche nationale Vorgaben hinzufügen. Abgesehen davon, dass es für eine internationale Bank sehr aufwändig sei, diese alle zu erfüllen, erhöhe die fehlende Abstimmung aufgrund der Fragmentierung sogar das Systemrisiko. Regulierung müsse möglichst einfach, klar und stringent sein.
Rohner betonte, dass zusätzliches Eigenkapital und eine tiefere Schuldengrenze (Leverage Ratio) ihren Preis hätten: dadurch würden die Kreditvergabe, u.a. an KMU und in der Folge auch das Wirtschaftswachstum gebremst. Das werde auch von der OECD konzediert. Auch werde es schwieriger, Investoren zu finden, da die höheren Kapitalkosten die Rentabilität (RoE) der Banken belasteten.
Einen solchen Trade-off zwischen Rentabilität, Wirtschaftswachstum und Finanzstabilität will Hellwig nicht gelten lassen. Die Banken würden Eigenkapital mit Mindestreserven verwechseln, was schlichtweg falsch sei. Mehr Eigenkapital behindere die Kreditvergabe nicht. Auch eine höhere Eigenkapitaldecke sieht er nicht als Problem, schliesslich würden Investoren für mehr Sicherheit gerne auf etwas Rendite verzichten. Für Hellwig ist die Argumentation der Banken, die Kosten des Eigenkapitals seien unabhängig von der Mischung von Schulden und Eigenkapital, ein grundlegender Fehler.
Domino-Gefahr besteht weiterhin
Die heutige Regulierung wie auch die Risikomodelle der Banken lösten eine der Hauptursachen der Finanzkrise nicht: die Intransparenz. Auch mit Basel III verblieben viele Ansteckungseffekte und falsche Anreize für die Einsparung von Eigenkapital. Die Banken würden in ihren Risikomodellberechnungen das Exposure der anderen Banken nicht kennen, genau so wenig könnten sie sich darauf verlassen, dass sich die vermeintlichen Marktpreise auch tatsächlich am Markt erzielen liessen. Der Dominoeffekt bei Notverkäufen und die starke globale Vernetzung hätten aber wesentlich dazu beigetragen, dass die Finanzkrise so schwer ausgefallen sei. Rohner verweist demgegenüber darauf, dass die Risikomodelle nicht nur laufend verfeinert werden, sondern den jeweiligen Regulatoren auch im Detail bekannt sind und von diesen genehmigt werden. Ebenso wesentlich jedoch sei, dass Basel III als Schutz vor Modellversagen und unerwarteten Verwerfungen richtigerweise die risikogewichteten Kapitalanforderungen mit der Leverage Ratio in Form einer unteren Sicherungsschwelle kombiniert.
Eine weitere Ursache, dass viele Risikomodelle im Ernstfall versagten, sieht Gerhard Schwarz in der Anwendung der Naturwissenschaften auf soziale Phänomene, während sich Co-Gesprächsleiter Rudolf Walser über den fehlenden Einfluss der Wirtschaftswissenschafter beim Regulierungsprozess wundert. Ein Grund für den fehlenden Einfluss der Wissenschaft liegt gemäss Hellwig im Bestreben vor allem der europäischen Staaten, ihre «Nationalen Champions» zu schützen. So setzten implizite wie explizite Staatsgarantien die bereinigende Funktion des Marktes weitgehend ausser Kraft. Gerade für Deutschland befürchtet Hellwig deshalb eine Japan-ähnliche Entwicklung der Stagnation.
Schweiz einen Schritt weiter
«Darf sich die Schweiz überhaupt Grossbanken leisten?» wollte Gerhard Schwarz zum Abschluss der Diskussion wissen. Hellwig attestiert der Schweiz, ihre Hausaufgaben besser gelöst zu haben als andere Staaten. Die hiesigen Grossbanken seien sich aufgrund des schieren Grössenverhältnisses zumindest bewusst, dass sie im Extremfall zu gross wären, um vom Staat gerettet werden zu können.
Für Urs Rohner steht die volkswirtschaftliche Bedeutung des Banking in der Schweiz im Vordergrund. Es stelle sich aber die Frage, wie viel Risiko man bereit sei, zu tragen. Gerade weil man sich in der Schweiz des Risikos bewusst sei, seien die Grossbanken auch bereit gewesen, bei der Regulierung wesentlich weiter zu gehen als viele andere Länder. «Tu es fou» habe er sich von ausländischen Kollegen im Institute of International Finance (IIF) anhören müssen, als er der verschärften Schweizer Vorlage zugestimmt habe. Doch das Ziel sei klar: die Schweizer Steuerzahler sollen nie mehr eine Grossbank retten müssen.
Die Diskussion über die Bankenregulierung wird national und international weitergehen. Das Abendliche Gespräch zeigte die unterschiedliche Sichtweise von Banken und Wissenschaft.