Ein Papier der Bundesverwaltung hat die Folgen eines EWR-Beitritts für die Schweiz analysiert und festgestellt, dass gerade beim Service public konsequentere Marktöffnungen nötig würden. Die Erkenntnis ist nicht neu, doch illustriert sie den fehlenden politischen Willen in der Schweiz, die nur halbherzig eingeleiteten Liberalisierungs- und Privatisierungsprozesse aus eigenem Antrieb voranzutreiben.
Ein Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) hätte für die Schweiz einschneidende – zum Teil heikle – Konsequenzen. Dazu gehören weitere Marktöffnungsschritte im Bereich des Service public. So müsste das Restmonopol der Post bei der Briefzustellung aufgehoben werden, die Gebäudeversicherer würden wohl ihre kantonalen Monopole verlieren und die Kantonalbanken die Staatsgarantie. Der Zugang zum Energiemarkt müsste für alle Kunden gelten und die letzte Meile bei den Telekomnetzen konsequenter für Konkurrenten geöffnet werden. Die Aufzählung ist nicht abschliessend. Daneben müssten Regelungen hinsichtlich staatlicher Beihilfen übernommen werden. Diese wären vermutlich besonders einschneidend, denn das Schweizer Wettbewerbsrecht kennt heute keine griffigen Regelungen gegen marktverzerrende Subventionen.
Übernahme europäischer Beihilferegelungen
Tatsächlich bestehen solche häufiger als vermutet. Davon profitieren können nicht zuletzt öffentliche Unternehmen, die verbreitet und zunehmend Leistungen in Konkurrenz zu Privaten anbieten. Denn als Beihilfen gelten nicht bloss direkte Zuschüsse, sondern auch steuerliche Vorteile, bevorzugte Zinssätze, Bürgschaften, Bereitstellung von Gebäuden zu besonderen Bedingungen, Schadloshaltung im Fall von Verlusten, vorrangige Bedingungen bei öffentlichen Bestellungen oder die massgebliche Beteiligung eines öffentlichen Investors an einem Unternehmen, ohne an der langfristigen Rentabilität interessiert zu sein.
Die europäischen Beihilferegelungen ermöglichen es privaten Konkurrenten, sich gegen solche Subventionen zugunsten öffentlicher Unternehmen zur Wehr zu setzen. In der Schweiz dagegen fehlen die nötigen Grundlagen. Vor dem Hintergrund der wachsenden Expansion öffentlicher Unternehmen in privatwirtschaftliche Märkte ist dies besonders kritisch. Tatsächlich nimmt diese Expansion in der Schweiz immer extremere Züge an: Kantonale Gebäudeversicherer bieten private Zusatzversicherungen an, die SRG expandiert ins Internet, die Städte in den Telekommunikationsmarkt, die Post engagiert sich im Detailhandel und bietet Bankdienstleistungen sowie E-Health-Lösungen an, die SBB betreibt internationale Busverbindungen, kantonale Informatikzentren offerieren ihre Leistungen auch privaten Kunden – und so weiter.
Fehlender Wille für mehr Markt und Wettbewerb
In einem wegweisenden Urteil aus dem Jahr 2012 beurteilte das Bundesgericht die Expansion der Gebäudeversicherer grundsätzlich als unproblematisch, da die Wirtschaftsfreiheit dadurch nicht bedroht werde. Ganz im Gegenteil, so die Argumentation, könne das öffentliche Engagement den Wettbewerb sogar stimulieren. In der Schweizer Politik scheint die Lust gering zu sein, an den Gesetzesgrundlagen etwas zu verändern. Ein Postulat, das vom Bundesrat eine Berichterstattung über Wettbewerbsverzerrungen durch staatliche Unternehmen verlangte, lehnte dieser im März dieses Jahres ab, u.a. mit der Begründung , dass Schranken für die Entfaltung der öffentlichen Unternehmen in Wettbewerbsmärkten verfassungsrechtliche Reformen nötig machten und damit Auswirkungen auf die föderalistische Ordnung hätten. Allfällige Reformen hätten nach Meinung des Bundesrats geringe politische Erfolgschancen.
Die Begründung überrascht, schliesslich forderte das Postulat lediglich Transparenz über Wettbewerbsverzerrungen. Dennoch ist der fehlende Reformwille bei Behörden und Politkern wenig überraschend. Schliesslich profitieren Betriebe des Bundes und der Kantone von den einseitigen Vorteilen am Markt. Die Politiker wollen sich die Möglichkeit einer Bevorteilung «ihrer» Unternehmen am Markt nicht aus der Hand nehmen lassen.
Das Fehlen eines Beihilfeverbots ist im Kontext der halbherzig geöffneten Service-public-Sektoren in der Schweiz besonders kritisch. Denn viele öffentliche Unternehmen profitieren von (Rest-) Monopolen, intransparenten regulatorischen Vorteilen als eine Art Abgeltung für ihren Service public oder von der Direktvergabe bei Konzessionen. Die Gefahr von Quersubventionen zwischen den Geschäftsbereichen im Monopol und jenen im freien Markt ist gross und in der Praxis kaum feststellbar. Ohnehin würden nach Ansicht des Bundesgerichts erst «systematische Quersubventionierungen» die Wettbewerbsneutralität gefährden. Eine konsequentere Marktöffnung durch den Abbau von Restmonopolen, einer engeren Definition der Grundversorgung sowie Ausschreibungen bei Konzessionsvergaben würde auch das Potenzial von Quersubventionen reduzieren.
Doch dazu bräuchte es weitere Liberalisierungsschritte im Service public. Bisher verhindert dies eine Allianz zwischen grundsätzlich marktkritischen Kräften und den Profiteuren der staatlichen Monopole. Es bleibt zu hoffen, dass die Schweiz auch ohne den äusseren Zwang eines EWR-Beitritts fähig ist, die dringend nötigen Reformen in Richtung mehr Wettbewerb einzuleiten.
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