Zum 1. Mai verkündeten die Gewerkschaften auch dieses Jahr wieder ihre bekannten Forderungen: mehr Lohnschutz und mehr Renten, obwohl infolge der demografischen Entwicklung die AHV bereits letztes Jahr eine Milliarde Franken mehr ausbezahlt als eingenommen hat. Gleichzeitig liess der neue Gewerkschaftspräsident in der Sonntagspresse verlauten, dass der vorliegende Vertrag zum institutionellen Abkommen vollumfänglich zurückzuweisen sei. Mit dem gewerkschaftlichen Reset-Knopf erklärte er das Ergebnis der fünfjährigen Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU für tot. Dass dies die Rechts- und Investitionssicherheit für Schweizer Unternehmen verschlechtert, wird in Kauf genommen. Die zunehmend greller blinkenden Warnleuchten, die auf die sinkende Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Schweiz hinweisen, negiert man.

Ebenfalls in dieser 1.Mai-Woche wurde eine Studie von McKinsey und AmCham öffentlich, wonach die Schweiz in den letzten fünf Jahren deutlich an Standortattraktivität für multinationale Unternehmen einbüsste. Diese Nachricht fügt sich ein in eine ganze Reihe von Untersuchungen, die auf eine sukzessive Verschlechterung der Rahmenbedingungen hinweisen. Im „Ease of doing business“-Index der Weltbank ist die Schweiz innert 14 Jahren von Rang 11 auf Rang 38 zurückgefallen, im „Time to start a business“-Index des WEF rangiert unser Land mittlerweile auf Rang 60. Vier Tage dauert in den Niederlanden die Zeitspanne, um ein Start-up zu gründen, in der Schweiz sind es ganze zehn. Die Niederlande sind auch das Land, das zusammen mit Irland mittlerweile die grösste Anziehungskraft für multinationale Unternehmen ausübt  und das in den letzten Jahren erheblich von neu angesiedelten Unternehmen profitieren konnte, die sich infolge des Brexit von den britischen Inseln verabschiedeten. Die Schweiz ging leer aus.

Inhaltlich sind die 1. Mai-Demos seit Jahren vergleichbar. (Schweizerisches Sozialarchiv)

Doch anstelle sich für die Stärkung des Arbeitsplatzstandortes Schweiz und damit auch für die Arbeitnehmer einzusetzen, verwendet man die gewerkschaftlichen Energien lieber darauf, die Flexibilität des Arbeitsmarktes noch mehr einzuschränken. Ungeachtet der stark steigenden Gesundheitskosten wird schweizweit ein Gesamtarbeitsvertrag im Pflegebereich angestrebt. Die herkömmliche Absprache zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite soll obsolet werden. Gegenüber einer angedachten Teilflexibilisierung des Arbeitsgesetzes erwächst Fundamentalopposition, wenn man die Höchstarbeitszeit neu im Jahres- statt im Wochendurchschnitt legiferieren will. Doch gerade eine solche Gesetzesanpassung würde die heutigen Realitäten auf dem Arbeitsmarkt abbilden und der wachsenden Zahl an Freelancern und in Projektteams Beschäftigten entgegenkommen. Auch hier gibt es offensichtlich den gewerkschaftlichen Reset-Knopf, der sich jeder Weiterentwicklung entgegenstellt.

Dieser Beitrag erschien am 3. Mai in der Handelszeitung.