In der öffentlichen Wahrnehmung wird Agrarpolitik zuallererst mit den Landwirten in Verbindung gebracht. Daran sind die Interessenvertreter des Agrarsektors nicht unschuldig: Um Forderungen politisch und medial Nachdruck zu verleihen, verwenden sie oft das Bild der in Nöten steckenden «Bauernfamilien». Dies, obwohl nicht jede Regulierung die Bauern betrifft, denn die Agrarpolitik beeinflusst die Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Betrachtet man diese Wertschöpfungskette, fällt Folgendes auf: Die Märkte auf der Zulieferer-, Verarbeitungs- und Detailhandelsstufe sind durch einige wenige, grosse und oft auch vertikal integrierte Akteure gekennzeichnet. Im Gegensatz dazu steht der kleinteilige Markt der Urproduzenten, bestehend aus 51 620 (2017) Landwirtschaftsbetrieben der Schweiz. Ein Teil der Bundesbeiträge an die Bauern fliesst dabei in vor- und nachgelagerte Teile der Wertschöpfungskette ab. Den Bauern kommt so die Rolle als «Durchlauferhitzer» der staatlichen Unterstützung zu, an der sie selbst wenig Anteil haben.

Die Wertschöpfungskette der Schweizer Agrarpolitik

Zuliefer

Die Zulieferer importieren oder stellen selbst u.a. folgende Produkte her, die die landwirtschaftliche Urporduktion unterstützen: Saatgut, Herbizide, Dünger, landwirtschaftliche Maschinen. Ebenso bieten sie oft Forschung und Beratung der Urproduktion an.

Verschiedene Unternehmen konkurrieren untereinander in den landwirtschaftlichen Zuliefermärkten. Ein Unternehmen hat in der Zuliefererbranche der Landwirtschaft dennoch eine besonders starke Stellung: Fenaco. Hinter dem Konzern stehen Dutzende von Unternehmen, die nicht nur als Zulieferer Leistungen für die Bauern erbringen, sondern auch weiter unten entlang der agrarwirtschaftlichen Wertschöpfungskette tätig sind.

Die Landwirte sind sehr oft Kunden von Fenaco, gleichzeitig ist Fenaco oft auch deren grösster Abnehmer. Die Stellung des Konzerns kann positiv als Vollversorgung der Bauern angesehen werden, oder kritisch als «Zangenposition», indem die Preise auf der Beschaffungs- und Absatzseite der Landwirte weitgehend durch denselben Akteur kontrolliert werden.

Fenaco ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch von Bedeutung. Einerseits ist der Konzern selbst Mitglied in vielen Branchen- und Interessenorganisationen wie z.B. dem SBV (Vertretung im Vorstand), Schweizer Obstverband und Swisscofel (Früchte, Gemüse und Kartoffeln). Andererseits bekleideten zwei heutige Bundesräte das Vizepräsidium bei Fenaco und zwei amtierende Nationalräte sind u.a. auch für Fenaco aktiv (vgl. Blogbeitrag zur politischen Interessenvertretung der Agrarwirtschaft).

Wie die Agrarpolitik Zulieferer unterstützt

Dass durch die Beiträge der Agrarpolitik an die Landwirte auch vorgelagerte Branchen profitieren, illustriert das Instrument der zinslosen Investitionskredite in Höhe von 2,3 Mrd. Fr. (vgl. Agrarbericht 2017, BLW): Die dadurch initiierten Ausgaben flossen über die Bauern an Zulieferer, etwa an Hersteller und Händler von landwirtschaftlichen Maschinen oder an Bauunternehmen für das Erstellen von Ökonomiegebäuden, wobei auch die lokale Holzbranche profitiert. Diese Kredite haben zwei Effekte:

  1. Da die Kredite zinslos sind, dürften die Kreditnehmer in der Regel bei ihren Investitionsentscheiden weniger preisbewusst sein. Das Preisniveau der landwirtschaftlichen Investitionsgüter in der Schweiz ist denn auch hoch: So schätzt die Agroscope das Einsparpotenzial aufgrund überhöhter Preise in der Schweiz bei den landwirtschaftlichen Maschinen auf 110 Mio. Fr. pro Jahr (vgl. Beobachter).
  2. Die zinslosen Investitionskredite verleiten zu bauernbetrieblich überdimensionierten und oft unnötigen Anschaffungen, die über viele Jahre zusätzliche Kosten auslösen. So hat die Anzahl der Traktoren zwischen 1990 und 2015 von 119 000 auf 139 000 (vgl. SRF) zugenommen, obwohl nicht nur die landwirtschaftliche Nutzfläche, sondern auch die Zahl der Bauernhöfe im selben Zeitraum gesunken sind. Dabei werden die Traktoren immer leistungsstärker (PS) und teurer. In den letzten 30 Jahren stieg der durchschnittliche Preis für einen Traktor in der Schweiz von 35 000 Fr. auf rund 60 000 Fr. (vgl. Blick). Es wurde damit kapitalintensiver, aber nicht zwingend effizienter produziert. Der Auslastungsgrad eines ca. 100 PS starken Traktors beträgt (bezogen auf einen Arbeitstag von acht Stunden) nur 13 %.

Neben den Zulieferern und den Landwirten gehören die nachgelagerten Verarbeiter (man spricht von einer ersten und zweiten Verarbeitungsstufe) zu den Akteuren der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette.

Verarbeiter

Zu den Aufgaben der Verarbeiter gehören die selektive Extraktion wertbestimmender Teile der agrarischen Rohstoffe durch (erste Verarbeitungsstufe) Säubern, Schneiden, Mahlen, Zerlegen, Schlachten, Entbeinen usw., z.B. die Raffination von Zucker aus Zuckerrüben. In einer nächsten Verarbeitungsstufe folgt die Veredlung der Extrakte und die weitere Verarbeitung; z.B. die Herstellung von Schokolade.

Eine Vielzahl kleiner und kleinster Verarbeiter werden in der Schweiz insbesondere durch die Betriebe der beiden Grossverteiler Migros und Coop in den Schatten gestellt. Die beiden «orangen Riesen» bauten in den letzten Jahrzehnten nicht nur ihre Position im Detailhandel aus, sondern auch das bestehende Portfolio an eigenen Verarbeitungsbetrieben wurde sukzessive durch Aufkäufe ergänzt und ausgeweitet. Obwohl oft unter eigenem Namen am Markt auftretend, gehören heute viele Betriebe von Migros und Coop zu den grössten Schweizer Lebensmittelproduzenten. So beispielsweise die beiden Fleischverarbeiter Micarna (Migros) und Bell (Coop), die Schokoladeproduzenten Frey (Migros) und Chocolats Halba (Coop) oder der Milchverarbeiter Elsa-Mifroma (Migros).

Wie die Agrarpolitik die Verarbeiter unterstützt

Die Schweizer Agrarpolitik kennt mehrere spezifische Beiträge, von denen die Verarbeiter profitieren. Ein Beispiel sind die Einlagerungsbeiträge für Kalbfleisch in Höhe von 3,1 Mio. Fr. (vgl. Agrarbericht 2017, BLW). Diese gehen an Akteure der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette – aber nicht an die Bauern. Zur Stützung des inländischen Marktpreises lagern Fleischverarbeitungsbetriebe Produktionsüberschüsse zeitweise ein. Der Bund beteiligt sich an den Lagerkosten und kompensiert den Wertverlust infolge des Einfrierens.

Ein weiteres Beispiel ist die Marktstützung der Eier in Höhe von 1,7 Mio. Fr. Damit sollen die saisonalen Schwankungen des Eierverbrauchs (v.a. an Ostern) geglättet werden. Industriellen Verarbeitern werden im Rahmen von sogenannten «Aufschlagsaktionen» pro verbrauchtem Ei 9 Rp. ausbezahlt, zusätzlich werden mit dem Bundesbeitrag im Detailhandel Eier um 5 Rp. pro Stück verbilligt. (Für weitere Beispiele vgl. Eine Agrarpolitik mit Zukunft, S. 24/25)

Nach den Verarbeitern, am Ende der Wertschöpfungskette folgen die Detailhändler.

Detailhändler

Zu den Aufgaben der Detailhändler gehören Handel und Verkauf von Lebensmitteln; z.B. Schokoladetafeln.

Unter den industrialisierten Ländern ist die Struktur des Schweizer Detailhandels wohl einzigartig. Mit Migros und Coop stehen zwei – für Schweizer Verhältnisse – grosse Unternehmen unangefochten an der Spitze. Eine ältere Analyse der Marktkonzentration der jeweils beiden grössten Detailhändler in 14 europäischen Ländern kommt für die Schweiz auf einen Spitzenwert von 70 – 80% (Weko 2008). In Deutschland sind es immerhin vier Anbieter, die 75% des Marktes beherrschen. Dazu gehören Edeka, Rewe, Schwarz-Gruppe (u.a. Lidl, Kaufland) und Aldi. Der grösste Anbieter, Edeka, vereinigt ein Viertel des Umsatzes des deutschen Marktes auf sich (Bundeskartellamt 2014). In der Schweiz sind Migros und Coop ungefähr gleich gross. Die nächstgrösseren Detailhändler – mit einem Marktanteil von jeweils deutlich unter 10% – sind Aldi, Volg / Landi, Lidl und Spar.

Die hohe Konzentration hat Auswirkungen auf kleinere, unabhängige Verarbeiter und Produzenten. Gerade auf der Stufe des Detailhandels sind Lebensmittelhersteller auf die Grossen angewiesen, da sie kaum Ausweichmöglichkeiten haben. Alternative Absatzkanäle wie der Export oder die Gastronomie fallen im Vergleich zum Schweizer Konsummarkt kaum ins Gewicht.

Für Schweizer Hersteller bedeutet dies oft eine hohe Abhängigkeit sowie unter Umständen hohe Listungsgebühren und Werbekostenzuschüsse. Ein Hersteller aus dem Non-Food-Bereich fasst dies folgendermassen zusammen: «Wenn Coop ein Produkt nicht listet, kommt es normalerweise nicht in den Markt (ausser bei Migros).» (Düring 2014). Lediglich bei sehr starken Marken können sich die Hersteller durchsetzen, da die Detailhändler einen Umsatzrückgang befürchten, wenn sie sogenannte Must-have-Artikel nicht im Sortiment führen. Entsprechend hoch ist der Eigenmarkenanteil bei den beiden Detailhändlern: geschätzte 80% bei der Migros und 50% bei Coop (Blick 2018).

Wie die Agrarpolitik den Detailhandel unterstützt

Massnahmen, die den Absatz unverarbeiteter oder verarbeiteter inländischer Produkte unterstützen, sind Beispiele, wie auch Verarbeiter und Handel von den Steuergeldern profitieren. Die meisten relevanten Ausgaben für die Förderung des Absatzes landwirtschaftlicher Produkte sind im offiziellen Agrarbudget des Bundes enthalten (total 475 Mio. Fr.). Eine zweite Gruppe betrifft die zusätzlichen Ausgaben des Bundes ausserhalb des offiziellen Agrarbudgets, die ebenfalls den Absatz landwirtschaftlicher Produkte fördern sollen (total 21,7 Mio. Fr.). Die detaillierten Kosten sind im Online-Privilegienregister der Schweizer Landwirtschaft wiedergegeben.

Die Beispiele zeigen, dass nicht nur die Bauern von der Landwirtschaftspolitik profitieren, sondern dass die Transfers der Steuerzahler vielen weiteren Akteuren in vor- und nachgelagerten Teilen der Wertschöpfungskette direkt und oft indirekt zugutekommen. Zusammen mit den politischen Interessenvertretern zieht ein ganzer Agrarkomplex aus der Beharrung auf dem Status Quo – und somit auf der aktuellen Agrarpolitik – seine Vorteile.