In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird das Risiko, das einem Unternehmen aus einer Schädigung seines Rufes entstehen kann, als Reputationsrisiko bezeichnet. Die wirtschaftlichen Auswirkungen äussern sich vor allem im Abwandern von Kunden, und damit in einer Umsatzeinbusse. Die Reputation eines Unternehmens ist deshalb ein wichtiger immaterieller Vermögenswert, der im Wettbewerb durch Kundenbindung strategische Vorteile zu bilden vermag. Für das Management der Unternehmensreputation gibt es mittlerweile ausgefeilte methodische Messkonzepte. Diese zeigen, was passieren kann, wenn ein Unternehmen in Branchen-Rankings zurückfällt. Mögliche Konsequenzen sind, dass dessen Börsenwert sinkt, oder die Prämie eines Credit Default Swap (CDS), mit dem die Insolvenz des Unternehmens abgesichert werden kann, steigt. Wie aber steht es um die Reputation eines Landes?

Das Reputationsrisiko der Schweiz

Sucht man in Verwaltungsdokumenten des Bundes nach einer entsprechenden Definition bzw. nach einem handhabbaren Konzept zur Messung der Reputation, so sucht man vergebens. Und dies, obwohl das Reputationsrisiko mittlerweile zu einem geläufigen Begriff im Gesetzgebungsprozess geworden ist. So wird etwa im Positionspapier der Finma zu den Rechts- und Reputationsrisiken im grenzüberschreitenden Finanzdienstleistungsgeschäft vom 22. Oktober 2010 der Begriff zwar mehrmals erwähnt, ohne dass er jedoch präzis umschrieben würde. Die Finma gibt aber der Erwartung Ausdruck, dass die angesprochenen Finanzintermediäre ihre Reputationsrisiken einer vertieften Analyse unterziehen. Ebenso verhält es sich mit der Antwort des Bundesrates zum Postulat Fässler «Die Rolle der Schweiz als Sitzstaat von Rohstoff-Handelsfirmen» vom 9. Dezember 2011. Demzufolge ist sich der Bundesrat bewusst, dass in der Schweiz niedergelassene Rohstoffunternehmen ein Reputationsrisiko für das Land darstellen könnten, sollten diese bei der Ausübung ihrer Handels- oder Abbautätigkeiten in Entwicklungsländern Menschenrechte sowie Sozial- und Umweltstandards verletzen. Er schlägt deshalb im «Grundlagenbericht Rohstoffe» vom 26. März 2014 17 Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen und zur Reduktion von Risiken – einschliesslich der Reputationsrisiken – vor. Sie reichen von Massnahmen zur Verbesserung der Transparenz, der Stärkung des Dispositivs zur Geldwäschereibekämpfung über den Ausbau des Dialogs bis zum Monitoring der ausländischen Presse. Im Erläuternden Bericht des Bundesrates zum Bundesgesetz über Finanzdienstleistungen (FIDLEG) und zum Bundesgesetz über Finanzinstitute (FINIG) heisst es, dass das FIDLEG auch «der internationalen Entwicklung Rechnung trägt, so dass Reputationsrisiken für die Schweiz vermindert und Möglichkeiten zur Einhaltung und Verbesserung des bilateralen Marktzutritts geschaffen werden (S.169)».

Unbestimmte Begriffe öffnen der Rechtssetzung Tür und Tor

Aus dieser kurzen Übersicht folgt, dass die Reputation eines Landes weder direkt sicht– noch messbar ist. Der Begriff wird stark von Gefühlen und vom aktuellen Zeitgeist geprägt. Wann ist der Ruf der Schweiz gefährdet? An welchen Kriterien soll die Gefährdung gemessen werden? Genügen dafür Verfehlungen von einzelnen Unternehmen, vor allem natürlich von Multis? Lässt sich aufgrund von einigen negativen Zeitungsartikeln in der internationalen Presse auf ein erhöhtes Reputationsrisiko der Schweiz schliessen? Oder braucht es dafür eine schlechtere Bonitätseinstufung seitens der internationalen Ratingagenturen? All dies zeigt, dass das Reputationsrisiko eines Landes ein schillernder Begriff ist, der beliebig interpretierbar ist und somit auch leicht politisch missbraucht werden kann. Umso problematischer ist es, wenn er leichtfertig zum Ausgangspunkt von Gesetzgebungsprojekten genommen wird, wie das in letzter Zeit häufig der Fall ist.

Strengere Anforderungen an die Regulierung

Nach dem kürzlich veröffentlichten «Regulierungs-Quality–Check» von Avenir Suisse (Diskussionspapier «Auswege aus dem Regulierungsdickicht») sollten regulatorische Eingriffe ein klares Ziel haben, und es muss ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der vorgeschlagenen Regulierung und dem angestrebten Ziel bestehen. Das erfordert, dass mit inhaltlich klar definierten Begriffen operiert wird. Andernfalls besteht leicht die Gefahr einer kostspieligen Überregulierung. Die polit-ökonomische Literatur lehrt und zeigt, dass Verwaltungen gerne mit unbestimmten Begriffen und diffus formulierten Zielen arbeiten. Nicht nur wird dadurch ihr Handlungs- und Ermessensspielraum erweitert, sondern es erschwert auch die Überprüfung der Regulierung hinsichtlich deren Effektivität und Effizienz. Einige der jüngsten Gesetzesvorlagen des Bundesrates zum Finanzmarkt hätten diesen Regulierungs-Check wohl kaum bestanden.

Die Schweiz sollte internationale Standards oder Regulierungen nicht übereilt und ungeprüft übernehmen, um vermeintlichen Reputationsrisiken aus dem Weg zu gehen und als Musterschüler dazustehen. Vielmehr sollte sie im Interesse der Stärkung ihres Standortes eine Regulierungspolitik verfolgen, die hinsichtlich marktwirtschaftlicher Stringenz, Rechtsstaatlichkeit und Verlässlichkeit der Rahmenbedingungen höchsten Ansprüchen genügt.