Kylian Marcos (Le Temps): In mehreren europäischen Ländern üben Bauern den Aufstand. In der Schweiz konzentriert sich der Widerstand auf den administrativen Aufwand für die Landwirte. Doch diese sind eng mit den Subventionen verbunden. Sind die Bauern in eine Falle geraten?

Patrick Dümmler (Avenir Suisse): Die überbordende Regulierung des Agrarsektors in der Schweiz und die im internationalen Vergleich sehr hohen Subventionen sind die Vorder- und Rückseite der gleichen Medaille. Jede Subvention braucht eine gesetzliche Grundlage. Doch der Gesetzgeber definiert oft nicht nur das angestrebte Ziel der subventionierten Tätigkeit, sondern auch die Art und Weise, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Eine Fokussierung auf die Zielerreichung und nicht auch noch auf die Methoden der Umsetzung würde zu einem Abbau der Regulierung führen. Der stärkste Hebel ist jedoch der Abbau der Subventionen, so liessen sich viele Seiten Regulierung einsparen.

Agrarsubventionen

Subventionen im Agrarsektor sind staatliche Zahlungen an die Landwirtschaft, die verschiedene Ziele verfolgen können, wie z.B. die Förderung bestimmter Tätigkeiten, den Ausgleich von Belastungen, die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung, den Schutz der Umwelt oder die Unterstützung landwirtschaftlicher Betriebe. Subventionen werden durch direkte und indirekte Steuern finanziert, die private Haushalte und Unternehmen belasten. Mit anderen Worten, es werden ihnen Ressourcen entzogen, um sie zugunsten des Agrarsektors umzuverteilen. (PAD)

2020 haben Sie eine Studie zu den Kosten der Landwirtschaft publiziert. Ist eine Aktualisierung geplant?

Nein, denn in der Agrarpolitik hat sich in den letzten Jahren wenig bewegt: Das Parlament hat die Beratung über die Agrarpolitik 22+ sistiert und damit faktisch begraben. Daher ist unsere Kostenschätzung aus dem Jahr 2020 wahrscheinlich auch heute noch relevant.

In dieser Analyse stehen Sie dem derzeitigen System kritisch gegenüber. Was könnte getan werden, um die Finanzierung der Landwirtschaft in der Schweiz zu optimieren?

Wir sollten Regulierungen und Subventionen schrittweise abbauen. Damit könnte sich der gesamte Sektor stärker am Markt orientieren und nicht nur daran, was die meisten Subventionen bringt. Wir haben viele unternehmerisch denkende und innovative Landwirte. Aber bei jeder neuen Idee müssen sie sich heute fragen, ob es angesichts der Subventionen, die für bestehende Produkte fliessen, finanziell attraktiv ist, sie umzusetzen.

Ausserdem sollten wir die weitgehend strukturerhaltenden Subventionen von jenen Entschädigungen trennen, die Bauern für die Bereitstellung öffentlicher Güter erhalten. Dazu gehören zum Beispiel die Pflege der Kulturlandschaft oder der Schutz der Umwelt, von denen wir alle profitieren. Wir schätzen, dass von den insgesamt rund 4,4 Milliarden Franken an Subventionen von Bund und Kantonen derzeit rund zwei Drittel strukturerhaltend wirken und nur ein Drittel für die berechtigte Abgeltung von öffentlichen Gütern verwendet wird.

Sie haben sich 2020 für die Grenzöffnung bei den landwirtschaftlichen Produkten sowie für eine Änderung der Leistungen der öffentlichen Hand ausgesprochen. Wie sehen Sie die Zukunft der Landwirtschaft in der Schweiz? Soll die Priorität bei der Versorgungssicherheit, beim Umweltschutz oder bei einem anderen Ziel gesetzt werden?

Die Bereitstellung von öffentlichen Gütern ist eine wichtige Aufgabe, die von der Allgemeinheit bezahlt werden sollte. Die Landwirte stehen hier an vorderster Front, weil sie diese Aufgabe erfolgreich erfüllen können. Doch es braucht klare Ziele, um den Erfolg der Bereitstellung öffentlicher Güter messen zu können. Im Hinblick auf die Biodiversität könnte dies etwa bedeuten, die Zahl der verschiedenen Insekten, Tiere und Pflanzen auf einer Wiese zu erhöhen.

Auch die Produktion von Nahrungsmitteln ist eine wichtige Aufgabe, die jedoch nicht durch Subventionen finanziert werden sollte, sondern durch den Preis, den die Landwirte für ihre Produkte auf dem Markt erhalten.

Traktoren blockieren eine Strasse (Bauernproteste).

Die Produktion von Nahrungsmitteln sollte nicht durch Subventionen finanziert werden, sondern durch den Preis, den die Landwirte für ihre Produkte auf dem Markt erhalten. Protestierende Bauern. (Adobe Stock)

Die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln sollte nicht nur durch inländische, sondern durch Produkte aus möglichst vielen Herkunftsländern gewährleistet werden. Der freie Agrarhandel wäre eine wichtige Voraussetzung, damit die Versorgungsketten gut eingespielt sind. Schon während des Zweiten Weltkriegs war die Schweiz nicht Selbstversorgerin, sondern importierte Nahrungsmittel aus dem Ausland. Heute sind die Zollschranken sehr hoch, was die inländische Produktion gegenüber der ausländischen klar bevorteilt.

Warum verschlingt die Landwirtschaft, die weniger als 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, 7,2 Prozent der Bundesausgaben?

Der Agrarsektor hat eine starke Lobby im Parlament, und die Zahl der Parlamentarier mit Bezug zum Agrarsektor wurde bei den letzten Wahlen sogar noch erhöht. Der Sektor ist im Vergleich zu anderen Branchen stark überrepräsentiert und versteht es, durch Stimmentausch Mehrheiten zu schaffen. Überspitzt könnte man sagen: Im Ausland demonstrieren die Bauern vor dem Parlament, in der Schweiz sitzen sie mittendrin.

Wenn die Subventionen für die Landwirtschaft auf den EU-Durchschnitt von 33 Prozent des Einkommens gesenkt würden, was wäre die Folge in der Schweiz? Wäre dies das Ende der Landwirtschaft?

Gemäss den Daten der OECD machen die Subventionen in der EU weniger als 20 Prozent des landwirtschaftlichen Einkommens aus. In der Schweiz sind es durchschnittlich 50 Prozent, wobei die Unterschiede insbesondere zwischen Berg und Tal gross sind. Wird das Schweizer Niveau an dasjenige der EU angepasst, dürfte dies kurzfristig den bereits stattfindenden Strukturwandel weiter beschleunigen. Mittelfristig dürfte unternehmerisches Potenzial freigesetzt werden und die verbleibenden Betriebe würden sich an die neuen Rahmenbedingungen angepasst haben. Die Reduktion der Subventionen wäre nicht das Ende der Schweizer Landwirtschaft, wir hätten eine marktnähere Landwirtschaft. Österreich hat diesen Schritt mit dem EU-Beitritt getan und gilt heute als Feinkostladen auf dem EU-Markt.

Die Landwirte leben heute von Direktzahlungen. Welche Rolle spielen die Händlermargen und die Lebensmittelindustrie?

Es klingt zunächst paradox, aber es gibt heute nicht zu wenig, sondern zu viel Geld im System. Die Landwirte – der Schweizerische Bauernverband spricht immer von Bauernfamilien – werden politisch als Rechtfertigung für Subventionen benutzt. Im Stil von: «Wir müssen ihnen helfen.» Ja, sie arbeiten oft sehr hart und ihre Löhne sind vergleichsweise tief. Die Subventionen sind meist für sie bestimmt, landen aber letztlich in den Taschen der Händler. Das Preisniveau für Dünger, Saatgut, Futtermittel und Traktoren ist hoch. Gleichzeitig zahlen die Abnehmer von Agrarprodukten wie Verarbeiter oder Detailhändler den Landwirten tiefe Preise und optimieren so ihre eigenen Gewinnspannen. Die Landwirte befinden sich in der Zange zwischen Anbietern und Abnehmern. Ein Grund dafür ist der mangelnde Wettbewerb in der Schweiz. Aus Sicht des Landwirts dominieren drei Unternehmen: Fenaco, Coop und Migros.

Gibt es überhaupt eine ideale Agrarpolitik in Europa oder irgendwo anders auf der Welt?

Die ideale Landwirtschaftspolitik gibt es wahrscheinlich nicht. Es geht immer um einen Kompromiss zwischen verschiedenen Zielen: Umwelt und Tierschutz, Versorgungssicherheit, Einkommen der Landwirte und bezahlbare Lebensmittelpreise. Die aktuelle Schweizer Agrarpolitik erreicht kaum eines dieser Ziele; es scheint, dass nur den Bauern vor- und nachgelagerte Teile der Wertschöpfungskette profitieren.

Viele Umweltziele werden nur ungenügend erreicht, auch wenn vereinzelt Verbesserungen zu beobachten sind. Die Versorgungssicherheit konzentriert sich zu sehr auf die Selbstversorgung, d.h. die Ausweitung der heimischen Produktion. Das führt zu einer intensiveren landwirtschaftlichen Produktion und bremst den Aufbau vielfältiger internationaler Handelsbeziehungen für Lebensmittel. Die Einkommen der Landwirte haben sich in letzter Zeit zwar verbessert, dennoch sind noch immer viele Betriebe überschuldet. Aufgrund des rigiden Grenzschutzes für Agrargüter gehören die Lebensmittelpreise in der Schweiz zu den höchsten der Welt, was ärmere Konsumentenfamilien hart trifft. Die hohen Subventionen belasten den Bundeshaushalt und das Geld fehlt dann an anderer Stelle, zum Beispiel in der Verteidigung, im Gesundheitswesen oder in der Bildung. Kurzum: Die Schweiz hat wohl eine der schlechtesten Agrarpolitiken der Welt. Wir brauchen nicht noch mehr von der gleichen Agrarpolitik, sondern grundlegende Reformen.

Eine gekürzte Fassung dieses Interviews ist auf Französisch in «Le Temps» erschienen.