Die internationale Staatengemeinschaft beruht auf dem Territorialitätsprinzip. Danach erstreckt sich der politische und rechtliche Herrschaftsanspruch eines Staates auf ein bestimmtes Hoheitsgebiet und die dort lebende Bevölkerung. Das schliesst auch die Rechtsetzungskompetenz für die nationale Umweltpolitik ein. Diese erfasst deshalb Luftverschmutzung, Land- und Wassernutzung, Biodiversität, Primärenergieverbrauch usw. Die Umweltbelastung eines Landes hängt somit in erster Linie von dessen Umweltpolitik ab. Es versteht sich von selbst, dass es zwischen den Ländern diesbezüglich erhebliche Unterschiede gibt. So muss die australische Umweltpolitik in Sachen Landnutzung sicher nicht gleich aussehen wie die schweizerische.
Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) nimmt in seiner jüngsten Studie «Entwicklung der weltweiten Umweltauswirkungen der Schweiz. Umweltbelastung von Konsum und Produktion von 1996 bis 2011» eine etwas andere Optik ein. Einerseits wird darin dargelegt, dass die Schweizer Konsumenten die inländische Umwelt heute deutlich weniger belasten als früher. Anderseits werde diese Abnahme jedoch weitgehend durch die im Ausland verursachte Umweltbelastung kompensiert. Das BAFU rechnet somit die Umweltbelastung, die durch den Konsum in unserem Land weltweit verursacht wird, der Schweiz an. Diese Sichtweise ist aus drei Gründen problematisch.
# 1: Schwierige internationale Vergleiche
Erstens ist es methodisch und statistisch äusserst schwierig, die ausländische Umweltbelastung, die durch den schweizerischen Endkonsum entsteht, zu berechnen. Dafür bräuchte es für über 100 Lieferländer detaillierte land-, branchen- , unternehmens- und produktspezifische Produktionsdaten bzw. Ökobilanzen, die zu einem grossen Teil nicht vorliegen. Ebenso müsste man über alle benützten Transportmittel und Transportwege genau Bescheid wissen. Das BAFU schreibt deshalb selbst, dass in manchen Bereichen keine Daten bestehen und «die Material- und Energieeffizienz sowie die Umweltauswirkungen der Produktion von Halbfabrikaten und Konsumgütern ausserhalb Westeuropas oftmals nicht bekannt sind.» So ist es mehr als mutig, wenn man unter diesen Bedingungen von «weltweiten Umweltauswirkungen der Schweiz» spricht. Ist schon die Erstellung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung eines Landes ein komplexes und schwieriges Unterfangen, so wird die Erstellung einer Gesamtbilanz der Umweltbelastung der Schweiz im Ausland fast zu einer Lotterie.
#2: Enthalten die Importpreise die ausländische Umweltbelastung?
Zweitens wird beim Ansatz des Bafu ausgeklammert, dass in den Marktpreisen der Importe die ausländischen Umweltkosten der jeweiligen Herkunftsländer bereits internalisiert sind. Schweizer Marktskeptiker mögen dies bezweifeln. Es liegt aber sicher nicht an Schweizer Verwaltungsstellen, darüber zu befinden, ob die Marktpreise der Importgüter die «richtigen» Knappheiten der Umweltressourcen in den Herkunftsländern sowie die Schäden, die mit deren Verwendung allenfalls verbunden sein können, korrekt wiedergeben. Es fragt sich unter diesen Bedingungen auch, ob der «Verschmutzungseffekt» im Ausland auf den schweizerischen Verpackungen noch speziell ausgewiesen werden soll. Offenbar will man aber dem Schweizer Konsumenten im Rahmen der «Grünen Wirtschaft» etwas ins Gewissen reden, um ihn zu einer weltweiten Schonung der Umwelt anzuhalten. Dafür sollen wohl derartige Hinweise dienen wie «dass für die Herstellung des Smartphones Coltan aus Minen in Afrika gewonnen und abgebaut wird.»
#3: «Umweltpolitischer Imperialismus»
Drittens unterstellt die Studie grundsätzlich, die ausländischen Herkunftsländer der von der Schweiz eingeführten Rohstoffe, Energieträger, Halbfabrikate, Konsum- und Investitionsgüter würden entweder keine oder zumindest eine ungenügende Umweltpolitik betreiben. Denn die Schweiz konnte ja die Umweltbelastung im eigenen Land in der Periode 1996-2011 senken. Da der Löwenanteil der schweizerischen Einfuhren aus vergleichbaren Industrieländern stammt (gegen 70% aus der EU), ist dies fast schon eine Beleidigung. Auch diese Länder haben eine Umweltpolitik, nur richtet sie sich eben nicht nach den schweizerischen Präferenzen, sondern nach der Knappheit der Umweltgüter in den jeweiligen Ländern. Das mag den Verfassern der BAFU-Studie vielleicht nicht passen. Es ist aber ökonomisch vernünftig, wenn jedes Land die Umweltpolitik nach seinen ökologischen Voraussetzungen konzipiert.
Die Alternativen wären, entweder eine weltweite Umweltpolitik nach Schweizer Gusto zu betreiben oder die internationale Arbeitsteilung zurückzufahren. Nicht nur würden die wirtschaftliche Entwicklung und der technische Fortschritt dadurch erheblich beeinträchtigt, sondern es gingen für viele Länder, namentlich für die Schweiz, die wohlstandsfördernden Spezialisierungsvorteile verloren. Die Umweltbelastung kann nicht über den Einbezug der Ressourcennutzung in die internationalen Handelsströme bekämpft werden, sondern nur am Ort ihrer Entstehung durch differenzierte verursachergerechte Umweltpolitiken.
Wenn die Schweiz in Sachen Ressourcennutzung höhere Standards und Umweltziele verfolgen will, um eine Vorreiterrolle einzunehmen, so kann man darüber diskutieren. Es steht unserem Land jedoch schlecht an, über die Umweltpolitik anderer Länder indirekt Richter spielen zu wollen, auch wenn Energieeffizienz und Umweltbelastung zu Schlüsselfaktoren geworden sind.