«In welchem Kanton würden Sie am liebsten gepflegt werden?» wurde ich oft gefragt, nachdem ich die Organisation und die Kosten der Alterspflege in den 26 Kantonen untersucht hatte. Als potenzieller Pflegebedürftiger, aber auch als Steuer- und Krankenkassenprämienzahler würde ich den Kanton mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis in der Alterspflege wählen. Doch wie lässt sich dieses Verhältnis ermitteln? Für die Preisdimension haben wir die kumulierten Kosten aller Spitex- und Pflegeheimleistungen pro Einwohner älter als 64 Jahre erhoben. Die Unterschiede sind beträchtlich. Die Kosten liegen  je nach Kanton jeweils 25% unter (AI, VS, NW) bzw. 20% über (NE, BS, GE, AR) dem Schweizer Durchschnitt. Die Qualitätsdimension hingegen ist schwerer zu bestimmen.

In Kantonen mit mehr Pflegepersonal pro Pflegebedürftigen dürfte die Versorgung besser sein. Allerdings sagt die Personaldotation wenig über die Effizienz aus. Im Kanton Wallis zum Beispiel findet man am wenigsten Spitex- und Heimmitarbeiter pro pflegebedürftigen Einwohner. Doch die Mitarbeiter in Walliser Heimen erbringen über 40% mehr Pflegeminuten pro Vollzeitstelle als ihre Kollegen im Kanton Schaffhausen.

Zudem nützt eine hohe Personaldotation wenig, wenn das Personal nicht genügend qualifiziert ist. Doch wie viel Personal mit einer Ausbildung auf sekundärer (z.B. Fachangestellte Gesundheit) oder tertiärer (z.B. Höhere Fachschule, Fachhochschule) Stufe braucht es für die optimale Pflege? Ab wann sind zu viele «Kopfmenschen» und zu wenige «Bauchmenschen» im Betrieb tätig? Auch hier liefert die Wissenschaft keine eindeutige Antwort. Die Politik lässt sich davon nicht beirren. 21 Kantone haben diverse Vorgaben für den Anteil des Personals mit sekundärer oder tertiärer Ausbildung formuliert, alle im Namen der Qualität. Doch allein die Vielfalt der Vorgaben pro Bildungsstufe zeigt, dass die Forderungen vor allem politischer Natur sind (vgl. Grafik). Gemäss unseren Analysen spielt zudem die Höhe der Vorgaben keine Rolle für die Höhe des effektiven Grade-Mixes. Vier Kantone (OW, LU, SH und ZG), die keine Vorgaben für das Personal mit Tertiärausbildung kennen, weisen sogar deutlich überdurchschnittliche effektive Werte aus. Grade-Mix-Vorgaben sind folglich überflüssig. Im Gegenteil: Sie bedingen mehr Bürokratie und erschweren die Personalrekrutierung.

Schliesslich werden oft die Saläre als wichtiger Qualitätsfaktor ins Feld geführt. Gewiss: Ist der Lohn ungenügend, sinkt die Motivation der Mitarbeiter und damit oft die Qualität. Doch wann ist ein Lohn angemessen? Ab welchem Niveau üben andere Faktoren eine wichtigere Rolle auf die Motivation aus? Das Mittel der Löhne in der Alterspflege liegt im Kanton Genf 38% höher als im Schweizer Durchschnitt. In Kantonen mit vergleichbaren Lebenshaltungskosten wie Zürich oder Basel-Stadt liegen sie 7% über bzw. genau auf dem Schweizer Durchschnitt. Ist die Qualität in den Kantonen mit den höchsten Personalkosten wirklich besser als in anderen Regionen? Davon scheint man in vier Kantonen (GE, JU, NE, VD) überzeugt zu sein. Dort gibt es für die öffentlich-rechtlichen Organisationen sowohl im ambulanten wie im stationären Bereich eine GAV-Pflicht. Im Kanton Waadt gilt diese Pflicht auch für privatrechtliche Organisationen. Im Kanton Neuenburg hingegen besteht für private Organisationen keine GAV-Pflicht, die Höhe der staatlichen Restfinanzierung ist jedoch deutlich höher, falls ein solches Abkommen vorliegt. Diese variiert für einen Heimbewohner in der höchsten Pflegestufe zwischen 154 Fr. (mit GAV CCT 21) und 74 Fr. (ohne GAV) pro Tag. Ist die Qualität in den Privatinstitutionen ohne GAV wirklich nur halb so gut? Diese Institutionen erfüllen doch alle Standards, die für eine Betriebsbewilligung nötig sind.

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Diese Bespiele zeigen: Qualität lässt sich schlecht durch «Input»-Vorgaben wie Personaldotation, Grade-Mix oder Lohnniveau verordnen. Vielmehr braucht es «Output»-Grössen, um die effektive und vom Patienten wahrgenommene Qualität zu beschreiben. Solche Indikatoren zu definieren, ist gewiss kein leichtes Unterfangen. Im Spitalbereich ist die Mortalitätsrate ein wichtiger Indikator, der bei Pflegeheimen ausser Betracht fällt. Es braucht andere medizinische Messgrössen wie Angaben zu Übermedikation, Zwangsmassnahmen, Schmerzen oder Gewichtsverlust. Oft wird Qualität in der Alterspflege nicht nur quantitativ, sondern qualitativ beschrieben. Ein «Altern in Würde und Selbstbestimmung» wird gefordert. Würde und Selbstbestimmung lassen sich jedoch nicht durch rein medizinische Indikatoren messen. Vielmehr müsste man die Patienten und ihre Angehörigen fragen, ob ihre Anliegen ernst genommen, ihre Fragen beantwortet und ihre Grundrechte respektiert werden.

Die Ermittlung der effektiven Qualität ist nicht nur die Kür. Mit der Alterung der Gesellschaft werden die Ausgaben für die Pflege zu-, die verfügbaren Mittel dafür abnehmen. Leistungserbringer sind gefordert, der Politik aufzuzeigen, welche Kürzungen sich schlecht auf die effektive Qualität auswirken. Bei knappen Ressourcen wird die Politik umgekehrt sicherstellen müssen, dass jeder Franken die maximale Wirkung puncto Qualität entfaltet. Leistungen, die nicht zur Qualität beitragen, müssen gekürzt werden. Nur so werden wir auch künftig, trotz knapperen personellen und finanziellen Ressourcen, unseren Senioren ein Alter in Würde ermöglichen.

Dieser Artikel ist im Magazin Focus von Senesuisse erschienen.