Grosse Teile der Energiebranche sind im Besitz der Kantone und einzelner Gemeinden. In guten Zeiten lieferten sie hohe Gewinne ab und erhöhten den diskretionären Spielraum der Regierungen. Heute häufen sich die Verluste: Der Unternehmenswert einzelner Stromkonzerne ist seit der Finanzkrise um mehr als 80 Prozent eingebrochen. Damit wurde Volksvermögen in Milliardenhöhe vernichtet. Ein Ausstieg des Staates aus dem Energiesektor steht dennoch nicht bevor, im Gegenteil. Die Politik scheint eine implizite Agenda zu verfolgen, die grob in folgende drei Schritte unterteilt werden kann:

Schritt eins: Wirf gutes Geld schlechtem hinterher

Repower, zur Mehrheit im Besitz der öffentlichen Hand, gab Ende Mai 2016 bekannt, dass es die Elektrizitätswerke des Kantons Zürich und den UBS Fonds Clean Energy Infrastructure Switzerland als neue Investoren verpflichten konnte. Bestehende Ankeraktionäre sind der Kanton Graubünden und Axpo. Das «Exposure» der Zürcher Steuerzahler im Energiesektor hat sich mit dieser Investition erhöht. Gemessen an der bisherigen Erfolgsbilanz der öffentlichen Hand handelt es sich um einen bedenklichen Schachzug. Statt in Energiefirmen zu investieren, hätte man das Geld auch in den Schuldenabbau des Kantons Zürich fliessen lassen können. Indirekt trägt der Steuerzahler das Risiko dieser Investitionsstrategie.

Schritt zwei: Hol das Geld, wo der Widerstand am geringsten ist.

Der Strompreis für Konsumenten besteht aus dem Energietarif als Preis für die gelieferte elektrische Energie, dem Netznutzungstarif für den Stromtransport vom Kraftwerk bis ins Gebäude sowie einem Sammelsurium an Abgaben wie die KEV oder die Abgeltung von Konzessionen. In den letzten fünf Jahren ist der Energietarif Anteil am Strompreis massiv gesunken: Von 43 Prozent (2012) auf 35 Prozent (2016). Dies war aufgrund des gesunkenen Grosshandelspreises für Strom in Europa auch zu erwarten.

Schweizer Mythos: Turbine eines Walliser Kraftwerks in einer historischen Aufnahme aus den 1920er-Jahren. (ETH-Bibliothek, Bildarchiv)

Mythos im Schweizer Strommarkt: Turbine eines Walliser Kraftwerks in einer historischen Aufnahme aus den 1920er-Jahren. (ETH-Bibliothek, Bildarchiv)

Massiv gestiegen sind hingegen die Abgaben und – etwas geringer – der Netznutzungstarif. Insgesamt wurde die massive Reduktion des Energietarifs durch Abgaben und Netzentgelte mehr als kompensiert. Massnahmen wie die Ende Mai im Parlament beschlossene Subvention der Wasserkraftwerke dürften mittelfristig weiter preistreibend wirken. Alles in allem sind die Erhöhungen gering, umgelegt auf die Massen der Stromkonsumenten kommen aber rasch Dutzende von Millionen Franken zusammen, die eine Energiepolitik in Nöten weitermachen lässt wie bisher.

Schritt drei: Sichere dich nach Möglichkeit langfristig ab

Insbesondere Schritt eins lohnt sich, falls die Marktöffnung weiter hinausgezögert wird. Bereits 2007 wurde beschlossen, die heute «gefangenen» Kunden zu befreien. Ende 2014 präzisierte der Bundesrat, der Strommarkt werde 2018 komplett liberalisiert werden. Doch vor kurzem teilte er mit, er wolle mit diesem Schritt zuwarten. 2017 soll eine Standortbestimmung den weiteren Weg aufzeigen. Die damit auf unbestimmte Zeit verschobene Liberalisierung unterstützt die Übernahme von Anteilen an Energieerzeugern oder einzelnen Kraftwerken durch Investoren. Die heute im Vergleich zum Grosshandelspreis höheren Gestehungskosten können noch während Jahren den gefangenen Kunden weiterverrechnet werden.

Die öffentlichen Eigentümer sind gefordert, ihre Eigentümerstrategien aufzudatieren – sofern sie überhaupt existieren. Dabei muss der Weg zum Ausstieg des Staates aus der Energiebranche explizit ausgeführt werden. Ein Weiterwursteln wie in den letzten Jahrzehnten ist ein zu grosses Risiko für die Steuerzahler und Stromkonsumenten. Marignano lehrt uns: Die Nichteinmischung in fremde Händel, mythisch umgedeutet als Neutralitätspolitik, sollte vermehrt auch in der Energiepolitik zum Tragen kommen. Eine «neutrale» Politik respektive mehr Markt und weniger politische Einflussnahme, verbunden mit einer massiven Reduktion des öffentlichen Eigentums, sollten die Leitlinien für die Zukunft sein.

Dieser Artikel ist in der «Handelszeitung» vom 21. 7. 2016 erschienen.