«L’effet naturel du commerce est de porter à la paix […] et toutes les unions sont fondées sur des besoins mutuels».1De l’Esprit des lois, 1748. Livre XX, chapitre II. Dem Aufklärer Montesquieu dürften heute die meisten kritischer als auch schon gegenüberstehen. Bereits während der Covid-19-Pandemie begann man Lieferketten und Handel als ein Problem zu betrachten. Spätestens seit dem Ausbruch des Ukrainekrieges steht die Idee, dass durch wirtschaftliche Verflechtung auch Ziele wie Frieden erreicht werden können, erheblich unter Druck.

Zum ewigen Frieden

Auf den ersten Blick erscheint das auch als «Wandel durch Handel» bekannte Konzept überzeugend. Durch Handel geraten Staaten in eine gegenseitige Abhängigkeit, die künftige Konflikte zu kostspielig macht. Durch die internationale Arbeitsteilung produziert jeder das, was er relativ am besten kann. Bei offenen Grenzen profitieren so alle Beteiligten. Es kann sich eine Mittelschicht bilden, die zunehmend politische Rechte einfordert. Durch die gewonnenen Mitspracherechte verringert sich zumindest die Wahrscheinlichkeit, dass die Machthaber einen Krieg vom Zaun brechen.

Tagebau Kohle

Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl legte den Grundstein für Frieden in Westeuropa. (Adobe Stock)

Das Konzept erwies sich aufs Erste als Erfolg. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es etwa, Deutschland und Frankreich sowie andere Staaten durch Handel und Investitionen eng miteinander zu verknüpfen. Die 1951 gegründete Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der Vorläufer der EU, legte den Grundstein für Frieden im bis dahin so kriegerischen Westeuropa – die wirtschaftliche Zusammenarbeit bei kriegswichtigen Rohstoffen war explizit dazu gedacht, künftigen Konflikten vorzubeugen.

Auch nach dem Kalten Krieg waren die Hoffnungen gross, dass mit dem vermeintlichen «Ende der Geschichte» Marktwirtschaft und Demokratie sich endgültig durchsetzen würden. Der ehemalige US-Präsident Bill Clinton meinte im Jahr 2000 zu Chinas WTO-Beitritt: «Je mehr China seine Wirtschaft liberalisiert, desto mehr wird es das Potenzial seiner Menschen freisetzen […], wenn der Einzelne die Macht hat, […]  wird er mehr Mitspracherecht verlangen».

Das Licht, das erlosch

Doch die Erwartungen an den Handel, wie sie Bill Clinton formulierte, überstiegen regelmässig dessen effektive Möglichkeiten, soziale Veränderungen anzustossen. So wurde immer wieder die Kritik laut, dass Handelsgewinne auch die Halbwertszeit autoritärer Regime verlängern könnten. Solange der Wohlstand zunimmt, sei etwa ein Grossteil der Bevölkerung bereit, auf politische Rechte zu verzichten.

So erfüllte das 2001 in die WTO aufgenommene China die Hoffnungen in «Wandel durch Handel» gerade nicht. Und das Konzept verhinderte auch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nicht. Hier zeigt sich, dass die positiven Effekte von Handel gerade bei asymmetrischen Abhängigkeiten (wie sie z.B. bei Rohstoffen nicht selten sind) oft an seine Grenzen stösst.

Mit Handel allein ist es also nicht getan. Am Ende lassen sich Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nur schwer von aussen verordnen. Gerade in der Schweiz sollten wir uns aufgrund der eigenen Geschichte der Bedeutung solcher gesellschaftlichen Prozesse bewusst sein. Handel mag das Bedürfnis nach sozialen Veränderungen wecken, letztlich müssen aber die Menschen vor Ort diesen Wandel gestalten.

Klimaschutz und Sicherheit

Obwohl der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen nicht zwangsläufig sozialen Wandel und Frieden bringt, so ist eines doch klar: Neben den eher diffusen politischen Einflüssen hat der Handel handfeste ökonomische Effekte. Unbestritten sind die positiven Auswirkungen auf den Wohlstand. Der Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben, ist im Zuge der sich vertiefenden Globalisierung seit 1990 um fast 80 Prozent zurückgegangen.

Zunehmend stellt sich aber auch die Frage nach den Auswirkungen des Handels auf die ökologische Nachhaltigkeit. Gewisse Ökonomen postulieren hier einen möglichen Zielkonflikt mit der Armutsbekämpfung. Es kann aber durchaus argumentiert werden, dass ab einem bestimmten Wohlstandsniveau die Umweltbelastung (im Sinne einer Kuznets-Kurve) wieder abnimmt. Zumindest in den westlichen Industrieländern ist in den letzten Jahren eine teilweise Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum zu beobachten – wobei Kritiker bemängeln, Umweltbelastungen seien einfach in Entwicklungsländer verlagert worden.

Schliesslich ist in den letzten Jahren eine zunehmende Verflechtung von Handels- und Sicherheitspolitik zu beobachten. Zölle oder Exportbeschränkungen werden aus Gründen der «nationalen Sicherheit» verhängt, und Produkte zunehmend als «strategisch» oder «kritisch» eingestuft. Dazu gehören z.B. Seltene Erden, die bei der Energiewende, aber auch im Verteidigungsbereich eine wichtige Rolle spielen.

Herausfordernd für die Schweiz

Für die Schweiz, die auf offene, regelbasierte Marktzugänge angewiesen ist, sind das keine guten Nachrichten. Die zunehmenden Handelsbeschränkungen – sei es aus sicherheits- oder klimapolitischen Gründen – erschweren den freien Austausch von Gütern und Dienstleistungen mehr und mehr. Im Gegensatz zu den Grossmächten kann sich die Schweiz dabei nicht auf einen grossen Heimmarkt abstützen. Handelshindernisse kommen entsprechend teurer zu stehen.

Ein wichtiges Instrument gegen zu grosse Abhängigkeiten ist die weitere Diversifizierung der Handelspartner. Damit können die Folgen von einzelnen Handelseinschränkungen besser abgefedert werden. Das ist notwendig. Gerade als Bürgerinnen und Bürger einer kleinen, offenen Volkswirtschaft profitieren wir direkt vom Freihandel in Form einer grösseren Produktevielfalt und tieferen Preisen. Letztlich hatte Montesquieu zumindest mit dem zweiten Teil seiner Einschätzung voll und ganz recht: Handel ist als freiwilliger Austausch über Grenzen hinweg naturgemäss mehr als ein Nullsummenspiel.