«24 heures»: Die SP hat eine Volksinitiative zur Plafonierung der Krankenkassenprämien auf 10 Prozent des verfügbaren Einkommens lanciert. Was halten Sie davon?

Jérôme Cosandey: Ich denke, dass man mit dieser Volksinitiative das Übel nicht an der Wurzel packt, sondern nur die Symptome bekämpft. Es wird nicht versucht, die Kosten in den Griff zu bekommen. Letztendlich werden die Bürger diese Kosten tragen, sei es in Form von Steuererhöhungen oder durch Streichung staatlicher Leistungen.

Wirklich?

Ja, der Staat und die Krankenkassen bezahlen nichts aus der eigenen Tasche, dies tun immer die Bürgerinnen und Bürger als Prämien- oder Steuerzahler. Gelingt es nicht, das Wachstum der Gesundheitskosten zu bremsen, bleibt keine andere Wahl, als die Steuern zu erhöhen oder bei anderen Budgetposten den Rotstift anzusetzen, um die Kosten dieser Volksinitiative zu tragen. Betragen diese Kosten beispielsweise 800 Millionen Franken, müsste man diese Mittel an einem anderen Ort einsparen. Betroffen sein könnten: das Bildungssystem, die Strasseninfrastruktur, die Umwelt oder der öffentliche Verkehr. Es müssten Entscheidungen gefällt werden, die auch den Mittelstand tangieren würden.

Die Spitäler gehören zu den grössten Kostentreibern im Schweizer Gesundheitswesen. (Piron Guillaume; unsplash)

Was empfehlen Sie, um das Kostenwachstum im Gesundheitswesen zu bremsen?

Es gibt mehrere Möglichkeiten. Zuerst gilt es, die Spitalpolitik zu verbessern und den Kantönligeist zu bekämpfen. Die vom Volk abgelehnten Neustrukturierungen des Spitalwesens in Neuenburg und kürzlich in Basel stehen exemplarisch für diese Problematik. Die Spitäler verursachen einen Drittel der gesamten Gesundheitskosten und müssen sich spezialisieren – innere Medizin, Knieoperationen etc. Es können nicht alle die gleichen Leistungen anbieten. Kurzum: Man muss Exzellenz fördern und überdimensionierte Strukturen von schlechter Qualität abbauen. Dabei stösst man auf ähnliche Herausforderungen wie bei Umweltproblemen: Alle sind einverstanden, solange nur die Anderen tatsächlich handeln müssen.

Welche weiteren Möglichkeiten gibt es?

In der Alterspflege könnten zwei Milliarden Franken im Jahr eingespart werden, wenn alle Kantone nur schon Strukturen schaffen würden, die mindestens so effizient sind wie der derzeitige schweizerische Durchschnitt. Auch ist der Mangel an Transparenz bei Behandlungen in Arztpraxen zu bedauern. Denn auch wenn die Mehrheit der Ärzte sehr gute Arbeit leistet, ist es aufgrund fehlender angemessener Kontrollmechanismen schwierig, die schwarzen Schafe aufzuspüren. Liegt der diagnostizierte Diabetes bei einem Patienten wirklich vor? Ist die vorgeschlagene Behandlung wirklich sinnvoll? Dies kann nicht nachgeprüft werden, was einen hohen Preis hat.

Und die Franchisen?

Das System der Franchisen ist interessant. Die Erhöhung oder die Verknüpfung der Mindestfranchise mit dem Kostenwachstum gilt es genau zu prüfen. Ein Teil der Gesundheitskosten fällt durch kleine Behandlungen an, die ohne grosse finanzielle Belastung von den Haushalten selbst getragen werden könnten. Zudem müssen besondere Versicherungsformen, namentlich Managed-Care-Modelle, gefördert werden.

Müsste man dafür nicht die freie Arztwahl aufgeben?

In einem gewissen Rahmen freiwillig auf die freie Arztwahl zu verzichten, erlaubt es, dem Prämienanstieg wesentlich entgegenzuwirken. Ist es denn wirklich ein Problem, vor der Konsultation eines Spezialisten einen Gatekeeper oder Hausarzt zu besuchen? Ich finde nicht. Im Gegenteil, ich bin davon überzeugt, dass sich dadurch die Qualität verbessert. Es ist auch vorstellbar, dass Patienten beim Besuch einer Notfallstation eine Gebühr entrichten müssten, um die Behandlung von blossen Bagatellfällen zu reduzieren. Des weiteren muss man über eine einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Behandlungen nachdenken. Im Krankenversicherungsgesetz ist deren Finanzierung unterschiedlich geregelt, wodurch es zu Fehlanreizen bei der Wahl von Behandlungen kommt. Diese Dinge müssen korrigiert werden.

Interview: Nicolas Pinguely. Übersetzung: Fabio Wüst

Dieses Interview ist in französischer Sprache am 26. Februar 2019 bei «24 heures» erschienen. Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.