Wenn die Roboter kommen, werden viele Menschen um ihren Arbeitsplatz bangen – die über 50-Jährigen zuerst. So lautet, etwas zugespitzt, das Narrativ all jener, die Digitalisierung und Automatisierung für die grössten Bedrohungen halten, mit denen die Menschheit zurzeit konfrontiert ist. Gut möglich allerdings, dass Untergangspropheten wie Yuval Harari, Richard Precht oder jene Gewerkschafter, die präventiv einen besonderen Kündigungsschutz für ältere Mitarbeiter verlangen, daran sind, die Geschichte zu verdrehen. Roboter werden die älteren Mitarbeiter nicht von ihrem Arbeitsplatz vertreiben. Roboter werden vielmehr die Lücke füllen, welche die Alterung der Bevölkerung auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen wird.

Zusammenhang zwischen Alterung und Robotern

Technischer Fortschritt besteht nämlich nicht nur aus einem Aneinanderreihen von Heureka-Momenten. Innovation ist auch ein Kollektivunterfangen, das letztlich von ökonomischen Kräften getrieben wird, sprich vom Bedarf. Wenn also, wie in der Schweiz, die zehn geburtenstärksten Jahrgänge ab 2025 das Rentenalter erreichen werden (und dies bei einer nur sehr moderaten Zunahme der Bevölkerung im Erwerbsalter), werden sich die Arbeitgeber etwas Neues einfallen müssen.

Digitalisierung am Arbeitsplatz geht Hand in Hand mit der demografischen Entwicklung. (Eddie Kopp, unsplash)

Robotisierung und Automatisierung werden dabei helfen. Wie die Ökonomen Daron Acemoglu und Pascual Restrepo kürzlich gezeigt haben, besteht bereits heute im internationalen Vergleich ein klarer Zusammenhang zwischen Alterung der Bevölkerung und Einsatz von Industrierobotern. Korea und Deutschland beispielsweise, beide rasch alternde Nationen, haben die höchste Roboterdichte der Welt. Bestimmt, Industrieroboter stellen lediglich einen von vielen Aspekten der Digitalisierung dar, wohl nicht einmal den wichtigsten. Weil aber zuverlässige Daten zu ihrem Einsatz bestehen, sind hier präzisere Rückschlüsse möglich. Acemoglu und Restrepo halten ein ähnliches Muster auch bei anderen Dimensionen des technischen Wandels – wie künstliche Intelligenz – für wahrscheinlich. Auch dieser Bereich wird von der kommenden Rentnerwelle vorangetrieben.

Gleichzeitig aber wird der Einsatz älterer Arbeitnehmender nach wie vor wertvoll bleiben, auch wenn sie die neueste Programmiersprache nicht immer beherrschen oder es manchmal sogar unnötig finden, sich neues Wissen anzueignen. Wieso? Wer während längerer Zeit in der gleichen Firma tätig ist, hat den Vorteil der Spezialisierung: unternehmensspezifische Kenntnisse und Erfahrungen, die letztlich eine höhere Produktivität sichern und nicht leicht durch Maschinen zu ersetzen sind. Das ist heute ein Trumpf: organizational capital – das Wissen, wer, wo, was in der Firma macht – ist in modernen, vermehrt international agierenden Unternehmen wichtiger geworden. Auch deshalb erzielen ältere Mitarbeitende höhere Löhne als Neulinge. Letztere sind zwar leichter formbar, verfügen jedoch nur über generische Kenntnisse.

Risiken der Spezialisierung

Gewiss, eine zu starke Spezialisierung birgt auch Risiken. Diese werden besonders spürbar, wenn der firmenspezifische Erfahrungsschatz plötzlich nicht mehr nachgefragt wird. Für andere Unternehmen ist diese Erfahrung ja von geringem Nutzen. Auch deshalb wird diese Spezialisierung von den Unternehmen finanziell entschädigt, quasi als Risikozuschlag. Und weil sich die meisten Unternehmen um ihre Reputation als Arbeitgeber sorgen – sie wollen die guten Mitarbeiter langfristig an sich binden –, kommt es selten vor, dass Unternehmen ältere Arbeitnehmende entlassen, um jüngere einzustellen.

Dass dies keineswegs nur schöne Theorie ist, zeigt die weltweit stark wachsende Erwerbsquote von älteren Arbeitnehmenden. Während Medienberichte oft den Eindruck erwecken, es wäre für sie besonders schwer, im Arbeitsmarkt integriert zu bleiben, zeigen die Daten ein völlig anderes Bild. In der Schweiz ist die Partizipation der 60- bis 64-Jährigen von 64 Prozent im Jahr 1996 auf 75 Prozent gestiegen. In Japan erreicht sie fast 80 Prozent. Sogar in Ländern wie Deutschland oder in den Niederlanden, die bis zur Mitte der neunziger Jahre noch zwei Drittel ihrer Sechzigjährigen in die Frührente schickten, hat sich das Blatt inzwischen gewendet: In beiden Ländern liegt nun die Erwerbsquote der 60- bis 64-Jährigen bei über 60 Prozent. Sogar die Erwerbsbeteiligung jenseits des Rentenalters hat an vielen Orten zugenommen. In der Schweiz liegt diese bei 13 Prozent; das ist ein Drittel mehr als im Jahr 2005.

All diese Zahlen machen eines klar: Die Befürchtungen über eine kommende Robokalypse auf dem Arbeitsmarkt müssen grundsätzlich revidiert werden. Das betrifft auch die Diskussion über die Höhe des Rentenalters. Nicht das Ende der Arbeit steht uns bevor, sondern die grosse Verknappung der Arbeitskräfte.

Dieser Beitrag ist am 14. April 2019 in der «NZZ am Sonntag» erschienen.