Wie weiter im Klimaschutz? Es brauche nun mehr marktwirtschaftliche Massnahmen, sagt Patrick Dümmler im Interview mit Tamedia-Redaktor Stefan Häne. Nach dem knappen Volksentscheid sei bei der Neuauflage nun genau zu schauen, auf welche dirigistischen Instrumente verzichtet werden könne.

Stefan Häne: Herr Dümmler, inwiefern hat Sie das Nein zum CO2-Gesetz enttäuscht?

Patrick Dümmler: Es hat mich überrascht. Ich selber habe leer eingelegt. Ich war mir nicht sicher, ob es im liberalen Sinn ein gutes oder schlechtes Gesetz ist.

Die Befürworter sagten, es sei ein liberales Gesetz.

Teilweise. Meine These: Jene Teile des bürgerlichen Lagers, die Nein gestimmt haben, lehnten vorab den Klimafonds ab. Es war nicht transparent, wie das Geld – etwa eine Milliarde Franken pro Jahr – eingesetzt worden wäre.

Ein Teil des Klimafonds wäre für das Gebäudeprogramm gewesen, das es heute schon gibt. Im Gebäudesektor sind die Emissionen seit 1990 um ein Drittel gesunken – ein Erfolg.

Ja. Aber die Reduktion ist weniger auf das Gebäudeprogramm als auf die CO2-Abgabe auf Brennstoffe zurückzuführen. Das Geld des Gebäudeprogramms könnte man besser einsetzen. Wie viel CO2 lässt sich einsparen, wenn man mit einem gegebenen Geldbetrag ein Haus noch besser isoliert, gegenüber einem Klimaprojekt im Ausland? Mit dem gleichen Betrag wäre die Einsparung im Ausland viel grösser. Für das Klima ist es egal, ob wir das hier in der Schweiz oder zum Beispiel in China tun. Beim Gebäudeprogramm geht es weniger ums Klima als um staatliche Industriepolitik.

Aber alle Länder des Pariser Abkommens müssen ihren Treibhausgasausstoss auf netto null reduzieren.

Richtig. Deshalb muss auch die Schweiz ihren Anteil leisten. Doch wir sollten die Möglichkeit von Auslandkompensationen nicht ausser Acht lassen, da die Vermeidungskosten in der Schweiz relativ hoch sind. Die Schweiz hat deshalb bilaterale Abkommen mit Peru und Ghana abgeschlossen, die es ihr erlauben, ihre CO2-Emissionen zumindest teilweise über Klimaschutzprojekte in diesen beiden Ländern zu kompensieren. Die CO2-Reduktionen müssen dabei real, verifizierbar und dauerhaft sein, sie müssen zusätzliche Investitionen in den Klimaschutz auslösen.

In der Praxis ist das aber nicht immer klar.

Das war vor allem unter dem Kyoto-Protokoll der Fall. Inzwischen hat man daraus gelernt und Kontrollmechanismen eingebaut. Die Schweiz leistet hier mit ihren bilateralen Abkommen weltweit Pionierarbeit. Sie macht damit von einer Möglichkeit Gebrauch, die das Pariser Klimaabkommen explizit vorsieht.

Das Parlament muss sich nach dem Nein zum CO2-Gesetz darüber einig werden, mit welchen Instrumenten es Klimapolitik machen will. Was schlagen Sie vor?

Die internationale Verpflichtung der Schweiz bleibt, die CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 um 50 Prozent zu senken. Wir erreichen dieses Ziel am besten mit marktwirtschaftlichen Instrumenten, die den Klimaschaden aus dem Einsatz fossiler Energieträger bepreisen. Klimagase sollen dabei in der Schweiz wie auch über entsprechende Projekte im Ausland reduziert werden.

Die Grundsatzkritik bliebe aber: Man lagert den Klimaschutz aus. 

Das soeben abgelehnte Gesetz sah vor, dass mindestens 75 Prozent der Einsparungen im Inland erfolgen müssen. Man könnte diesen Betrag auch etwas senken, beispielsweise auf 50 Prozent. Wir können im Ausland mit der aktuellen Technologie helfen, mehr CO2 als in der Schweiz einzusparen. Mit dieser Strategie gewinnen wir auch die nötige Zeit, die es braucht, dass technologische Innovationen kostengünstiger werden, etwa die Speicherung von CO2 im Boden. Dies hilft letzten Endes der Schweiz, ihren eigenen Ausstoss zu senken.

Wie gelingt eine glückliche Landung der Schweizer Klimapolitik? (Kuhnmi, Wikimedia Commons)

Der Klimafonds hätte solche Innovationen gefördert, etwa alternative Flugtreibstoffe erforschen.

Richtig. Es braucht zusätzliche Mittel für die Forschung, doch die Förderung muss technologieneutral sein. Sobald der Staat eingreift, besteht die Tendenz, gewisse Technologien zu bevorzugen, etwa die Elektromobilität gegenüber Wasserstoff. Das ist mit liberalen Prinzipien nicht vereinbar.

Welche Elemente aus dem gescheiterten CO2-Gesetz muss das Parlament denn retten?

Die CO2-Abgabe auf Brennstoffe sowie die CO2-Kompensationspflicht für Treibstoffe. Bei der Flugticketabgabe ist es nicht falsch, Kostenwahrheit einzufordern, aber es gilt, das Fehlkonstrukt der abgelehnten Vorlage auszumerzen. Es sollten beispielsweise die gesamten Einnahmen vollumfänglich pro Kopf an die Bevölkerung zurückverteilt werden, nicht nur ein Teil davon.

Damit wäre der Kostenstreit aber nicht aus der Welt geschafft.

Zumindest wäre aber das Argument, die Abgabe gehe zulasten der Landbevölkerung, nicht weiter aufrechtzuerhalten. Zudem könnte es jene liberalen Kreise von einem neuen CO2-Gesetz überzeugen, die am 13. Juni Nein gestimmt haben. Womöglich braucht es nur kleinere Korrekturen, um eine neue Vorlage durchzubringen.

Kritiker halten Lenkungsabgaben für wirkungslos, weil sie so tief angesetzt sind, dass sie nicht lenken. Sind sie dagegen hoch, sind sie nicht mehrheitsfähig.

Aus ökonomischer Sicht sind sie dennoch die beste Wahl. Die Abgabe auf Brennstoffe hat nachweislich eine Verhaltensänderung bewirkt. Die CO2-Reduktion im Gebäudebereich zeugt davon. Zudem erhöhen solche Lenkungsabgaben die Kostenwahrheit, dieses Preissignal ist wichtig für künftige Investitionsentscheidungen.

Die Grünen etwa setzen lieber auf Vorschriften. Als Erfolgsbeispiel nennen sie zum Beispiel den Katalysator, der zur Pflicht für Neuwagen wurde.

Gegenbeispiel: die Auflage, dass Neuwagen pro Kilometer nur noch 118 Gramm CO2 pro Kilometer ausstossen dürfen. Viele Sportwagen liegen über diesem Grenzwert, die meisten Kleinwagen darunter. Wird der Sportwagen kaum gebraucht, während der Kleinwagen 20’000 Kilometer zurücklegt, hat der Kleinwagen mehr CO2 ausgestossen. Die Massnahme ist nicht verbrauchsabhängig und ergibt deshalb ökologisch wenig Sinn.

Aber sie zwingt die Importeure unter Androhung von Bussen, vermehrt CO2-arme oder -freie Modelle anzubieten.

Die Vorschriften der EU und die technologische Entwicklung gehen ohnehin in diese Richtung. Viel wirkungsvoller für die Schweiz ist eine CO2-Abgabe oder die Erhöhung der bestehenden Kompensationspflicht für Treibstoffimporteure.

Der Aufschrei wäre gross.

Ja, dies hat der Abstimmungskampf gezeigt. Allerdings liesse sich der Widerstand vermindern, wenn wir das überfrachtete CO2-Gesetz überarbeiten und allenfalls in mehreren Vorlagen sukzessive zur Abstimmung bringen.

Zum Beispiel eine separate Abstimmung über die Frage, wie alte Öl- und Gasheizungen ersetzt werden sollen?

Ja. Aber nicht mit dem Rezept des gescheiterten Gesetzes! CO2-Grenzwerte beeinflussen den Verbrauch kaum. Die CO2-Abgabe auf Brennstoffe liegt heute bei 96 Franken pro Tonne. Der Bundesrat kann sie nun zwar nicht wie geplant auf 210 anheben, aber auf 120: So steht es im geltenden Gesetz. Da liegen wir in einem guten Bereich. Gemäss Weltbank müsste zur Erreichung des Pariser Klimaziels weltweit ein CO2-Preis von 50 bis 100 Dollar erhoben werden.

Empfehlen Sie Ihre Rezepte nun dem Freisinn, der ein liberales Gesetz will?

Wir sind einzig dem liberalen Gedankengut verpflichtet. Unsere Botschaft ans Parlament: Wir brauchen bei einer Neuauflage des CO2-Gesetzes mehr marktwirtschaftliche Instrumente. Um einen wirksamen Klimaschutz kommt die Schweiz nicht herum.

Also hat die FDP als liberale Partei mit der Unterstützung des CO2-Gesetzes einen Fehler begangen?

Ich verstehe gut, dass man in der Politik Kompromisse machen und mittragen muss. Nach dem knappen Volksentscheid ist bei der Neuauflage nun genau zu schauen, auf welche dirigistischen Instrumente verzichtet werden kann.

Ein ganz neuer Ansatz wäre ein Beitritt der Schweiz zu einer Art Klimaclub, wie Sie ihn in Ihrem neuen Buch vorschlagen.

Die Idee geht auf Nobelpreisträger William Nordhaus zurück. Kooperationswillige Länder, die den Klimaschutz vorantreiben, schliessen sich zu einem Klimaclub zusammen und führen einen einheitlichen Mindestpreis für CO2-Emissionen ein. Jene, die nicht dabei sind, müssen beim Export ihrer Waren in die Clubländer eine Strafsteuer zahlen. Studien zeigen, dass bereits eine pauschale Steuer in der Höhe von 2 Prozent genügen würde, um Länder dazu zu bringen, dem Club beizutreten. Das Eintrittsticket wäre gewissermassen ein forcierter Klimaschutz. Um das festzustellen, braucht es eine gute Grundlage: Das sind die Berichte, welche die Länder im Rahmen des Pariser Klimaabkommens abgeben müssen. Sie dokumentieren die nationalen Fortschritte im Klimaschutz.

Die EU geht in Richtung Klimaclub…

Sie will ein Grenzausgleichssystem einführen, das importierte Waren je nach Ausstoss mit dem europäischen CO2-Preis belastet. Das ist deutlich bürokratischer als die Nordhaus’sche Pauschalsteuer, doch die Schweiz sollte sich ernsthaft damit auseinandersetzen, ob sie am EU-Klimaclub teilnimmt. Wir kommen offensichtlich auch hier nicht um Europa herum. Die Schweiz sollte deshalb dem EU-Klimaclub beitreten.

Dieser Beitrag ist am 21. Juni 2021 in den Zeitungen der Tamedia erschienen (z.B. «Tages-Anzeiger»). Das Interview führe Stefan Häne. Hier wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. Weitere Informationen zum Thema finden Sie in unserer Publikation «Wirkungsvolle Klimapolitik».