Dieser Blog beruht auf alten Daten des Avenir-Suisse-Freiheitsindexes. Werte und Aussagen können daher minimal von der aktuellen Ausgabe des Avenir-Suisse-Freiheitsindex abweichen.

Der im Dezember 2015 veröffentlichte Avenir-Suisse-Freiheitsindex hat erfreulicherweise viele unterschiedliche Reaktionen bewirkt. Ziel dieses interaktiven Online-Tools ist es, die Diskussion über die ökonomische und zivile Freiheit in der Schweiz auf spielerische und vielleicht auch etwas provokative Art anzuregen, ohne dabei einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit zu erheben. Die kontroverse Debatte, die sich daraus ergeben hat, kann letztlich als Erfolg für den Freiheitsindex gewertet werden.

In einer kürzlich in der Westschweizer Zeitung «Le Temps» erschienen Kritik am Avenir-Suisse-Freiheitsindex bezweifelte Prof. Grin die Aussage, wonach Genf der unfreiste Kanton der Schweiz sei, stark. Doch Prof. Grin machte genau das Richtige. Er spielte auf der Website mit den einzelnen Freiheitskriterien und wählte nur die aus seiner Sicht wichtigen aus – wodurch der Kanton Genf ins obere Mittelfeld vorrückte. Der Freiheitsindex wurde gerade deshalb als interaktives, personalisierbares Onlinetool konzipiert: auch Avenir Suisse ist sich der Subjektivität des Freiheitsbegriffs bewusst.

Der kürzlich publizierte Index vergleicht jedes Jahr die zivilen und ökonomischen Freiheiten in den verschiedenen Kantonen. Im internationalen Vergleich belegt die Schweiz in unterschiedlichen Rankings zur Freiheitlichkeit regelmässig Spitzenplätze. Doch die ausgeprägte föderale Struktur der Schweiz überlässt in vielen Bereichen den Kantonen die Ausgestaltung ihrer Gesetze. Sie haben also einen grossen Einfluss auf die Freiheit des Einzelnen. Der Avenir-Suisse-Freiheitsindex misst diese kantonalen Unterschiede und ihre Entwicklung seit 2007 anhand von 21 Kriterien.

Die Kriterien müssen vergleichbar und messbar sein

Der Kriterienkatalog des Freiheitsindexes wird von Avenir Suisse ausführlich diskutiert und dokumentiert. Klar ist: Die Auswahl der Kriterien ist durch die Übungsanlage eingeschränkt. Die verwendeten Indikatoren müssen für alle 26 Kantone in vergleichbarer Form und über den betrachteten Zeitraum vorliegen und wenn möglich aus einer Quelle bezogen werden können. So umfasst das Kriterium «Häufigkeit von Radaranlagen» beispielsweise nur fixe, nicht aber mobile Messinstrumente – weil für letztere keine flächendeckenden Daten vorliegen.

Der Einbezug subjektiver und qualitativer Dimensionen, beispielsweise die Vielfalt des kulturellen oder sozialen Angebots, scheitert in den meisten Fällen an der Messbarkeit solcher Kriterien. Im Wissen um diese Diskrepanz zwischen messbaren und subjektiv empfundenen Freiheiten wurde der Avenir-Suisse-Freiheitsindex als Online-Tool konzipiert, bei dem der Benutzer seine eigenen Kriterien auswählen kann. Jeder soll gemäss seinen eigenen Wertvorstellungen die Kriterien so kombinieren, dass sie seine persönliche Auffassung von Freiheit möglichst treffend spiegeln. Die Diskussion über die Freiheit ist letztlich immer auch ein Ringen um unterschiedliche persönliche Definitionen.

Der Freiheitsindex ist ein relativer, kein absoluter Index

Das Kriterium «Nichtraucherschutz» verdeutlicht dies exemplarisch: Der Indikator stellt nicht die (wünschenswerte) Regulierung in diesem Bereich infrage. Gemessen wird nur, ob im Zuge der Umsetzung des Bundesgesetzes zum Schutz vor Passivrauchen in den einzelnen Kantonen weitergehende Regulierungen erlassen wurden. Ein kantonales Verbot bedienter Fumoirs schränkt etwa die Freiheit der Raucher ein, ohne etwas zum Schutz der Passivraucher beizutragen.

Ein weiteres Beispiel ist das Kriterium der Anzahl fixer Radaranlagen pro 100’000 Personenfahrzeuge. Niemand, auch kein Liberaler, behauptet, der Verzicht auf Radaranlagen sei seligmachend. Aber einzelnen Kantonen gelingt es, dasselbe Niveau der Verkehrssicherheit mit deutlich weniger Radaranlagen zu gewährleisten. Der wenig ruhmreiche Rekord von Genf als Kanton mit den meisten fixen Radaranlagen muss also noch andere Gründe haben als die Verkehrssicherheit: negative Stereotype der Politik gegenüber den Autofahrern? Die Betrachtung von Bussen als einträgliche Finanzierungsquelle? Selbst ein so einfaches Kriterium wie die Radaranlagen kann also als Ausgangspunkt für eine Grundsatzdebatte über die Freiheit dienen.

Der Freiheitsbegriff gemäss Avenir Suisse: liberal und eigenverantwortlich

Der Avenir-Suisse-Freiheitsindex basiert auf einer liberalen Werthaltung. Dies bedeutet, dass individuelle Freiheit und Eigenverantwortung im Zentrum der Betrachtung stehen. Der Staat und seine Regulierungen sind nicht per se negativ, aber Avenir Suisse hinterfragt, wie und in welchem Ausmass staatliches Handeln die Freiheit der Bürger beeinflusst.

Die Kritiker des Freiheitsindexes stehen oftmals für eine andere politische Vision ein. So scheint die Freiheit, wie sie etwa Prof. Grin versteht, vom Staat mittels einer Vielzahl an Regeln definiert und dank Subventionen garantiert zu sein. Ein Beispiel dafür ist sein Lob auf die in Genf fleissig betriebene staatliche Wohnbauförderung, die zahlbaren Wohnraum schaffe und so die Niederlassungsfreiheit garantiere. Demgegenüber sieht Avenir Suisse die Staatseingriffe und die damit verbundene Verzerrung der Investitionsanreize als Hauptgrund für die jahrzehntelange Wohnungsknappheit im Kanton Genf. 

Genfs letzter Platz als Ausdruck der Vorliebe für Regulierungen

Von den Diskussionen über die Interpretation einmal abgesehen, sollte die Tatsache, dass der Kanton Genf im Avenir-Suisse-Freiheitsindex konstant Letztplatzierter ist, beunruhigen. Denn wie bei den meisten dieser Ranglisten ist die Entwicklung über die Zeit aufschlussreicher als die blosse Platzierung. Die Schuldenlast des Kantons Genf schränkt nicht nur seine Entscheidungsfreiheit hinsichtlich Ausgaben und Investitionen ein, sondern beschneidet auch die ökonomische Freiheit der privaten und natürlichen Personen, die diese Schulden finanzieren müssen. Und die Regulierungswut scheint in Genf deutlich grösser zu sein als in anderen Kantonen – mit konkreten Folgen: So entbrannten jüngst Diskussionen über das Kulturzentrum «L’Usine», das bei fast allen jungen Genfern – unabhängig von deren politischen Meinungen – als Ausgehlokal grosse Beliebtheit geniesst, jedoch mit dem Kanton wegen einiger Verwaltungsvorschriften im Streit liegt. Dieses Beispiel steht sinnbildlich für den Konflikt zwischen immer detaillierterer Regulierung und dem Ruf nach städtischen Freiräumen. Verschwinden letztere als Freiheitsventile, wächst das Unbehagen.

Dieser Artikel wurde am 12. Januar (auf Französisch) in «Le Temps» publiziert.