Peter Burkhardt: Herr Müller, viele Kantone verwenden Lotteriegelder für nicht vorgesehene Zwecke. Sie haben dazu die Studie «Glück im Spiel, Patzer in der Regulierung» verfasst. Wo liegt das Hauptproblem?
Jürg Müller: Bei der Dreifachrolle der Kantone. Sie sind Anbieter – Swisslos und Loterie Romande gehören ihnen. Sie sind Nutzniesser – die Gelder fliessen in die kantonalen Lotteriefonds und werden von ihnen verteilt. Und sie sind Regulator – sie stellen die Aufsichtsbehörden und erlassen die Ausführungsgesetze für die Verteilung der Gelder. Etwas viele Hüte auf einmal.
Welche Folgen hat das?
Das ergibt naturgemäss Interessenkonflikte. Als Anbieter will man viele Erträge erzielen. Als Nutzniesser will man die Gelder im eigenen Sinn verteilen. Und als Regulator will man sicherstellen, dass bei Nutzniessern und Anbietern alles mit rechten Dingen zugeht.
Wozu führen die Interessenkonflikte?
Die Verteilung der Lotteriegelder ist eher politisch motiviert als vom Zweck geleitet, wie er im Gesetz steht – nämlich, dass man gemeinnützige oder wohltätige Angebote in Sport, Kultur und Soziales fördern will.
«Politisch motiviert» tönt harmlos. Muss man von Korruption und Stimmenkauf sprechen?
Korruption würde ich nicht sagen. Aber es ist natürlich attraktiv – gerade in Zeiten, in denen das Geld nicht so gut fliesst –, sagen zu können, wir haben da noch Lotteriegelder und können über die verfügen. Dann werden bestimmte Staatsaufgaben aus dem Lotteriefonds finanziert, statt aus dem normalen Haushalt. Dafür sind die Lotteriegelder aber nicht gedacht. Das Gesetz schliesst die Verwendung zur Erfüllung öffentlicher gesetzlicher Verpflichtungen aus.
Was an dieser Zweckentfremdung ist problematisch?
Bei der Verwendung der Lotteriegelder gibt es grossen Spielraum, und man finanziert Dinge, welche die Kantonsregierungen nur schwer durch den ordentlichen Budgetprozess bringen würden. Das heisst, die demokratischen Kontrollen greifen nicht wie bei anderen Ausgaben.
In vielen Fällen fliessen Gelder in Projekte mit rein kommerziellem Charakter. Oder in solche, die nicht als gemeinnützig oder wohltätig bezeichnet werden können. Oder in Aufgaben, die der Staat aus seinem ordentlichen Budget bestreiten sollte. Welche Auswirkungen hat das?
Problematisch ist das Signal, das damit ausgesendet wird. Wenn die Gelder nach schwammigen Kriterien und nur schwer nachvollziehbar vergeben werden, unterminiert dies das Vertrauen der Bevölkerung in das System. Man würde besser eines aufbauen, das transparent ist und bei dem jeder versteht, wohin die Gelder fliessen.
Der Kanton Zug beispielsweise finanzierte die Bahnreise der Kantonsratspräsidentin, ihres Ehemanns und der Ehegattin eines Regierungsrats zur Fête des Vignerons aus Lotteriegeldern. Was sagen Sie dazu?
Das ist eines von vielen Beispielen dafür, wie willkürlich die Regeln teilweise gehandhabt werden. Kaum jemand würde so etwas als gemeinnütziges Sozial- oder Kulturprojekt bezeichnen – na gut, vielleicht noch als Politik- oder Apérokultur.
Gelder fliessen auch zu sehr vermögenden Personen und Unternehmen. Was halten Sie davon?
Wenn Private öffentliche Aufgaben wie den Denkmalschutz übernehmen, dann ist es korrekt, wenn sie dafür entschädigt werden. Die Frage ist, wie es nach aussen wirkt. Es kann an der Akzeptanz des Lotteriewesens kratzen.
Welches neue Modell für die Verteilung der Lotteriegelder schlagen Sie vor?
Das Beste wäre, sie wieder an die Bevölkerung zurückzuverteilen, so wie bei der CO₂-Abgabe über die Krankenkassen. So würden alle Interessenkonflikte aufgelöst. Es gäbe die Zweckentfremdung und die ineffiziente Bürokratie nicht mehr. Die ganze Bevölkerung hätte etwas davon.
Die negative Folge wäre aber, dass gemeinnützige Projekte – der Bau eines Pfadiheims, das Musikfestival, der Sportanlass – nicht mehr unterstützt würden.
Wenn ein Kanton solche Dinge mitfinanzieren will, dann soll er das auch – aber durch das ordentliche Budget und in einem demokratischen Verfahren.
Dieses Interview ist am 11. Mai 2024 bei Tamedia erschienen. Weitere Informationen zum Thema finden Sie in der Publikation «Glück im Spiel, Patzer in der Regulierung».