«It’s all over now» – der Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA führte auch in Schweizer Haushalten zu einem Seufzer der Erleichterung. Aufgewachsen in der Schweizer Konsenskultur konnten sich viele mit dem Stil von (noch) US-Präsident Trump nicht anfreunden. Gleichzeitig aber waren die schweizerisch-amerikanischen Kontakte auf höchster politischer Ebene wohl kaum jemals so intensiv wie während der Trump-Administration. Der US-Präsident besuchte zweimal unser Land, sein Aussenminister Mike Pompeo blieb gar mehrere Tage und liess sich u.a. das Bundeshaus, die Berner Altstadt und das Castelgrande in Bellinzona zeigen.

Höhepunkt des Austausches in den vergangenen vier Jahren war, dass Ueli Maurer von Donald Trump als Bundespräsident ins Weisse Haus eingeladen wurde. Im Hintergrund arbeiteten Diplomaten und Handelsexperten des Bundes daran, die gebotene Bühne für die handelspolitischen Anliegen der Schweiz zu nutzen. Stark unterstützend wirkte dabei auch der 2017 von Trump eingesetzte amerikanische Botschafter in der Schweiz, Ed McMullen, der seinen direkten Draht ins Weisse Haus nutzte, um die Treffen einzufädeln.

All jene, die auf handfeste Ergebnisse dieser intensiven Kontakte gehofft hatten, stiessen nach der Wahlentscheidung einen Seufzer der Enttäuschung aus. Aus und vorbei sei die Chance, ein Freihandelsabkommens (FHA) mit den USA abzuschliessen – diesen Eindruck könnte man aufgrund verschiedener Schweizer Kommentare zum US-Wahlausgang erhalten.

Die Schweiz wird im Capitol in Washington D.C. auch unter demokratischer Führung ein attraktiver Partner bleiben. (Louis Velazquez, Unsplash)

Doch realistischerweise durften wir während der vergangenen vier Jahre, trotz des zwischenzeitlich verbreiteten Optimismus, unsere Position auf der Prioritätenliste der US-Aussenhandelspolitik nicht überschätzen. Vor uns standen – und stehen nach wie vor – Schwergewichte wie China und die EU, mit denen die USA über die Beilegung der Handelsdispute diskutiert. Die «special relationship» und die grössere wirtschaftliche Potenz des Vereinigten Königreichs machen es aus US-Sicht ebenfalls zu einem Kandidaten, mit dem zuerst ein Abkommen abzuschliessen sei. Es ist zu erwarten, dass sich an dieser Rangfolge auch unter einer neuen US-Administration kaum etwas ändern wird – insbesondere weil die Schweiz ihre Chance auf Freihandel 2006 bereits einmal mutwillig verspielt hat.

Doch für die Schweiz muss eine Regierung Biden nicht zwingend nachteiliger sein als die Präsidentschaft von Trump – trotz einer zu erwartenden geringeren medialen Aufmerksamkeit des bilateralen Austausches. So ist aus Schweizer Sicht die Stärkung des Multilateralismus auch weiterhin die erste Wahl. Die Trump-Administration zog sich aus vielen internationalen Organisationen wie der WTO, der WHO oder aus dem Pariser Abkommen faktisch oder tatsächlich zurück. Unter Biden dürften die USA an den Verhandlungstisch zurückkehren, nicht zuletzt, um die internationale Bühne nicht allein China zu überlassen. Dies ist auch für die Schweiz eine Chance.

Zweite Wahl für die Schweiz – nach dem Multilateralismus – ist der Abschluss bilateraler Abkommen. Auch hier könnte es zu mehr Bewegung kommen, jedoch von einer anderen Seite. Sollten die USA und die EU beschliessen, ihre 2016 auf Eis gelegten Verhandlungen über ein Wirtschaftsabkommen wieder aufzunehmen, würde dies die Schweiz (wieder) unter Druck setzen. Denn damals wie heute wäre ein Abkommen zwischen den beiden wichtigsten Handelspartnern der Schweiz nicht ohne Auswirkungen auf unser Land. So wurde geschätzt, dass der gegenseitige Zollabbau zwischen der EU und den USA aufgrund der handelsumlenkenden Effekte sowie der Folgen restriktiverer Ursprungsregeln für Schweizer Exporteure zu einem geschätzten BIP-Rückgang von 0,5% geführt hätte (World Trade Institute 2014, Balestieri 2014).

Die Schweiz wäre bei einer solchen Ausgangslage nicht mehr in der Rolle der Agierenden, sondern müsste angesichts der wirtschaftlichen Herausforderung reagieren. In diesem Fall wären unbedingt die politischen Reihen für dringende inländische Reformen zu schliessen – man denke insbesondere an die Agrarpolitik – um ein Handelsabkommen zu ermöglichen.

Weiter darf die Schweiz dank der Gruppe «Friends of Switzerland Caucus» auf starke Fürsprecher in beiden Häusern des US-Parlamentes zählen. Darunter der demokratische Kongressabgeordnete und ehemalige Botschafter der USA in der Schweiz (2009-2013), Don Beyer, der im Oktober 2019 mit 19 weiteren Parlamentariern den US-Handelsbeauftragten aufforderte, mit der Schweiz einen Freihandelsvertrag abzuschliessen.

Eine zusätzliche Plattform des Austausches bieten die nach wie vor durch die Schweiz geleisteten «guten Dienste» zwischen den USA und dem Iran. Es kann erwartet werden, dass unter Präsident Biden die Kontakte zwischen Washington D.C. und Teheran über Bern stark genutzt werden, insbesondere wenn es um eine Wiederaufnahme des von Präsident Trump gekündigten Atomabkommens geht. Weiter sollte die Schweiz auf das Thema Berufsbildung als Türöffner für Gespräche mit der Biden-Administration setzen – darüber hatte sich die künftige First-Lady Jill Biden schon 2014 vor Ort in der Schweiz informiert.

Aufgrund des grossen Erfahrungsschatzes unserer Handelsdiplomaten und Politiker – immerhin haben wir mit über 75 Ländern das wohl dichteste Netz an FHA weltweit, die USA kommen auf 20 Länder – wird sich unser Land auch unter der neuen amerikanischen Administration weitere Chancen erarbeiten. Diese gilt es mit mehr Verve als bisher auszubauen und aktiv zu nutzen. Dazu muss sich die Schweiz, vorab das federführende Departement unter dem künftigen Bundespräsidenten und Wirtschaftsminister Guy Parmelin, einen Ruck geben und sich explizit zum Freihandel bekennen. Dies auch gegen allfällige innenpolitische Widerstände, statt sich wie bisher von ihnen instrumentalisieren zu lassen.

Sowohl die USA als auch die Schweiz befinden sich infolge der Covid-19-Auswirkungen in einer angespannten Wirtschaftslage. Ein bilaterales FHA würde Zehntausende von neuen Stellen beidseits des Atlantiks schaffen (Dümmler und Anthamatten 2019). Der Schweizer Tatbeweis, den Abschluss eines FHA mit den USA voranzutreiben, ist heute dringlicher denn je.