Die Schweizer Industrie durchlebt schwierige Zeiten. Laut dem Branchenverband Swissmem verzeichnete die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie auch im ersten Quartal 2025 sinkende Umsätze – bereits zum achten Mal in Folge.

Ein wesentlicher Grund dafür ist die anhaltende Konjunkturschwäche in Deutschland, dem wichtigsten Absatzmarkt für die verarbeitende Industrie. So erreichte die Zahl der Betriebe, die für ihre Beschäftigten Kurzarbeit beantragten, im zweiten Halbjahr 2024 den höchsten Stand seit der Aufhebung des Mindestkurses zum Euro Anfang 2015.

Trumps Zoll-Schock hat seit Mitte April zu einem Einbruch der Wirtschaftsaktivität geführt, was auch die Schweizer Industrie spürt. Selbst wenn die USA die Zölle ganz aufheben sollten, dürfte der Druck auf die Industrie hoch bleiben.

Mächtige langfristige Kräfte

In diesem Umfeld grassiert die Furcht vor einer Deindustrialisierung. Als Folge mehren sich nicht nur in den USA, sondern weltweit die politischen Bestrebungen, die einheimische Industrie zu schützen. Solche Forderungen sind politisch attraktiv, weil sie nostalgische Gefühle wecken – und an eine Ära erinnern, in der Arbeiter am Fliessband noch gutes Geld verdienten. Noch 1960 war jeder zweite Beschäftigte in der Schweiz in der Industrie tätig, doch heute ist es nur noch jeder fünfte. Höchste Zeit also, politisch aktiv zu werden?

Nein. Zunächst muss man zwischen konjunkturellen Schwankungen, wie dem jüngsten Rückgang, und strukturellen Verschiebungen in der Wirtschaft unterscheiden. Der Versuch, die verarbeitende Industrie mit staatlichen Hilfen zu stützen, dürfte aussichtlos sein, wenn man sich damit gegen die langfristige Entwicklung stellen will. Der langfristige Rückgang der Industrie-Jobs ist keine Anomalie, sondern Ausdruck eines Strukturwandels, der in ähnlicher Form alle westlichen Länder in den letzten hundert Jahren erfasst hat.

Wie die Abbildung zeigt, folgt die Industriebeschäftigung in entwickelten Volkswirtschaften einem umgekehrten und langgezogenen «U». Während der Industrialisierung stieg sie stark an, als Arbeitskräfte von der Landwirtschaft in den Industriesektor wechselten. Mit zunehmendem Wohlstand verlagern sich die Arbeitsplätze erneut – nun aber von der Industrie in den Dienstleistungssektor.

Steigende Produktivität, veränderte Konsummuster

Der langfristige Rückgang industrieller Arbeitsplätze hat drei Ursachen. Erstens ist er auf die steigende Produktivität zurückzuführen. Neue Technologien, zunächst die Mechanisierung und jetzt die Digitalisierung, haben den Output pro Arbeitskraft gesteigert – und zwar massiv. Eine US-Studie schätzt, dass 88% des Rückgangs der amerikanischen Industriejobs in den 2000er-Jahren auf Produktivitätsgewinne zurückzuführen sind.

Zweitens haben sich Schwellen- und Entwicklungsländer ab den 1990er Jahren für den internationalen Handel geöffnet und wurden dadurch in die Lieferketten westlicher Firmen integriert. Die hoch produktiven Jobs verblieben dabei in den Industrieländern, während die arbeitsintensive Produktion in Länder wie China und später Vietnam oder Bangladesch ausgelagert wurde.

Drittens lässt sich der Rückgang der Industriejobs mit veränderten Konsummustern erklären. Entfielen 1950 noch rund 70% des Konsums in der Schweiz auf Waren, ist es heute nur noch ein Drittel. Zwei Drittel des Konsums sind mittlerweile Dienstleistungen. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Preisentwicklung bei Industriegütern. Die höhere Produktivität ermöglichte es den Unternehmen, ihre Preise zu senken – Industriegüter wurden dadurch im Vergleich zu Dienstleistungen immer günstiger. Wird eine Güterkategorie billiger, sinkt der Anteil des Einkommens, der dafür ausgegeben wird – jedenfalls wenn es sich um ein Gut handelt, von dem man mit steigendem Einkommen nicht immer mehr will.

Strukturwandel hält fit

Bemerkenswert ist, wie ähnlich die Industrie-Beschäftigung in unterschiedlichen Ländern verläuft – weitgehend unabhängig von den spezifischen Ausprägungen dieser Volkswirtschaften, also wie offen diese sind oder ob sie einen Handelsbilanzüberschuss oder ein -defizit aufweisen. Selbst Länder wie Südkorea, Singapur oder Malaysia, die erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts reich geworden sind, verzeichnen seit Längerem einen Beschäftigungsrückgang in der verarbeitenden Industrie.

Der langfristige Rückgang der Beschäftigung im Industriesektor ist somit kein Symptom für den wirtschaftlichen Niedergang eines Landes, sondern eine Folge zusätzlichen Wohlstands. Der Versuch, die Fabrikarbeit künstlich wiederzubeleben, ergibt wenig Sinn, wenn Konsumentinnen relativ mehr Dienstleistungen wollen als industriell hergestellte Waren.

Zudem: Wie die Wirtschaftsgeschichte der Schweiz zeigt, ist der einheimischen Industrie mehr gedient, wenn man den Strukturwandel zulässt, statt ihn aufhalten zu wollen. Die Produktivität der Schweizer Industrie hat sich seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Kein anderes Land aus dem Industrieländerklub OECD kann solche Produktivitätsgewinne in diesem Sektor vorweisen.

Wird eine Industrie produktiver, bleiben ihre Produkte wettbewerbsfähig – gerade auch international. Die Schweizer Industrie hat sich denn auch gut gehalten, wenn man sie mit den Nachbarländern vergleicht. Der Anteil der Industriebeschäftigung hat sich hierzulande stabilisiert. Doch das Gesicht der Branche hat sich in diesem Prozess stark verändert: Den hoch produktiven Industriearbeiter findet man heute immer häufiger am Computer statt am Fliessband.