Für 2023 hatten die 26 Kantone gesamthaft ein Haushaltsdefizit von 1343 Mio. Fr. budgetiert, und auch 2024 sieht sich eine Mehrheit in den roten Zahlen. In der Debatte um die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen argumentieren letztere nicht selten, diese oder jene Ausgabenentwicklung sei für sie schlecht verkraftbar, der Bund müsse mitfinanzieren. So arbeiteten die Kantone jüngst darauf hin, dass der Bund sich auch nach dem auslaufenden Impulsprogramm mit wesentlichen Beiträgen an der Finanzierung von Kindertagesstätten beteiligt.

Müssen wir uns Sorgen machen? Nein und Ja. Nein in Bezug auf die kantonalen Finanzen. Ja in Bezug auf das zunehmende Selbstverständnis der Kantone als Bittsteller beim Bund.

Kantone mit unerwarteten Überschüssen

Die kantonalen Finanzen sehen meist viel besser aus als in der Budgetierung angekündigt. Seit 2016 budgetierten die Kantone immer wieder Defizite, um dann teilweise erhebliche Überschüsse zu erzielen. Die Unterschiede resultierten nicht aus überschätzten Ausgaben, sondern aus unterschätzten Einnahmen – sowohl fiskalischen (Steuern) als auch nicht-fiskalischen (Transfers, Entgelte, Regalien, Konzessionen). Von 2016 bis 2020 wurden diese Erträge im kantonalen Durchschnitt jedes Jahr um 3% bis 6% unterschätzt, in den Jahren 2021 und 2022, deren Budgetierungen unter dem Eindruck der Covidkrise erfolgten, nahm die Unterschätzung mit bis zu 15% neue Dimensionen an. Gesamthaft hätten die Kantone von 2016 bis 2022 auch mit einer um 10% niedrigeren Einkommenssteuer oder mit einer Senkung aller direkten Steuern um 5,6% noch einen ausgeglichenen Staatshaushalt erreicht.

Bis Covid war beim Bund eine ähnliche Situation zu beobachten, wie für die Kantone beschrieben: Seine Jahresrechnung fiel seit Einführung der Schuldenbremse (2003) meist deutlich besser aus als budgetiert und er schrieb wiederholt substanzielle Überschüsse. Nicht zuletzt profitierte der Bund in den letzten Jahrzehnten davon, dass die Kantone ihre Unternehmenssteuern senkten. Das führte zu einem grossen Zuwachs an steuerbaren Gewinnen, was wegen der auf Bundesebene unveränderten Besteuerung zu einem deutlichen Wachstum der entsprechenden Steuererträge führte. Anders als bei den Kantonen trugen auch systematisch niedriger als budgetiert ausfallende Aufwände zu den Überschüssen bei. Auf diese Weise hatte der Bund vor Covid seine Schulden sozusagen unabsichtlich um 32 Mrd. Fr. reduziert.

Bundeshaus in Bern, Schweiz, mit Landesfahne und Kantonsfahnen.

Mittelfristig rechnet der Bundesrat mit einem strukturellen Defizit von 3 bis 4 Mrd. Franken. (Adobe Stock)

Bund mit finanziellen Restriktionen

Wegen verschiedener Entwicklungen dürften auf den Bund nun aber finanziell schwierigere Zeiten zukommen: Erstens hat er sich vorgenommen, die Covid-Schuld innerhalb von 12 Jahren mit laufenden Überschüssen abzubauen. Zweitens soll das Budget für die Landesverteidigung bis 2035 auf 1% des BIP erhöht werden, was einer Erhöhung der Armeeausgaben gegenüber heute um 5 Mrd. Fr. entspräche. Drittens wird auch die AHV teurer. Mittelfristig rechnet der Bundesrat mit einem strukturellen Defizit von 3 bis 4 Mrd. Franken.

Ein Problem dabei: Eine Steuererhöhung ist für den Bund keine einfache Sache. Bei den Unternehmenssteuern erhebt er schon den verfassungsrechtlich maximal erlaubten Satz von 8,5%. Auch bei den Einkommenssteuern wird der maximal erlaubte Durchschnittssteuersatz von 11,5% schon heute erreicht. Eine proportionale Steuererhöhung, ähnlich wie die Kantone sie durch Anpassung ihres Steuerfusses erzielen können, ist darum auf Bundesebene nur schwer möglich. Sie bräuchte eine Verfassungsänderung und damit die zwingende Befragung des Souveräns. Eine verfassungskonforme Option wäre, alle Einkommensgrenzen der Steuertarife proportional zu senken, so dass schon tiefere Einkommen in höheren Steuertarifstufen landeten. Aber das hätte womöglich unerwünschte Verteilungseffekte. Eine weitere Option wäre die Anpassung der Tarife selber, inkl. deren Abstufungen. Doch diese sind seit dreieinhalb Jahrzehnten unverändert, eine Anpassung ist folglich kein «business as usual».

Kantone verkennen föderalistische Prinzipien

Nicht nur wegen der Geldsorgen des Bundes sind die Forderungen der Kantone mit Skepsis zu betrachten. Dass sie finanziell – entgegen ihrer gelegentlichen Verlautbarungen – nicht am Hungertuch nagen, wurde eingangs beschreiben. Infolge der wiederholten Überschüsse weist die Hälfte der Kantone heute eine negative Nettoverschuldung auf. Ihr Finanzvermögen übersteigt also ihr Fremdkapital. Das ist nicht sinnvoll, denn Kantone sind keine Investmentfonds – und dieses Anhäufen von Vermögenswerten ist auf Kosten der bisherigen Steuerzahlenden gegangen.

Doch auch wenn die Kantone klamm wären, wäre das «Wir können uns das nicht leisten»-Argument verfehlt: Sie sind steuerlich autonom und haben mit dem Steuerfuss ein Instrument, mit dem sie die Steuerbelastung unkompliziert und ohne Verfassungsänderung ihren Bedürfnissen anpassen können. Wenn Leistungen teurer werden als geplant, kann ein Kanton jederzeit mit einer Erhöhung des Steuerfusses reagieren. Natürlich muss das dann vor den Stimmbürgern gerechtfertigt werden. Aber das ist schlicht Demokratie – und entsprechend eine Aufgabe, vor der sich Kantonsvertreter nicht drücken dürfen.

Das Buhlen der Kantone um Bundesbeiträge führt hingegen zu weiteren Finanzierungsverflechtungen mit dem Bund sowie zu Zentralisierungen. Und zwar zu unsachgemässen. Denn die Finanzierungsverantwortung sollte nie nach der Logik, wer sich was «leisten» kann, aufgeteilt werden, sondern gemäss den Prinzipien der fiskalischen Äquivalenz (Kongruenz von Nutzniessern, Finanzierern und Entscheidungsträgern) und Subsidiarität (die niedrigste Staatsebene, die eine Leistung effizient erbringen kann, soll sie erbringen).

Mit ihrem Ruf nach mehr Bundesgeldern verkennen die Kantone den Kern des so erfolgreichen schweizerischen Föderalismus, der diesen von der Staatsstruktur unserer Nachbarn unterscheidet. In Österreich und Deutschland erhalten die Bundesländer einen Grossteil ihrer finanziellen Mittel durch Zuteilung vom Zentralstaat. Ihre Rolle als Bittsteller ist damit sozusagen institutionalisiert. Der schweizerische Föderalismus basiert hingegen auf echter Steuerautonomie. Mit dem Ruf nach Bundestransfers schwächen ausgerechnet die Kantone selber dieses Prinzip – und dies ohne finanzielle Not.

Dieser Beitrag ist in der «Finanz und Wirtschaft» vom 31. Januar 2024 erschienen.