Die Elektrizitäts- und Stromversorgungsunternehmen der Schweiz stehen politisch in der Kritik. So beklagte sich Bundesrätin Sommaruga, dass hiesige Unternehmen in erneuerbare Stromproduktion im Ausland statt der Schweiz investieren. Werden aber im Inland neue Windräder oder Staumauern geplant, legen sich nicht selten links-grüne Politiker und NGO quer. Denn es findet sich immer ein von einem Rotorblatt tödlich getroffener «König der Lüfte» oder ein schützenswertes Moor, um den Ausbau zu blockieren. Investitionen in die Schweizer Energieproduktion sind teurer als im Ausland. Schuld ist für einmal nicht unser hohes Preisniveau, sondern die verschiedenen Rechtsmittel, die zeitraubend sind und letztlich die Investitionen verteuern oder gar verunmöglichen.
Nicht besser geht es dem Netzausbau: Die Inbetriebnahme einer neuen Hochspannungsleitung dauert Jahrzehnte. Im Fall des Projekts Chippis–Mörel dürften es im optimalen Fall 24 Jahre sein, bis 2025 erstmals Strom fliesst. Die Leitung soll dereinst Walliser Wasserkraft in die Ballungszentren des Schweizer Mittellandes transportieren. Ohne das neue Netz kann die bereits installierte Kapazität der Wasserkraft nur unvollständig ausgeschöpft werden. Angesichts der Rahmenbedingungen ist es nicht überraschend, dass sich Schweizer Stromkonzerne lieber im Ausland engagieren.
Dabei müsste die Schweiz dringend vorwärtsmachen, um die Versorgungssicherheit auch in Zukunft zu gewährleisten. Bereits seit Jahren identifiziert das Bundesamt für Bevölkerungsschutz – in einem regelmässig aktualisierten Bericht – eine Strommangellage als grösstes Risiko für die Schweiz. Die Rolle des Staates ist dabei zwiespältig. Einerseits gibt er Schub bei der Nachfrage: Er fördert die Elektrifizierung der Mobilität und Wärmepumpen mit Dutzenden von Subventionstöpfen und einer Heerschar an öffentlich besoldeten Energieberatern. Andererseits bremst er durch die bestehende Regulierung die Angebotsseite aus, wichtige Ausbauprojekte liegen brach.
Dies ist umso verwirrender, als die meisten Stromproduzenten und Verteilnetzbetreiber im Besitz von Kantonen oder Gemeinden sind. Sie haben ihren Unternehmen nicht selten Gewinnziele verordnet, das zusätzliche Geld ist ein willkommener Zustupf zum Staatshaushalt. Die operative Führung der Firmen agiert folglich in einem Spannungsverhältnis zwischen politisch motivierten Ansprüchen, rechtlichen Einschränkungen und betriebswirtschaftlichen Zielen.
Jüngster Akt in der Beziehung Politik–Stromunternehmen ist das Ersuchen von Alpiq um Bundesgelder zur Überbrückung eines Liquiditätsengpasses. Ursache waren vor allem die stark gestiegenen Energiepreise, die eine höhere finanzielle Absicherung bei einem Stromhandel über die Börse erfordern. Letztlich musste der Bund nicht einspringen, die Aktionäre – es sind zum grössten Teil Elektrizitätsunternehmen im Besitz von Kantonen und Gemeinden – versorgten Alpiq mit frischem Geld. Aufatmen auf Seiten des Bundes, doch die Pandora-Büchse der Regulation ist politisch geöffnet. Denn die «Too big to fail»-Problematik stellt sich nicht nur bei der Finanzmarktstabilität, sondern auch bei der Stromversorgung.
Nicht überraschend waren deshalb sofort Stimmen zu vernehmen, die eine engere Überwachung der Unternehmen durch staatliche Stellen forderten. Doch die Frage der Systemrelevanz eines Stromkonzerns bemisst sich nicht nur an der reinen Grösse, sondern auch an seinen rechtlichen und finanziellen Verflechtungen innerhalb der Branche, unter anderem auch aufgrund seiner Lieferbeziehungen. Es gilt Aufwand und den Nutzen einer allfälligen neuen Regulation genau abzuschätzen.
Wäre es nicht ehrlicher, das Theater sein zu lassen? In der Schweiz spielen wir Strommarkt und gaukeln eine Unabhängigkeit der Unternehmen vor, die faktisch nicht vorhanden ist. Wir haben eine ordnungspolitisch höchst bedenkliche Situation geschaffen und sollten endlich den Mut haben, den Strommarkt zu öffnen und die Privatisierung der Elektrizitätsfirmen an die Hand zu nehmen. Gleichzeitig ist ein Notfallplan zu etablieren, der beim Konkurs eines privaten Stromerzeugers den temporären Weiterbetrieb systemkritischer Funktionen und Infrastruktur garantiert, um grösseren Schaden von der Volkswirtschaft abzuwenden.
Ein erster Schritt wäre mehr Transparenz zu schaffen, beispielsweise durch die Pflicht zur Veröffentlichung von Insiderinformationen. Dazu gehört z.B. die Anzeige der Nichtverfügbarkeit von Übertragungsinfrastruktur sowie weiterer Informationen zum Strommarkt. Die EU kennt dafür die Verordnung über die Integrität und Transparenz des Energiegrosshandelsmarkts (Remit-Verordnung), eine parlamentarische Initiative will dies nun auch in der Schweiz erreichen. Durch die zunehmende Abkoppelung des Schweizer Marktes von der EU und die damit einhergehende Reduktion der Liquidität wird es immer wichtiger zu wissen, wie sich die Schweizer Akteure im Strommarkt verhalten. Das Monitoring dieser Aktivitäten gewinnt an Relevanz.
Es ist die Politik, die zum Handeln aufgerufen ist. Mit der Kritik an den Stromunternehmen wird nur von der eigenen Verantwortlichkeit abgelenkt.