Die soziale Mobilität stellt einen unerlässlichen Bestandteil einer liberalen Gesellschaft dar. Nur wer davon überzeugt ist, dass der sprichwörtliche Lift nach oben grundsätzlich allen offen steht, wird sich auch für soziale Mobilität einsetzen.

Bei der Beurteilung und Messung der sozialen Mobilität fällt der Blick allzu oft nur auf eine eng gefasste Durchlässigkeit des Bildungssystems zwischen den Generationen. So gerade kürzlich in einem Beitrag der Radiosendung «Echo der Zeit»: Unter dem Titel «Bildungsaufstieg in der Schweiz eher die Ausnahme» wird auf die eher tiefe Bildungsmobilität in der Schweiz hingewiesen. So zeigen die neusten Zahlen des BFS, dass von Personen mit Eltern ohne nachobligatorischem Abschluss nur 20% einen Tertiärabschluss besitzen. Bei Personen mit Eltern, die bereits einen Tertiärabschluss besitzen, erreichen hingegen ganze 73% das gleiche Bildungsniveau. Im Beitrag selbst wird dann aber immer von sozialer Mobilität gesprochen, wenn nur die Bildungsmobilität gemeint ist und andere Aspekte werden ignoriert.

Doch wichtiger für die soziale Kohäsion ist die Einkommensmobilität, also die Möglichkeit, einen besseren Platz in der Einkommensverteilung als die Eltern und Vorfahren zu erreichen. Diesbezüglich stellt die Schweiz ein wahres Chancenland dar. In einer vielbeachteten Studie haben Chuard-Keller und Grassi (2021) von der Universität St. Gallen aufgezeigt, dass die Einkommensmobilität hierzulande sogar höher liegt als in den nordischen Ländern, die sonst gerne als Vorbilder für klassenlose Gesellschaften gelten.

Gemäss der Studie besteht in der Schweiz ein geringer Zusammenhang zwischen dem Einkommen der Kinder mit jenem ihrer Eltern. Ein Kind mit Eltern aus dem höchsten Prozent der Lohnverteilung erreicht im Schnitt das 57. Perzentil. Im Klartext: Es erzielt ein Salär, das nur leicht über dem Median liegt. Dynamisch geht es auch bei Kindern mit Eltern aus dem niedrigsten Prozent der Lohnverteilung zu. Sie erreichen im Durchschnitt das 43. Perzentil – ein bemerkenswerter Aufstieg also. Die Schweiz schlägt hier sogar Schweden, dort beträgt die Differenz ganze 18 Ränge, bei uns liegt sie bei 14.

Ausgerechnet das Bildungssystem gibt den Ausschlag für die hohe Einkommensmobilität der Schweiz. Denn mit einer Berufslehre als Ausgangspunkt können auch Kinder mit Eltern im untersten Bereich der Einkommensverteilung ganz nach oben aufsteigen. Allerdings ist dafür nach der Lehre eine weiterführende Ausbildung (WA) unerlässlich (vgl. Abbildung). Eine sogenannte Tellerwäscherkarriere stellt in der Schweiz zwar nicht den Regelfall dar, aber sie kommt dennoch relativ häufig vor: Fast 5 Prozent aller Kinder, die den Weg   «Lehre plus WA» gehen, schaffen es vom untersten Quintil der Einkommensverteilung ins oberste.

Das ist deutlich mehr als bei den anderen Bildungswegen. Nicht von ungefähr haben die Abschlüsse der höheren Berufsbildung stark an Beliebtheit gewonnen. Es werden rund 30% mehr Abschlüsse registriert als noch vor 20 Jahren.

Es wäre aber genauso verfehlt, unsere hohe soziale Mobilität ausschliesslich auf das duale Bildungssystem zurückführen zu wollen. Das Geheimrezept der Schweiz verwendet mehr als nur eine Zutat. Auf jeden Fall: Um die soziale Mobilität in der Schweiz steht es eindeutig besser, als stets gepredigt wird.