«Wird die Schweiz im Finanzsektor ein Land wie jedes andere?» Die Frage von Gerhard Schwarz beantworteten beim Annual Dinner von Avenir Suisse zwei der prominentesten Persönlichkeiten des Finanzplatzes: Urs Rohner, Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse Group AG, und Sergio Ermotti, Group CEO von UBS. Die Förderer von Avenir Suisse aus allen Branchen und Regionen erhielten von den Repräsentanten der beiden Grossbanken eine Übersicht über den Finanzplatz Schweiz im globalen Sturm.
Weshalb es die Grossbanken braucht
Sergio Ermotti lud sein kritisches Publikum zu einem Gedankenexperiment ein: «Braucht es die beiden Grossbanken?», fragte er. Als Beitrag zur Diskussion verdeutlichte er ihre Bedeutung mit Zahlen. CS und UBS erarbeiten zusammen 4% des Bruttoinlandprodukts; sie beschäftigen in der Schweiz 45‘000 Mitarbeitende und sorgen zusätzlich für das Einkommen von doppelt so vielen Arbeitstätigen, die vom Geschäft der Grossbanken abhängen. Allein die UBS bezahlte seit der Fusion von Bankgesellschaft und Bankverein 1998 fast 30 Mrd. Fr. an Steuern. Und dazu kamen die Steuern der Mitarbeitenden, geschätzte 800 Mio. Fr. im Jahr. Die Grossbanken nützten aber nicht nur dem Staat, sondern auch den Unternehmen, betonte der CEO von UBS: Sie sorgen für drei Viertel der Kapitaltransaktionen der Schweizer Firmen und sichern zwei Drittel ihrer Währungsrisiken ab. Deshalb warb Sergio Ermotti um Unterstützung: «Das Erfolgsmodell Schweiz beruht auf der Symbiose von Gross und Klein.»
Verunsicherung wird gnadenlos ausgenutzt
Gerade an dieser Einheit mangele es aber gegenwärtig, stellten sowohl die beiden Redner als auch der Gastgeber fest. «Nirgends ist dieses Land in Fragen des Finanzplatzes auch nur halbwegs geeint», sagte Gerhard Schwarz. «Eine solche Divergenz zwischen Finanzplatz und Behörden finden Sie in keinem anderen Land», stellte Urs Rohner kritisch fest. Und Sergio Ermotti warnte, die Verunsicherung werde von der Konkurrenz gnadenlos ausgenutzt.
Wenn die Schweiz ihren Finanzplatz bewahren wolle, mahnte der CEO von UBS, dann müsse sie ihre Stärken mit einer klaren Strategie und Kommunikation resolut ausspielen. Sie müsse die finanzielle Privatsphäre der Kunden schützen und dürfe die Vertraulichkeit von Bankdaten nicht brechen. Sie solle sich konsequent an internationale Standards halten – aber nicht darüber hinausgehen: «Das heisst, dass es keine Abgeltung ausserhalb von Europa geben darf.» Und die Banken dürften nicht als «verlängerter Arm von ausländischen Steuerbehörden» dienen: «Mit unilateralen Massnahmen geraten wir in eine Falle, aus der wir nicht mehr herauskommen.»
Gut durch Krise gekommen – nicht belohnt
Für «Regulierung mit Augenmass» warb Urs Rohner: «Denn Regulierung führt auch zu volkswirtschaftlichen Kosten – das sieht man jetzt.» Aufgrund des Regelwerks von Basel III müssten die Banken ihre Bilanzen massiv verkürzen. Die Staaten, von denen einige noch bei «Basel anderthalb» stünden, dürften die Implementierung nicht verzögern und die Regeln nicht zugunsten ihrer mit Steuergeldern geretteten Banken aufweichen: «Wir müssen scharf beobachten, was die USA tun.» Vor allem aber, warnte Urs Rohner, drehten sich 90 Prozent der Debatte um die Kapital- und Liquiditätsanforderungen; kaum jemand denke darüber nach, was geschehe, wenn trotz höherer Stabilität eine Bank scheitert. Insbesondere die geordnete Abwicklung grenzüberschreitend tätiger Institute sei vorzubereiten. Dass keine Banken vom Markt verschwänden, führe zu Wettbewerbsverzerrungen, hielt der Präsident der Credit Suisse fest: «Wer gut durch die Krise gekommen ist, wird nicht belohnt.»
Um im zunehmend härteren Kampf der Finanzplätze zu bestehen oder sogar zu gewinnen, brauche die Schweiz einen Aktionsplan. Bei der Regulierung gelte es, die Bewilligungsprozesse von Finanzprodukten wie Fonds oder ETF zu straffen und das Überschiessen zu vermeiden. Bei den Steuern drängten sich die Abschaffung der «anachronistischen» Stempelsteuer und ein zügiges Vorgehen bei der Unternehmenssteuerreform III auf. Beim Human Capital wünschten sich die Banken die erleichterte Rekrutierung von Spezialisten auch aus Nicht-EU-Ländern. Und bei der Finanzmarktinfrastruktur stelle sich die Frage: «Was wollen wir selber machen? Und mit wem können wir zusammenarbeiten?»
Nur ein konzertierter Aktionsplan führe zum Erfolg, betonte Urs Rohner. Deshalb forderte er eine enge Zusammenarbeit und eine selbstbewusste Kommunikation von Finanzplatz und Behörden: Die Schweiz müsse geeint auftreten, damit sie nicht verliere. Beim Annual Dinner nutzten die Gäste gerne die Gelegenheit, im persönlichen Gespräch mit den beiden Grossbankenvertretern Vorbehalte auszuräumen und Standpunkte wieder anzunähern.