Pünktlich veröffentlicht die Entwicklungsorganisation Oxfam jeweils zu Beginn des WEF ihren Armutsreport. Die maximale Aufmerksamkeit in den Medien ist damit garantiert. Auch dieses Jahr berichtet Oxfam von einer dramatisch wachsenden Ungleichheit. Mit erhobenem Zeigefinger wird die liberale Wirtschaftsordnung dafür verantwortlich gemacht.

Doch Oxfam kombiniert bei ihren Datenquellen sprichwörtlich Äpfel mit Birnen, sie verknüpft die globalen Vermögensanalysen der Credit Suisse mit den Armutszahlen der Weltbank. Für den Ökonomen Branko Milanovic, dem weltweit führenden Forscher zu Ungleichheitsfragen, ergibt diese Kombination wenig Sinn, weil die Entwicklungen von unterschiedlichen Parametern abhängen, bei den Vermögen insbesondere von der Aktienkursentwicklung. «Diese Zahlen sind gut für die PR von Oxfam, aber sie sind sinnlos», so der harsche Befund von Milanovic.

Narrativ der wachsenden Ungleichheit

Doch das von Oxfam und hierzulande insbesondere im Spektrum der politischen Linken, den Gewerkschaften und Jungsozialisten verbreitete Narrativ der wachsenden Ungleichheit ist in seinen Auswirkungen auf die öffentliche Meinungsbildung nicht zu unterschätzen. So ist etwa in Deutschland die wahrgenommene gegenüber der realen Ungleichheit – gemessen am Gini-Koeffizienten – im öffentlichen Bewusstsein stark eingeprägt. Im gleichen Atemzug, in dem Oxfam trotz fragwürdiger Datenkombination die Ungleichheit kritisiert, wird als Abhilfe mehr Umverteilung und eine höhere Besteuerung der Vermögenden und der obersten Einkommen propagiert; aktuelle Steuerinitiativen der Schweizer Jungsozialisten folgen dieser Argumentation.

Der heilige St. Martin, Symbolfigur der Barmherzigkeit, auf einer alten Schweizer 100-Franken-Banknote. (vug.)

Den offenkundig ideologischen Motiven und jenen, die unter dem Deckmantel der vermeintlich wachsenden Ungleichheit für noch mehr Umverteilung und eine Abkehr von der marktwirtschaftlichen Ordnung eintreten, sind Fakten gegenüberzustellen: Im Jahr 1800 lebte die Weltpopulation mehrheitlich in Armut – mit Ausnahme einer schmalen Elite aus Adel und Unternehmern. Auch 1975 war die Welt noch stark von Armut geprägt. Doch 40 Jahre später befindet sich die Mehrheit der globalen Bevölkerung über der Armutsgrenze.

Ungleichheit auf dem Rückzug

Seit Beginn dieses Jahrtausends nimmt die Ungleichheit deutlich ab. Alleine in Asien entkamen Hunderte von Millionen Menschen aus der Armut und stiegen in den Mittelstand auf. Die extreme Armut reduzierte sich weltweit um mehr als die Hälfte, gesamthaft stieg die Lebenserwartung um 8%. Gerade unser Land tut gut daran, jenen Kreisen, die den Vermögens- und Einkommenszuwachs regulieren und umverteilen wollen, die Relationen in Erinnerung zu rufen. Die Schweiz zeichnet sich durch eine ausgeglichene Einkommensverteilung aus. Eine Polarisierung ist nicht feststellbar – doch zugleich droht das Risiko, dass die Polarisierung der Meinungen infolge einseitig interpretierter Daten zunimmt.

Dieser Beitrag ist am 7. Februar 2019 in der «Handelszeitung» unter dem Titel «Sinnlos, aber gut für die PR» erschienen.