Demografie – war da nicht was? Seit Jahren wird vor den Folgen des demografischen Wandels gewarnt: Überalterung der Bevölkerung, Überlastung des Rentensystems, Fachkräftemangel, sinkende Steuereinnahmen, zurückgehende Innovationsdynamik, schwindende Wachstumskräfte. Aber von all dem war im Alltag wenig zu spüren und entsprechend abstrakt blieb die Sorge über die Vergreisung der Gesellschaft. In der Tat befanden wir uns bislang in der «Latenzphase» des demografischen Wandels. Diese geht nun zu Ende. Fortan werden die Folgen des Alterungsprozesses zunehmend spürbar. Wir stehen an der Schwelle einer grossen Pensionierungswelle – jener der Babyboomer.

Die demografische Entwicklung von Gesellschaften ist ein schleichender Prozess und manche Ereignisse, die ein bis zwei Generationen zurückliegen, haben oft weitreichende Auswirkungen im Hier und Jetzt. Zu diesen gehört der «Babyboom» infolge des Wirtschaftsaufschwungs nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs: Ab den 1940er Jahren erlebte die Schweiz einen rasanten Anstieg der Geburtenraten, der in zwei Wellen verlief und 1964 seinen Zenit erreichte (vgl. Grafik 1). Dann wurde die «Antibabypille» erfunden, und mit ihr kam der «Pillenknick»: Die Geburtenrate fiel kontinuierlich, bis sie sich Mitte der 1970er Jahre auf niedrigem Niveau stabilisierte. Dieses demografische Muster teilt die Schweiz mit den meisten Ländern der westlichen Welt, mit gewissen Unterschieden. So setzte etwa in den USA der Kindersegen direkt nach Kriegsende ein, während stark zerstörte Länder wie Deutschland zunächst einmal mit dem Wiederaufbau beschäftigt waren. In Frankreich hingegen fiel der langfristige Geburtenrückgang nach dem Pillenknick weniger dramatisch aus.

Mit den Babyboomern altert die Gesellschaft

Die Babyboomer entfalteten über die Jahrzehnte einen prägenden Einfluss auf die Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur – zum einen aufgrund ihrer grossen Zahl, zum anderen, weil sie eine vergleichsweise homogene Generation sind. In den verschiedenen Phasen ihres Lebenszyklus prägt die Generation der Babyboomer die Gesellschaft auf unterschiedliche Weise. Jetzt, da sie in die Jahre kommt, altert mit ihr die gesamte Gesellschaft.

Bevor die sich daraus ergebenden Folgen und Probleme beschrieben werden, sollte zwischen zwei verschiedenen Abgrenzungen der Babyboomerjahrgänge unterschieden werden. Gemäss gängiger Definitionen zählen zu den Babyboomern die Geburtsjahrgänge 1945 (Ende des Zweiten Weltkriegs) bis 1964 (als der Höchststand der Geburten erreicht wurde und der Pillenknick einsetzte). Von nun an gehen jährlich immer geburtenstärkere Jahrgänge in Rente – bis 2030 wird die Zahl der Neurentner Jahr für Jahr weiter steigen. Bereits 2016 sind erstmals mehr inländische Arbeitskräfte aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden als nachgerückt. Es wird also ernst mit dem demografischen Wandel.

Eine sinnvollere (wenn auch unübliche) Abgrenzung der Babyboomergeneration wären die zehn geburtenstarken Jahrgänge vor und nach dem Pillenknick (1961–1971). Der Alterungsprozess wird in Grafik 2 anhand dieser Jahrgänge dargestellt. Besonders heikel wird es aus gesellschaftlicher Sicht, wenn diese Jahrgänge das Rentenalter erreichen bzw. ein Alter, in dem viele pflegebedürftig werden (ca. 80 Jahre). Diese Schwellenjahre sind in der Grafik markiert.

Die Folgen sind in allen Bereichen spürbar

Mit dem Eintritt der Babyboomerjahrgänge in das Renten- alter beginnt nun gewissermassen die heisse Phase des demographischen Wandels. Diese hat weitreichende Konsequenzen – insbesondere auch auf das wirtschaftliche Wohlergehen unseres Landes. Was bedeutet das konkret?

  • Rentensystem: Durch die Pensionierung der geburtenstarken Jahrgänge wächst das Heer der Rentenempfänger, während die Zahl der Beitragszahler abnimmt. Auch in den anderen Sozialwerken sorgt das Ungleichgewicht zwischen den erwarteten Leistungen und ihrer Finanzierung für erhöhten Druck.
  • Arbeitsmarkt: Da die in den Arbeitsmarkt nachrückenden Schulabgänger aus geburtenschwachen Jahrgängen stammen, sinkt ohne Zuwanderung die Zahl der Arbeitnehmer und Fachkräfte. Steigende Kosten und längere Suchdauern bei den Unternehmen sind die Folgen.
  • Wachstum: Der sinkende Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung dämft das Wirtschaftswachstum pro Kopf, zumal mit zunehmendem Durchschnittsalter auch die Innovationskraft sinkt. Das Wohlstandsniveau stagniert. In einem Umfeld mit geringem Wachstum nehmen die politischen Verteil- kämpfe tendenziell zu.
  • Staatsfinanzen: Weniger Arbeitskräfte und Wirtschaftswachstum bedeuten tendenziell weniger Steuersubstrat. Gleichzeitig steigen die Ausgaben des Staates infolge des demographischen Wandels, insbesondere in den Bereichen Sozialleistungen, Gesundheit und Pflege.
  • Politik: Mit der Pensionierung der Babyboomer verschieben sich die politischen Mehrheiten von den Jungen zu den Alten, von den Beitrags- und Steuerzahlern hin zu den Nettoempfängern staatlicher Leistungen. Eine wachsende Staatsquote dürfte die Folge sein.

Die notwendigen Reformen jetzt anpacken

Insgesamt werden die Handlungsspielräume der Politik ab- und die Verteilkonflikte zunehmen. Um die negativen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen des bevorstehenden Alterungsschubs abzumildern, ist es Zeit für beherzte Reformen:

  • Sozialwerke: Erhöhung des Renteneintrittsalters, Senkung des Umwandlungssatzes in der zweiten Säule, Sanierung der AHV, Massnahmen gegen das kontinuierliche Wachstum der Sozialausgaben.
  • Arbeitsmarkt: Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte, Erhöhung der Erwerbsquote bei Frauen durch eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit Einführung der Individualbesteuerung, flexiblere Arbeitsmodelle für ältere Arbeitnehmer, Massnahmen zur Weiterbildung.
  • Wachstum: Rahmenbedingungen, die die Produktivität erhöhen – wie Abbau von Regulierungen sowie eine Standort-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik, die das Innovationspotenzial stärken.
  • Staatsfinanzen: Ausgabendisziplin (insbesondere bei den stetig steigenden konsumtiven Ausgaben), Abbau von Subventionen, eine konsequente Einhaltung der Schuldenbremse.

Migration verzögert die gesellschaftliche Alterung

Das Migrationsland Schweiz erlebt seit vielen Jahren eine starke Einwanderung und die Zuwanderer sind durchschnittlich jünger als die angestammte Bevölkerung. Dadurch wird die Alterung der Gesamtbevölkerung gedämpft bzw. zeitlich verzögert. Die Migration wirkt also wie eine Frischzellenzufuhr für die Gesellschaft und für die Wirtschaft – zumal die Zuwanderung dank der Personenfreizügigkeit vor allem eine Zuwanderung von Arbeitskräften ist. Die Folgen der Alterung der Babyboomer sind in der Schweiz also nicht so stark ausgeprägt wie in Ländern mit geringer Zuwanderung.

Den gleichen Effekt hat die Binnenmigration innerhalb der Schweiz auf der regionalen Ebene: Kantone und Gemeinden mit Abwanderung altern deutlich schneller. So sind demografische Indikatoren in einigen entlegenen Talschaften vergleichbar mit jenen in Ostdeutschland oder in der französischen Provinz. Zu den Profiteuren der Wanderungsbewegungen hingegen gehören die Städte und Agglomerationen des Mittellandes. Bei ihnen wirkt die Zuwanderung wie ein Jungbrunnen. Die Diskrepanz zwischen Regionen, die durch Zuwanderung «jünger» werden und jenen, die durch Abwanderung «altern», zeigt sich an den grossen Unterschieden beim Durchschnittsalter der Bevölkerung in den Kantonen. Dieses reicht von 39 Jahren in Fribourg bis zu 44 Jahren im Tessin. So durchleben einige Landesteile bereits heute demografische Entwicklungen, die auch auf den Rest der Schweiz in den nächsten Jahren zukommen werden.

Wer folgt den abtretenden Babyboomern?

Derzeit befinden sich die geburtenstärksten Jahrgänge der Babyboomer vermutlich auf dem Zenit ihrer Schaffenskraft, viele von ihnen besetzen Schlüsselpositionen in privaten Unternehmen und in der staatlichen Verwaltung, in der Kultur und in der Wissenschaft. Sie prägen viele Institutionen und gesellschaftliche Diskurse – aber ihre Tage sind gezählt. Interessant ist deshalb, welche Generationen den Babyboomern folgen werden und wie sie mit ihren spezifischen Eigenschaften die Schweiz von morgen prägen werden. Wer sind die Erben der Babyboomergeneration? Es lassen sich anführen:

  • Generation X: Die auf die Babyboomer folgenden Geburtsjahrgänge bis ca. 1980 werden als «Generation X» bezeichnet. Zu den ihnen gemeinhin zugeschriebenen Merkmalen zählen ein hohes Bildungsniveau, ein ausgeprägtes Konsumverhalten und Individualismus.
  • Generation Y: Die Jahrgänge 1980–1999 werden der «Generation Y» zugeordnet. Ihre Vertreter gelten als gut ausgebildet und technologieaffin, sie stellen gerne althergebrachte Konventionen in Frage und legen Wert auf Selbstverwirklichung. Ihnen folgen die
  • Millennials, die stark von der Digitalisierung und insbesondere auch von den sozialen Medien geprägt sein werden.

Mit dem allmählichen Abtreten der Babyboomer aus dem aktiven Arbeitsleben kommt es zu einer grundlegenden Verschiebung im Generationengefüge. Die Erben der Babyboomer sind geprägt durch andere Erfahrungen, Werte, Eigenschaften und Verhaltensweisen. Aber: was erwartet sie in der Welt, die die Babyboomer aufgebaut haben, um sie ihnen nun zu übergeben?

Die Generation der Baby-Boomer geht in Rente. Dies wird vielfältige Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft in der Schweiz haben. In einer Serie unter Projektleitung von Daniel Müller-Jentsch und in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift «Schweizer Monat» veröffentlichen wir in den Sommerwochen jeden Montag einen Beitrag zum Thema.