Im Mai konnte die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK) zum ersten Mal seit Aufnahme ihrer Tätigkeit vermelden, dass die Quersubventionierung der Pensionierten durch die Aktiven unter einer Milliarde Franken pro Jahr lag. Diese Umverteilung belief sich 2021 «lediglich» auf 200 Mio. Franken gegenüber den durchschnittlich 6,3 Mrd. Franken der vorangegangenen fünf Jahre.
Nicht auf Bern warten
Diese Entwicklung belegt die Vorteile eines dezentralisierten und entpolitisierten Systems. Die rund 1400 paritätisch geführten Vorsorgeeinrichtungen haben nicht auf einen Vorstoss der Bundespolitik gewartet, sondern ihre Verantwortung wahrgenommen, indem sie ihre Reglemente und technischen Parameter den demografischen und wirtschaftlichen Realitäten anpassten. Gemäss der OAK lag der Median des technischen Zinssatzes der Pensionskassen, der die Renditeerwartungen der kommenden Jahrzehnte widerspiegelt, im Jahr 2021 bei 2,2%; der Median des Umwandlungssatzes betrug 5,4%. Dank diesen Anpassungen waren die Zinsgutschriften der aktiven Versicherten vergleichbar mit jenen der Rentner. Zum Vergleich: Der implizite technische Zinssatz, um den gesetzlich vorgeschriebenen Umwandlungssatz von 6,8% zu erreichen, beträgt mindestens 4%.
Kleine KMU im Nachteil
Diese Art von «kalter» Reform von der Basis her ist aber nicht bei allen Pensionskassen möglich. Während die sogenannt «umhüllenden» Kassen ihre Parameter anpassen konnten, trifft dies auf jene 9% der Kassen nicht zu, die weiterhin einen Mindestumwandlungssatz von 6,8% bieten. Bei ihnen erhält jeder Versicherte bei Rentenantritt eine zu hohe Rente, was wiederum zu hohen Verlusten zu Lasten der aktiven Versicherten führt. Deshalb ist es für Arbeitgeber mit älteren Mitarbeitenden sehr schwierig, eine Sammeleinrichtung zu finden, die eine BVG-Mindestdeckung bietet – und auch dies nur unter der Bedingung, erhebliche Mittel für Einkäufe bereitzustellen. Die politische Tatenlosigkeit straft somit jene KMU, die sich keine umhüllende Lösung leisten können. Dies betrifft insbesondere Unternehmen mit bescheidenen Löhnen. Ausserdem kann sich die derzeit relativ gesunde wirtschaftliche Lage der Pensionskassen rasch ändern – und mit ihr die Renditen auf den Vermögenswerten. Nachdem der Deckungsgrad der Pensionskassen Ende 2021 einen Höchststand (118,5%) erreicht hatte, vernichtete die Krise in der Ukraine und deren Auswirkungen auf die Kapitalmärkte bis März 2022 einen Drittel der Wertschwankungsreserven.
Umgang mit der Inflation auf der Passivseite
Während früher sehr tiefe Inflationsraten die Vorsorgebranche beunruhigte, ist es heute der rasante Anstieg der Teuerung in Europa, in den USA und in einem geringeren Ausmass in der Schweiz. Nun werden die Stiftungsräte auch auf der Passivseite der Bilanz vor knifflige Probleme gestellt: Einerseits liegen die Reserven zwar noch im komfortablen Bereich, andererseits erodiert die Kaufkraft der Pensionäre durch die Inflation. Entsprechend dürfte schon bald der Ruf nach Rentenerhöhungen laut werden. Im Gegensatz zur AHV sieht das BVG keinen automatischen Teuerungsausgleich der Renten vor. Eine Anpassung an die Preisentwicklung ist den Kassen freigestellt, gemäss Art. 36 BVG aber «entsprechend den finanziellen Möglichkeiten der Vorsorgeeinrichtung». Es handelt sich somit um eine Option, nicht um eine Pflicht.
Anstatt den Geldhahn aufzudrehen zugunsten der Rentner, die immer noch von einer Quersubventionierung durch die Aktiven profitieren, gilt es einen kühlen Kopf zu bewahren. Das Gleichgewicht zwischen den Zinsen, die den Aktiven gutgeschrieben werden, und den Zinsen, die den Rentnern implizit garantiert werden, muss beibehalten werden. Je nach Kasse bestehen grosse Unterschiede bei den Umwandlungssätzen (und bei der Bildung von Einmaleinlagen), die bei den unterschiedlichen Rentnerkohorte angewandt wurden.
Die Folgen einer möglicherweise über längere Zeit hohen Inflation ist von den Stiftungsräten zu antizipieren: Einerseits gilt es, die Kaufkraft der Rentner zu erhalten, andererseits ist die Gleichbehandlung der verschiedenen Versichertenkohorten – Aktive und Rentner – zu gewährleisten. Es braucht einen fairen und gezielten Ansatz sowohl in Bezug auf den Zeitrahmen als auch auf die Versichertengruppen. Eine solche Neuausrichtung erfordert Grundsatzdebatten innerhalb der paritätisch geführten Stiftungen, eine Anpassung der Reglemente, vor allem aber eine sehr gute Kommunikation mit den Versicherten.
Dieser Beitrag ist in der Zeitschrift «Schweizer Personalvorsorge» 7/22 erschienen.