Diese Woche hat der Bundesrat die Spielbanken-Konzessionen neu vergeben, und zwar gleich für 20 Jahre. Wem das lange scheint, der sollte seinem Gefühl nicht misstrauen. Ein Blick zurück zeigt, wie viel sich in zwei Jahrzehnten verändern kann. 2003 war Lehman Brothers noch eine profitable Investmentbank, und die Welt kannte weder iPhone noch Youtube. Was die Schweiz aber damals bereits kannte: Fast alle der künftigen Casino-Konzessionäre – einmal am Chips-Topf, immer am Chips-Topf.
Diese Kontinuität über Jahrzehnte hinweg wird vom Bundesrat explizit begrüsst. Das Schweizer Glücksspielwesen ist seit jeher ein gut eingespieltes Geben und Nehmen. So wird das Land in austarierte Monopolregionen eingeteilt, um den Ertrag aus dem Casinogeschäft zu maximieren. Die staatlichen Konzessionen für diese Monopole werden dann anhand eines Kriterienkatalogs vom Bundesrat in einem nicht-anfechtbaren Entscheid vergeben.
Aus ökonomischer Sicht sinnvoller und unbefangener wäre eine Auktion der Lizenzen. Zu diesem Schluss kam 2019 auch eine Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco. Doch der Bundesrat wollte davon nichts wissen. Zwei Jahre nach dem besagten Bericht anerkannte er die Kritik zwar, befand das eigene Vergabeverfahren aber explizit als «politisch opportun». Und so kam es diesen Mittwoch, wie es kommen musste: Den Zuschlag erhielten die etablierten Spielbankenbetreiber, die teilweise erst noch mehrheitlich in Staatsbesitz stehen.
«Politisch opportun» ist derweil nicht nur das Motto bei der Vergabe der Casino-Konzessionen, sondern bei der ganzen Organisation des Schweizer Glücksspielwesens. Neben den Spielbanken gibt es nämlich noch die beiden Lotteriebetreiber Swisslos und Loterie Romande. Diese befinden sich vollständig im Besitz der Kantone. Und auch hier wird ordnungspolitisch nicht sauber gespielt: Aufsicht, Betrieb und Geldverteilung sind derart nahe beieinander, dass an einer konfliktfreien Erfüllung der jeweiligen Staatsaufgabe gezweifelt werden muss.
An einer besseren Organisation des Glücksspielwesens hat jedoch kaum ein Entscheidungsträger im Land ein Interesse. Das liegt am Geld, das diese Branche abwirft. Von den Lotterien werden jährlich gut 600 Millionen Franken politisch definierten Zwecken zugeführt, bei den Casinos sind es rund 400 Millionen Franken. Dieses viele Geld wird geschickt verteilt: Der Besuch der alten Glücksspiel-Dame findet im ganzen Lande statt.
Bei den Casinos fliesst via Spielbankenabgabe viel Geld in die AHV, weshalb das Zocken manchmal zum Dienst an der Altersvorsorge hochstilisiert wird. Über die Erträge der Lotterien wiederum werden Kunst und Sport landauf, landab alimentiert. Das Geld fliesst dabei über unzählige kantonale Lotteriefonds. Diese stehen den Politikern ausserhalb des regulären Budgets zur Verfügung – der Staatsrechtler Etienne Grisel bezeichnete sie einst gar als «eine Art legale schwarze Kassen». Dass er mit dieser Bezeichnung nicht ganz falsch lag, haben fragwürdige Vergaben von Lotteriegeldern immer wieder gezeigt; im vergangenen Jahr machte etwa die Finanzierung einer Kaserne der Schweizer Garde in Rom Schlagzeilen.
Viele dieser Probleme sind längst bekannt. Dessen ungeachtet verpasste es die Politik, bei der jüngsten Revision des Geldspielgesetzes überfällige Reformen aufzugleisen. Der Gesetzgeber schien primär damit beschäftigt, das neue Online-Glücksspiel fiskalisch anzuzapfen. Für ordnungspolitische Hausaufgaben blieb da keine Zeit. So wurden weder das mangelhafte Konzessionsverfahren überarbeitet oder die problematischen finanziellen Abhängigkeiten beseitigt, noch der regulatorische Rahmen ins digitale Zeitalter überführt.
Diese Reformunfähigkeit darf nicht überraschen. Wenn die beiden Rollen des Staates als Anbieter und Nutzniesser dominieren, kommt die Rolle als Regulator zu kurz. Wie eine Avenir-Suisse-Studie im vergangenen Jahr aufgezeigt hat, sollten deshalb vordringlich die Interessenkonflikte im Glücksspielwesen angepackt werden. Dabei bietet sich an, die fiskalisch erhobenen Gelder nicht mehr über diverse Geldtöpfe politischen Zwecken zuzuführen, sondern direkt an die Bevölkerung rückzuverteilen – analog zur heutigen CO2-Abgabe.
Diese Rückverteilung klingt vorderhand überraschend. Beim genauen Hinschauen entpuppt sie sich aber als das beste Mittel, um mit dem Motto «politisch opportun» ein für alle Mal abzuschliessen. Eine solche egalitäre Verteilung der Gelder würde einer besseren Organisation von Casinos und Lotterien in der Schweiz Bahn brechen. Es wäre ein mutiger und überfälliger Schritt. Denn eines ist klar: Im Schweizer Glücksspielwesen sind heute schlicht zu viele Interessen im Spiel.
Dieser Beitrag ist als Kolumne in der «NZZ am Sonntag» vom 3. Dezember 2023 erschienen.