Steigen die Mieten in der Schweiz zu schnell an? Wurden die Mieter in der Vergangenheit von den Vermietern gar geschröpft? Der Bundesrat scheint diese Ansicht zu teilen. Vor kurzem hat er eine Verordnungsrevision vorgeschlagen, die darauf abzielt, den Anstieg der Mietpreise zu dämpfen. Künftig dürften die Vermieter einen geringeren Anteil der Inflation auf die Mieten umlegen, als es derzeit der Fall ist.

Der Vorschlag des Bundesrates wurde wenige Tage vor einer Erhöhung des Referenzzinssatzes kommuniziert. Dieser war bereits im April dieses Jahres nach oben angepasst worden – nach 15 Jahren kontinuierlicher Senkungen. Der Referenzzinssatz, zusammen mit der Inflationsrate, spielt eine entscheidende Rolle für die Anpassung der Bestandesmieten, also der Mieten in bestehenden Verträgen.

Dass der Bundesrat bereit ist, nur wenige Monate nach der Zinswende die Spielregeln einseitig zu ändern, kommt nicht unerwartet. Diese Entwicklung wurde sowohl politisch als auch medial vorbereitet. Es hat sich zunehmend die Ansicht durchgesetzt, die Mieten seien in der Schweiz nicht nur (zu) hoch – eine Tatsache, die auch für das Lohnniveau gilt –, sondern Vermieter und Investoren hätten sich nicht an die bestehenden Regeln des Mietrechts gehalten.

Behauptungen des Beratungsbüros Bass

Die Grundlage für diese Ansicht liefert eine Studie des Berner Beratungsbüros Bass, die Anfang 2022 im Auftrag des Mieterverbandes durchgeführt wurde. Laut dieser Untersuchung haben die Vermieter während der Phase fallender Referenzzinsen signifikante Mietsenkungen versäumt. Damit wären Mieterinnen und Mieter um Dutzende von Milliarden Franken beraubt worden.

Diese bombastischen Aussagen basieren jedoch auf einem fragwürdigen Vergleich. Zuerst wurde jährlich ermittelt, welche Veränderungen der Mietzinsen gemäss den im Mietrecht festgelegten Kostenfaktoren zu erwartet gewesen wären (vgl. Abbildung 1). Gemäss dieser Berechnung hätten die Mieten zwischen 2005 und 2020 um mehr als 10% sinken müssen.

Im nächsten Schritt wurden diese theoretischen Veränderungen mit der tatsächlichen Entwicklung des Mietpreisindexes (MPI) des Bundesamtes für Statistik verglichen. Entgegen der Erwartung, wie die Abbildung verdeutlicht, ist dieser Index seit 2005 nicht gesunken, sondern um 25% gestiegen.

Dennoch ist die Schlussfolgerung der Bass-Studie nicht haltbar. Der MPI als repräsentative Darstellung aller Schweizer Mieten – nicht nur derjenigen bestehender Mietverträge – umfasst auch Neubauten und Neuvermietungen. Dafür wird jedes Quartal ein Achtel der Stichproben an Wohnungen ausgetauscht. Dabei ist anzunehmen, dass die Mietkonditionen eine andere Entwicklung verzeichnen als jene der bestehenden Mietverträge.

Bestätigt wird diese Hypothese, wenn man den Kostenindex mit einem Index von reinen Altmieten vergleicht, wie er von der Immobilienberatungsfirma IAZI berechnet wird. So folgte der IAZI-Altmietenindex, der aus den Mietinformation zahlreicher institutioneller Investoren gespeist wird, eng der (theoretischen) Kostenentwicklung. Nach diesem Mass kann von Raub keine Rede mehr sein.

Anstieg der Mieten momentan deutlich unter Kosten

Selbst wenn man den umstrittenen Vergleich der Bass-Studie akzeptierte, würde die jüngste Zinswende eine Anpassung des Narrativs unumgänglich machen. Denn seit der Veröffentlichung der Studie verzeichnet der Kostenindex einen starken Anstieg. Wie Abbildung 2 zeigt, liegen Mieten bisher deutlich unter dem Wert, der gemäss Methode Bass zulässig würde.

Könnte es sein, dass die reuigen Vermieter nun beginnen, die Milliardenbeiträge an die Mieterinnen und Mieter zurückzuzahlen, die sie ihnen angeblich zuvor geraubt hatten?

Profiteure sind auch die Altmieter

Tatsächlich haben sich die Vermieter weitgehend an die vereinbarten Spielregeln des Mietmarktes gehalten. Dadurch konnten insbesondere jene Bestandsmieter, die in den letzten 10 Jahren nicht umgezogen sind, ihre Wohnkosten tief halten – und dies trotz der relativen Verknappung an verfügbarem Wohnraum; so sehr, dass ein grosser Teil der Schweizer Haushalte – viele davon in Grossstädten – heute Mieten zahlt, die deutlich unter Markt liegen.

Zweifellos konnten Vermieter und Investoren in den vergangenen 15 Jahren von steigenden Mieten und Immobilienpreisen profitieren. Dieser Vorteil erstreckt sich allerdings auch auf viele Haushalte mit langjährigen Mietverhältnissen. Die Last dieser Entwicklung tragen vor allem die Neumieter: die Jungen, die Mobilien, die Geschiedenen. Sie sind mit steigenden Suchkosten konfrontiert. Die Vorschläge des Bundesrates werden daran nichts ändern – ganz im Gegenteil. Sie werden jene bevorzugen, die bereits heute am meisten davon profitieren.