Explodierende Gaspreise, die Notierungen für Erdöl auf einem Dreijahreshoch – ideale Bedingungen für ökologischere Energieträger in Europa, würde man meinen. Doch die Bereitstellung im Energiewende-Vorzeigeland Deutschland stockt, wie vorläufige Berechnungen für die ersten drei Quartale des laufenden Jahres zeigen. Insbesondere die Windräder produzierten von Januar bis September weniger Elektrizität als in den ersten drei Quartalen 2020. 43% des deutschen Stromverbrauchs stammten 2021 bislang von Wind, Sonne und anderen erneuerbaren Energiequellen, in der Vorjahresperiode waren es immerhin 48%. In die Lücke sprangen dieses Jahr Kohlekraftwerke, insbesondere die umweltschädliche Braunkohle, die die Windkraft vom ersten Platz verdrängte.

Das Beispiel Deutschland zeigt, dass selbst ein Staat, der bislang Hunderte von Milliarden Euro in die Energiewende investierte, auf witterungsunabhängige Energieerzeugung angewiesen ist, um insbesondere bei steigendem Bedarf – das Wirtschaftswachstum Deutschlands verbesserte sich 2021 markant – die Versorgung aufrecht zu erhalten.

Höhere Abhängigkeit der Stromproduktion von der Witterung

Welche Bedeutung hat das Beispiel für die Schweiz? Hierzulande stammten 2020 nur rund 10% des Stromkonsums aus witterungsabhängigen Photovoltaik- und Windquellen sowie zu kleineren Teilen aus Biomasse und der Kleinwasserkraft. Kein Problem also, könnte man meinen. Doch auch die Kleinwasserkraft, sowie in einem geringeren Mass selbst die Grosswasserkraft – die mit 66% die Hauptlast trägt – sind vom Wetter bzw. der Niederschlagsmenge abhängig.

In Zukunft wird unsere Stromerzeugung noch stärker vom Wetter abhängig sein. Von den ehemals fünf Kernkraftwerken (KKW) sind noch vier in Betrieb, bis sie voraussichtlich bis Mitte der 2030er Jahre ebenfalls vom Netz gehen werden. Gleichzeitig soll insbesondere der Ausbau der Photovoltaik mit staatlichen Geldern forciert gefördert und der Wärme- und Verkehrssektor mit monetären Anreizen elektrifiziert werden.

Ein Energieangebot, das unberechenbarer wird, eine Nachfrage, die zunehmen wird; die Schlussfolgerung ist einfach: Die Energiestrategie der Schweiz kann unter diesen Prämissen kaum gelingen.

Erschwerte Stromimporte

Erschwerend kommt hinzu, dass uns die Nachbarländer immer weniger aushelfen werden. Erstens gehen auch in Frankreich und Deutschland laufend witterungsunabhängige Produktionskapazitäten vom Netz, gleichzeitig soll die Wirtschaft ebenfalls dekarbonisiert werden, was die Nachfrage nach Strom erhöht. In unserem nördlichen Nachbarland wurde politisch ausgehandelt, dass die letzten sechs KKW spätestens Ende 2022 vom Netz gehen, die Kohlekraft soll bis 2038 folgen. Der Entscheid, die weitgehend CO2-freie Kernkraft abzuschalten und die klimaschädliche Kohlekraft weiterlaufen zu lassen, ist wohl eher ideologischen als rationalen Überlegungen geschuldet.

Zweitens hat es die Schweiz politisch verpasst, ein Stromabkommen abzuschliessen. Mit dem Entscheid des Bundesrates, den Verhandlungstisch zum institutionellen Rahmenabkommen zu verlassen, ist auch das Stromabkommen in weite Ferne gerückt. Die Auswirkungen sind in der Branche bereits spürbar. Hiesige Stromunternehmen und der Übertragungsnetzbetreiber Swissgrid werden sukzessive aus dem Markt und den relevanten Koordinationsgremien gedrängt. Der bisherige Stuhl am Verhandlungstisch für die Schweiz wurde in die Besenkammer geräumt.

Zwar sicherte Swissgrid über einzelne privatrechtliche Verträge mit ausgewählten Übertragungsnetzbetreibern die gemeinsame technische Grundlage teilweise ab, doch von allen marktbezogenen Guidelines bleibt die Schweiz nach wie vor ausgeschlossen. Durch die Weiterentwicklung des Strombinnenmarktes entfernen sich die Schweizer Regularien für den Netz- und Marktbetrieb immer weiter von denen der EU.

Eine der folgeschwersten Entwicklungen ist, dass spätestens ab 2025 unsere Nachbarländer im Minimum 70% der grenzüberschreitenden Kapazitäten für den Handel zwischen EU-Mitgliedstaaten reservieren müssen. Für den Drittstaat Schweiz heisst dies, dass die umliegenden Länder ihre internen Netzengpässe zeitweise auf Kosten der Schweiz entlasten werden. Zu nennen ist insbesondere die seit Jahren im Ausbau stockende Nord-Süd-Trasse in Deutschland mit einem Anschluss in die Schweiz. Regulatorisch, aber auch von den technischen Kapazitäten her sind die Importmöglichkeiten unseres Landes limitiert.

Bisher gingen viele Schweizer Studien zur Versorgungssicherheit davon aus, dass ein Stromabkommen abgeschlossen wird und die Grenzkapazitäten nicht limitiert werden. So setzt beispielsweise die sogenannte «System Adequacy»-Studie des Bundesamtes für Energie (BFE) vom Januar 2020 voraus, dass die Schweiz Nettoimporteur von Strom bleibt. Je nach hinterlegtem Szenario sollen die eingeführten Mengen gar ausweitet werden. Dies dürfte in Zukunft aus den oben genannten Gründen schwieriger werden. Weitere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen wie das BFE (z.B. ElCom vom Juni 2020 oder die Überprüfung durch BKW vom September 2020), stellen aber fest, dass im Falle einer Verkettung kritischer Ereignisse die Schweizer Stromversorgungssicherheit gefährdet wäre.

Gefährdete Netzstabilität

Ein weiteres Problem ist, dass die Häufigkeit ungeplanter Stromflüsse aus der EU zugenommen hat. Hauptursache ist der steigende Stromhandel zwischen den Nachbarländern der Schweiz. Dabei wird nicht nur die Energiemenge, sondern auch die notwendige Netzkapazität gleich mitgehandelt. Da die Schweiz nicht Teil des Strombinnenmarktes ist, wird ihr Übertragungsnetz in diesem Geschäft nicht mitberücksichtigt. Schlichte Physik führt nun aber dazu, dass sich der gehandelte Strom den jeweils direktesten Weg sucht, was durch die Schweiz sein kann. Das Schweizer Netz weist in diesem Fall eine plötzlich eintretende Leistungsschwankung aus, was Swissgrid umgehend zu sogenannten Redispatches veranlasst.

Seit anfangs Jahr wurden bereits über 130 Eingriffe nötig. Dabei weist Swissgrid einzelne Kraftwerksbetreiber an, die Produktion kurzfristig hoch- bzw. zurückzufahren. Eine weitere Folge dieser ungeplanten Stromflüsse ist, dass sie zusätzlich zu den oben genannten Limitierungen die Grenzkapazitäten zusätzlich beschränken. Die ungeplanten Flüsse «verstopfen» faktisch die Grenzleitungen, so dass die kommerziellen Handelsaktivitäten eingeschränkt werden müssen.

Die heutige Situation weist für die Schweiz gegenüber der Vergangenheit nur Nachteile auf: Das Risiko eines Stromausfalls ist gestiegen, die notwendigen Massnahmen zu dessen Verhinderung verursachen Mehrkosten, die Kapazität der Grenzleitungen für Importe wird weiter herabgesetzt, und schliesslich führen die Redispatches in der Regel dazu, dass gerade im Winter auf wertvolle Wasserkraftreserven zurückgegriffen werden muss, die dann für die restlichen Wintermonate fehlen.

Perfect-Storm-Szenario

Während bei einer kurzzeitigen Abweichung der Netzspannung davon ausgegangen werden darf, dass ein Blackout nur von geringer Dauer sein wird, ist es im Falle einer Strommangellage anders. Das «Perfect-Storm-Szenario» sieht folgendermassen aus:

  • Mehrere KKW werden aus technischen Gründen (z.B. im Zuge einer Revision) vom Netz genommen,
  • hohe Energiepreise in den vergangenen Wochen lassen Betreiber von Wasserkraftwerken viel Wasser turbinieren, so dass die Stauseen beinahe leer sind,
  • ein dickes Wolkenband bei nur wenig Wind verhindert eine namhafte Produktion aus den neuen Erneuerbaren, und
  • eine einsetzende Kälteperiode in der Schweiz lässt die Nachfrage nach Strom in die Höhe schnellen.

Gleichzeitig werden in Zukunft die Rahmenbedingungen so sein, dass der Anteil der neuen Erneuerbaren am europäischen Energiemix nochmals stark zugenommen hat, der Mobilitäts- und Wärmesektor zu grossen Teilen elektrifiziert wurde und die Schweiz als Drittstaat beschränkte Importkapazitäten hat.

Beinahe in eine solche Situation – noch ohne die zuletzt genannten Rahmenbedingungen – schlitterte die Schweiz Ende des Winterhalbjahres 2016/17. Die inländische Stromproduktion war gering – zwei KKW waren ausser Betrieb und der Füllstand der Speicherseen erreichte einen historischen Tiefststand. Gleichzeitig herrschte auch in Frankreich eine Stromknappheit, so dass die Exporte aus dem westlichen Nachbarland ausblieben. Die Schweiz importierte deshalb Rekordmengen an Strom vor allem aus Deutschland (vgl. Abbildung). Glücklicherweise war der Winter in den folgenden Wochen vergleichsweise mild, so dass der Strombedarf rasch wieder abnahm.

Die Zeit drängt

Die Schweiz muss sich besser auf eine anhaltende Strommangellage vorbereiten. Um die gefährdete Versorgungssicherheit zu erhöhen, müssen mindestens die wegfallenden Produktionskapazitäten der Kernkraft durch Anlagen gleicher Qualität ersetzt werden. Dies bedeutet eine weitgehend witterungsunabhängige Produktion, wie sie beispielsweise Gaskraftwerke bieten. Die Idee ist nicht neu, sondern wird in Energiefachkreisen seit Jahren diskutiert. Sie ist Teil einer Lösung, zusammen mit einem weiterhin anzustrebenden Abkommen mit der EU.

Bereits 2025 könnte das Risiko einer Strommangellage für die Schweiz substantiell zunehmen, doch bisher wurden kaum konkrete Schritte unternommen, um entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Der Bundesrat hat das Umweltdepartement (Uvek) beauftragt, in Zusammenarbeit mit der ElCom und Swissgrid die kurz- bis mittelfristigen Auswirkungen des Wegfalls des Stromabkommens zu analysieren. Ebenfalls unter Federführung des Uvek sollen zusätzliche Massnahmen geprüft werden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Resultate werden gegen Ende Jahr erwartet. Es ist allerhöchste Zeit.