Erinnern sie sich an Lara Croft? Vor gut zehn Jahren verkörperte Angelina Jolie die Videospielfigur in einem Film, der einen Oscar verdient hätte – nicht für die schauspielerischen Leistungen, sondern als Meisterwerk der Steueroptimierung. «Lara Croft: Tomb raider» war ein reines Hollywood-Produkt, doch steuertechnisch handelte es sich um eine deutsche Koproduktion. Dank einem Schlupfloch in der Steuergesetzgebung erhielt die amerikanische Produktionsfirma gut 10 Mio. Dollar von den deutschen Steuerzahlern, und dies, obwohl keine Sekunde des Films in Deutschland gedreht worden war.
Die amerikanische Filmindustrie ist nicht die einzige, die gelernt hat, geschickt mit international unterschiedlichen Steuerstandards umzugehen. Heutzutage gehören Steuersparstrategien zu den Kompetenzen vieler multinationaler Unternehmen. Und dies ist einigen Regierungen zunehmend ein Dorn im Auge. So sehr, dass die OECD, die früher eher für ihre Konjunkturprognosen bekannt war, eine neue Daseinsberechtigung als Steuerkommissar der G20 gefunden hat. In mehreren Berichten prangerte sie die «aggressive Steuerplanung» der Multis an. Mit einem gewissen Erfolg: Am letzten G20-Gipfel der Finanzminister in Moskau stand das Thema Unternehmensbesteuerung zuoberst auf der Agenda.
Sind aber diese Ängste – abgesehen von medial attraktiven Einzelfällen – tatsächlich berechtigt? Vorerst nicht, wenn man die Ergiebigkeit der Unternehmenssteuer betrachtet. Im Durchschnitt aller OECD-Länder ist der Anteil dieses Steuerertrages am Bruttoinlandprodukt (BIP) in den letzten 50 Jahren von 2,2 Prozent auf 3,0 Prozent gestiegen. Wie Avenir Suisse in der Publikation «Steuerpolitische Baustellen» gezeigt hat, stellt man in der Schweiz kein Versiegen dieser Steuereinnahmequelle fest. Darin spiegelt sich die positive Wirkung der schrittweisen Reduktion der statutarischen Unternehmenssteuersätze und die Verbreiterung der Steuerbasis.
Dennoch liegt die OECD mit ihrem Verdikt richtig, dass die Globalisierung die Besteuerung der Unternehmen, wie wir sie kennen, obsolet machen wird. Die klassische Unternehmensgewinnsteuer ist eine «quellenbezogene» Steuer: Sie erfasst die Gewinne da, wo sie entstehen. Gewinne lassen sich nur dann leicht nachweisen, wenn sämtliche Aktivitäten eines Unternehmens – Produktion, Verkäufe und Beschäftigung – im gleichen Land stattfinden; womöglich da, wo die Eigentümer oder Aktionäre ebenfalls ihren Wohnsitz haben.
Dieses Modell stellt allerdings immer mehr die Ausnahme dar. Wo liegt die Quelle der Gewinne, wenn ein Unternehmen die Produktion in einem Land konzentriert, die Forschung und Entwicklung in einem anderen, die Konzernleitung in einem dritten, das Marketing im vierten und die Finanzierungen im fünften, während die Aktionäre auf den ganzen Planeten verteilt sind? Theoretisch müsste jeder einzelne Beitrag zum Gewinn bestimmt und zum Steuersatz des entsprechenden Landes besteuert werden. Dazu versuchen Konzerne und Steuerämter mit Mühe und Aufwand interne Verrechnungspreise festzulegen. Welchen Marktwert aber hat ein Patent, das beispielsweise nur im Prozess eines einzigen Unternehmens Verwendung findet?
Finanzökonomen haben dieses Problem früh erkannt und sie haben in den letzten Jahren Alternativen zur quellenbezogene Besteuerung entworfen. Einen interessanten Vorschlag formulierte der «Mirrlees-Review», ein Panel von prominenten Steuerökonomiespezialisten. Ihre Lösung: Die Quellenbesteuerung gänzlich aufzugeben. Stattdessen sollte sich die Gewinnbesteuerung auf eine neuartige Erhebungsstruktur hinbewegen, die im Kern dem Bestimmungslandprinzip folgt, ähnlich wie die heutige Mehrwertsteuer.
Die Strategie der OECD ist jedoch eine gänzlich andere. Sie zielt langfristig auf den Ersatz der 3000 existierenden bilateralen Steuerabkommen durch ein multilaterales Übereinkommen; eine Art Kyoto-Protokoll für die Unternehmensbesteuerung – mit entsprechend wenigen Chancen auf Erfolg. Kurzfristig wird sich wohl die G20 auf einen erhöhten Druck auf die schwächsten Glieder in der Kette einigen. Und darunter könnte die Schweiz fallen, wenn sie es nicht schafft, ihr auf den kantonalen Steuerwettbewerb ausgerichtetes Steuersystem klar zu kommunizieren.
So täte die Schweiz gut daran, die G20-Länder und ihre Steuerberater daran zu erinnern, dass tiefere Unternehmensgewinnsteuern volkswirtschaftlich gesehen für alle von Vorteil sind. Die ökonomischen Kosten dieser Abgabe stehen in einem ungünstigen Verhältnis zu ihrem Ertrag. Viele Ökonomen sind der Meinung, dass diese Steuer zum grossen Teil – manche Studien finden bis zu 70% – auf die Arbeitnehmer überwälzt wird. Weiter hemmt die Steuer, was Unternehmen tun, nämlich investieren. Dies ist grundsätzlich eine schlechte Idee, weil Investitionen in Gebäude, Maschinen – aber auch in Ideen – uns alle produktiver machen. Und uns nicht zuletzt auch gute Filme bescheren.
Dieser Artikel erschien am 20. Februar 2013 in der «Handelzeitung».