Die «Härte» einer Währung wird in aller Regel an ihrer Kaufkraftparität gemessen. Deshalb stösst dieses Mass in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten auf breites Interesse. Kaufkraftparitäten geben an, wie viele Einheiten inländischer Währung erforderlich sind, um den gleichen repräsentativen Warenkorb zu erwerben, den man für eine Einheit ausländischer Währung erhalten könnte. In einer perfekten und idealen Welt passt sich der Wechselkurs so an, dass diese Bedingung zwischen zwei Währungsräumen jederzeit erfüllt ist, d.h. der Warenkorb gleich hohe Geldbeträge kostet. Dieser Wechselkurs wird als kaufkraftparitätischer Wechselkurs bezeichnet.
Keine Idealwelt
Leider weicht die reale Welt in mancher Beziehung von diesem Idealzustand ab. So gibt es Handelsschranken (Zölle, Transport- und Transaktionskosten), Steuern, Subventionen, nicht handelbare Dienstleistungen usw., was im Endeffekt dazu führt, dass Kaufkraftparität kaum je gegeben ist. Vor allem kurzfristig kann der Wechselkurs erheblich von der Kaufkraftparität abweichen. Dies hängt damit zusammen, dass monetäre Störungen schnell zu Wechselkursveränderungen führen können, während sich das Preisniveau nur langsam anpasst. Langfristig sollte der Wechselkurs jedoch um die Kaufkraftparität, die im Zeitablauf variiert, schwanken.
Unterschiedliche Modelle
Für den Franken gilt, dass er gegenüber den Leitwährungen Dollar, Euro und Pfund einen langfristigen Aufwärtstrend aufweist. Dabei fällt auf, dass die Schätzungen bezüglich der Abweichung des Frankens von seiner Kaufkraftparität bzw. von seinem langfristigen Gleichgewichtskurs recht unterschiedlich sind.
So kommt auf der einen Seite die Bank Vontobel in ihrem Investment Guide vom Mai 2011 auf der Basis der unterschiedlichen Entwicklung der Produzentenpreise zum Ergebnis, «dass der Franken entgegen der allgemeinen Wahrnehmung zum Euro kaum überbewertet ist und weitgehend den fundamentalen Gegebenheiten entspricht.» Der Dollar wird kurzfristig als etwas zu billig eingestuft, weshalb mit Gegenbewegungen zu rechnen sei. Auf der anderen Seite steht die Bank Sarasin. Gemäss ihren Berechnungen liegt der faire Wert des Frankens bei einem Eurokurs von 1.40 und einem Dollarkurs von 1.14. Die Credit Suisse nimmt eine mittlere Position ein. Sie verwendet allerdings einen anderen Ansatz und bestimmt die Kaufkraftparität unter Einbezug wichtiger Fundamentaldaten (relative Preise, Produktivität, Zinsen, Aussenhandelszahlen). Laut der Grossbank wäre der Franken mit einem Euro-Kurs von 1.36 fair bewertet, unter Fr. 1.31 für den Euro gilt er als überbewertet, unter Fr. 1.27 gar als deutlich überbewertet.
Diese Beispiele zeigen zweierlei. Erstens hängt die Berechnung von Kaufkraftparitäten entscheidend von der gewählten Methode und der Untersuchungsperiode ab. Zweitens ist es eine Illusion, zu meinen, es existiere ein «richtiger» Wechselkurs; je nach Modell errechnen sich offenbar mehrere «richtige» Werte. Dies ist sowohl für die Unternehmen als auch für die Geldpolitik von Bedeutung.
Kaufkraftparitäten sind für Unternehmen bestenfalls langfristig eine Orientierungshilfe bei der Beurteilung von Wechselkursen. Ein blindes Vertrauen darauf, dass der Franken sich automatisch zur wie immer berechneten Kaufkraftparität bewegen wird, wäre deshalb gefährlich. Avenir Suisse hat im Diskussionspapier «Der harte Franken» vom Februar 2011 betont, dass immer mit Abweichungen von rund 10% in beide Richtungen der Parität zu rechnen sei. Am besten fahren Unternehmen ohne Zweifel dann, wenn es ihnen gelingt, Kosten und Umsatz nach Währungsräumen im Gleichgewicht zu halten (natürliches Hedging). Wenn jedoch die Deckungsungleichheit (mismatch) von Umsatz und Kosten nach Währungsräumen gross ist, kann es für einzelne Marktteilnehmer bei einer starken Frankenaufwertung, wie wir sie in jüngster Zeit erlebt haben, existenzbedrohend werden.
Kein Wechselkursziel für die Nationalbank
Geldpolitisch fällt ins Gewicht, dass bei der vor allem von linker Seite geforderten Verfolgung eines Wechselkursziels die klare Orientierung fehlt. An welchem der oben erwähnten Wechselkurse sollte sich die Nationalbank ausrichten? Die Frage lässt sich nicht schlüssig beantworten. Es versteht sich deshalb, dass die Nationalbank selbst keine Schätzungen von Kaufkraftparitäten veröffentlicht. Die Krux mit den Kaufkraftparitäten ist sicher ein Grund, der neben anderen wichtigen Fakten, die in einem späteren Beitrag behandelt werden, gegen die Ausrichtung der Geldpolitik an einem Wechselkursziel spricht.
Der nächste Beitrag unserer Reihe über den «harten Franken» erscheint am 2. August und wird die Devisenspekulation thematisieren.
Wo liegt die Schmerzgrenze für den Franken? – Der harte Franken (I)
Dass die starke Aufwertung des Frankens in den letzten Monaten viele Unternehmen mit Sorgen erfüllt hat, versteht sich von selbst. Es erstaunt deshalb auch nicht, dass zu diesem Zweck gerne der Begriff der «Schmerzgrenze» bemüht wird. Das war schon in früheren Aufwertungsphasen des Frankens so.
Am 27. März 2002 konnte man im Zusammenhang mit dem vorhergegangen globalen Konjunktureinbruch in einer SDA-Meldung lesen:«Für diverse Branchen der Exportwirtschaft liegt die Schmerzgrenze des Euro-Wechselkurses bei Fr. 1.50.» In der Folge schwächte sich der Franken zwischen 2004 und 2007 übermässig ab, und es kam bis zum Ausbruch der Finanzmarktkrise 2008 zu einer fast stürmischen Exportentwicklung.
Am 13. Februar 2010 wurde ein prominenter Branchenvertreter in der NZZ wie folgt zitiert: «Sinkt der Euro während mehrerer Wochen unter Fr. 1.40, dann tut es weh.» Auch nach dieser Aussage zeigten die Exporte allen Unkenrufen zum Trotz in den Folgemonaten kaum Ermüdungserscheinungen, obwohl der Margendruck ohne Zweifel zugenommen hat.
Diese Beispiele machen zweierlei deutlich: Einerseits sind Aussagen über die «Schmerzgrenze» nicht einfach für bare Münze zu nehmen. Es sind wohl vielmehr Alarmrufe an die Nationalbank und die Politik, die mehr auf subjektiven Eindrücken als auf harten, überprüfbaren Fakten basieren. Anderseits wäre es eine Illusion, zu glauben, die Wechselkursabhängigkeit der Exportwirtschaft liesse sich trotz der Heterogenität der Branchen und Unternehmen mit einem einzigen Frankenkurs-Niveau ausdrücken.
Was bieten sich aber sonst für «harte» Fakten an, um die Lage seriös zu analysieren? Im Vordergrund stehen – neben den herkömmlichen Konjunkturstatistiken – zwei Konzepte: Erstens, die Kaufkraftparitäten, die zwischen nominalen und realen Wechselkursen unterscheiden und bei Aussagen über die «Schmerzgrenze» gerne übersehen werden. Zweitens, die Indikatoren zur preislichen Wettbewerbsfähigkeit. Sie stehen im Zentrum dieses Beitrags.
Der Aufschwung im Ausland geht an der Schweiz nicht vorbei
Ein beliebtes und häufig verwendetes Mass für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes oder einer Branche ist die Wechselkurselastizität. Dabei wird von der Tatsache ausgegangen, dass sich die Exportentwicklung eines Landes grundsätzlich durch die Wirtschaftsaktivität im Ausland und die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Unternehmen erklären lässt. Letztere gibt die relative Preis- bzw. Kostenentwicklung in der Schweiz im Vergleich zu einem gewichteten Durchschnitt der schweizerischen Absatzländer wieder.
Eine Reihe von empirischen Studien zeigt, dass die langfristige Elastizität der schweizerischen Exporte gegenüber der Wirtschaftsaktivität im Ausland bei rund 2% liegt, d.h. die schweizerischen Ausfuhren nehmen bei deren Anstieg überproportional zu. Darin spiegeln sich nicht zuletzt der im Rahmen der Globalisierung zu beobachtende rasante Anstieg der weltweiten Handelsaktivitäten und die gute Integration der schweizerischen Unternehmen in die internationale Arbeitsteilung.
Etwas schwieriger ist es, den Einfluss der preislichen Wettbewerbsfähigkeit zu erfassen. Je nach Modellspezifikation (Indikatoren auf Basis Konsumenten-, Produzentenpreise oder Lohnstückkosten), Aggregationsstufe (Gesamtwirtschaft bzw. Branchen) und Schätzzeitraum ergeben sich unterschiedliche Ergebnisse, wie jüngst wieder eine Untersuchung der KOF der ETH Zürich gezeigt hat. Die geschätzten Elastizitäten für die Gesamtexporte liegen zwischen -0,2% und -0,6 %. Auf Branchen- und Länderebene ist die Schwankungsbreite grösser.
Ein guter Branchenmix für den Weltmarkt
Trotz dieser Unsicherheit über die Bedeutung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit deutet vieles darauf hin, dass die Schweizer Ausfuhren sowohl im Zeitverlauf als auch im Vergleich mit anderen Volkswirtschaften insgesamt etwas resistenter gegen nominale und reale Wechselkursschwankungen geworden sind. Allerdings haben sich auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen tendenziell vergrössert. So bewältigt die chemisch-pharmazeutische Industrie Aufwertungsschocks leichter als Teile der Maschinen-, Metall- und Elektroindustrie, die Textilindustrie oder der Tourismus.
Fügt man dieses Puzzle zu einem Gesamtbild zusammen, so kann man wohl sagen, dass die Schweizer Wirtschaft mit den zahlreichen F&E-intensiven, hochwertigen Gütern einen guten Branchenmix im Weltmarkt aufweist und die Vorteile des internationalen Vorleistungsbezugs positiv zu nutzen weiss. Weil die Elastizität der ausländischen Nachfrage gut fünfmal stärker wirkt als jene des Wechselkurses, konnte sie auch bis zuletzt von der guten Konjunktur in den wichtigen Exportländern profitieren.
Prognosen bleiben schwierig
Obwohl diese empirischen Arbeiten über die preisliche Wettbewerbsfähigkeit wichtige Einsichten vermitteln, können sie nicht einfach als Gradmesser für die Zukunft genommen werden, da sie immer auf ex-post Daten basieren. Die Frage, wie es weiter geht, lässt sich deshalb auch mit Wechselkurselastizitäten nicht ein für allemal beantworten.
So weiss man nicht zum Voraus, wie die Unternehmen auf Wechselkursschocks reagieren. Bleibt die Widerstandskraft der Exportwirtschaft erhalten? Wird die Anpassung bei einer andauernden Frankenstärke linear ablaufen oder kippt die Lage brüsk und bringt viele Unternehmen und Branchen in Schwierigkeiten? Die Lage ist auch für die Nationalbank schwierig, wie das im Februar 2011 publizierte Diskussionspapier «Der harte Franken» bereits gezeigt hat.