Für viele Investoren sind Schweizer Immobilien der Rettungsanker in Zeiten, in denen nichts mehr sicher scheint. Die Anlageklasse entpuppte sich in den letzten Jahren als eine der wenigen Krisengewinnerinnen. Gemäss der Benchmark-Agentur Investment Property Database (IPD) war 2006 – 2011 mit einem Schweizer Immobilienportfolio eine jährliche Gesamtrendite von 6,1 % zu erzielen. Über den ganzen Zeitraum errechnet sich ein Gewinn von 35%. Allerdings gibt es eine weniger erbauliche Kehrseite der Medaille: Die System- und Kapitalismuskritik im Zuge der unübersichtlich gewordenen Kaskade von Finanz-, Banken- und Schuldenkrisen hat auch den Immobilienmarkt erreicht. Dieser wird von vielen als verlängerter Arm der Finanzindustrie wahrgenommen. Besonders in den grossen Städten waren private Grundeigentümer zwar schon immer im Verdacht, für unliebsame Entwicklungen verantwortlich sein. Neu ist aber, dass die Funktionsfähigkeit des Wohnungsmarktes in globo in Frage gestellt wird. Der massive Nachfragedruck durch die anhaltende Zuwanderung agiert dabei als Katalysator für Forderungen nach weiterer Regulierung. Selbstverständlich ist eine breite und offene Diskussion um die Folgen der neuen Zuwanderung notwendig und legitim. Es sticht aber ins Auge, dass die laufende Debatte vielerorts von ökonomischer Irrationalität geprägt ist. Dies fördert die Ausbildung von allerlei Mythen, die durch ständige Wiederholung zwar nicht richtiger werden, aber mittlerweile zum Allgemeingut zählen. Dabei geht es sowohl um empirische Tatsachen als auch um grundlegende ökonomische Zusammenhänge. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich letztere noch hartnäckiger halten als erstere.
Der Mythos der grossen Umverteilung
Das wichtigste Beispiel der ersten Art (empirische Fakten) ist die These, dass die Grundbesitzer die alleinigen Profiteure der Zuwanderung sind. Es wird argumentiert, dass die Mieten rasant steigen, während die Löhne stagnieren. Die Konsequenz aus dieser Konstellation sei die Erosion der Kaufkraft auf dem Wohnungsmarkt. Dies betreffe nicht nur tiefe Einkommen, sogar der Mittelstand habe das Nachsehen. Es wird von einer Umverteilung in der Höhe von 60 Mrd. Fr. gesprochen. Dieser Betrag sei in der letzten Dekade von den Lohnempfängern zu den Grundeigentümern geflossen. Diese schöpften also die Migrationsdividende ab, was eine Umverteilung von unten nach oben bewirke.
Die Zahlen stützen diese Behauptungen nicht. Gemäss den AHV-Zahlen von 2000 – 2010 wuchsen die realen Löhne leicht stärker als die realen Mieten in bestehenden Verträgen (vgl. Abb.). Letztere unterliegen den Regeln der Kostenmiete. Sinkende Zinsen liessen wenig Spielraum für mietrechtskonforme Erhöhungen. Wer in dieser Dekade nicht umzog, wurde also bessergestellt. Bei einer mittleren Mietdauer von 10 Jahren gilt dies für knapp 40 % der Haushalte. Für die anderen 60 % sieht die Rechnung anders aus.
Bemerkenswert ist vorerst, dass die realen Mieten auf dem freien Markt – und nur die reale Sicht zählt – 2010 erst wieder den Stand der Jahre 1988 und 1994 erreichten (vgl. Abb.). Dass die Mieten noch nie so hoch waren wie heute, gehört also ebenfalls ins Reich der Legenden.
In der Periode 2000 – 2010 sind die realen Mieten zwar stärker gestiegen als in bestehenden Verträgen, aber dennoch fast im Gleichklang mit den Löhnen. Diese einfache Rechnung verfälscht zudem die wahren Verhältnisse, denn sie gälte nur, wenn man jährlich umziehen und sich wiederholt zu Marktbedingungen einmieten würde. Man kann also das Fazit ziehen, dass die Mieter-Kaufkraft auf dem Wohnungsmarkt auch in der letzten Dekade erhalten blieb.
Massive Besserstellung der Mieter seit 1970
Es kommt aber noch besser: Die Mieter konnten ihre Kaufkraft nicht nur halten, sie ist seit 1970 massiv gestiegen. Dies beweist der Blick auf die monatliche Wohnfläche, die mit einer Stunde Arbeit zu einem mittleren Lohn gemietet werden konnte (vgl. Abb.). 1970 waren das gerade einmal 2,6 Quadratmeter, 2010 hingegen 3,9 Quadratmeter. Mit anderen Worten: Für eine 100-Quadratmeter-Wohnung arbeitete man 1970 gut 40 Stunden im Monat, im Jahr 2010 reichten 25 Stunden. Ohne diese Kaufkraftzunahme wäre kaum zu erklären, warum die Wohnungen laufend grösser wurden. Auch die mittlere Wohnfläche liegt heute rund ein Viertel höher als 1970. Während man 1970 im Jahresverlauf bis zum 15. März für die Miete arbeitete, ist der Stichtag heute der 8. März. Man arbeitet heute also fast gleichlang für die Miete, kauft sich damit aber eine viel grössere Fläche. Nicht eingerechnet ist, dass Wohnkomfort und Ausstattung in dieser Zeit ebenfalls Quantensprünge vollzogen haben.
Lesen Sie nächste Woche, warum private Investoren, darunter auch Pensionskassen, fälschlicherweise für steigende Mieten verantwortlich gemacht werden.
Dieser Text erschien in der Zeitschrift «Komplex» (Ausgabe 5/2012) von Halter Unternehmungen.