Viele Journalisten wollten wissen, wie sich die Pandemie auf die Altersrenten der Vorsorgeeinrichtungen ausgewirkt hat. Die Frage nach den Auswirkungen der Übersterblichkeit im Zusammenhang mit dem Virus ist zwar gerechtfertigt, trifft vermutlich aber den Kern der Sache nicht. Denn die Risiken liegen nicht bei den Rentnern, sondern bei den aktiven Versicherten, und gehen von den Invaliditätsleistungen aus.

Vielen Versicherten ist nicht bewusst, welch wichtige Rolle die berufliche Vorsorge hier spielt. Nebst den rund 1400 Franken, die die Invalidenversicherung der 1. Säule (IV) als monatliche Rente auszahlt, erhalten Pensionskassenversicherte einen ungefähr gleich hohen Betrag. Die Pensionskassen zahlen pro Jahr insgesamt 2,1 Milliarden Franken an Invaliditätsleistungen aus.

Doppelte Herausforderung für die Kassen

Entgegen der gängigen Vorstellung von Personen mit Beeinträchtigung als Menschen im Rollstuhl spielen körperliche Leiden eine zusehends untergeordnete Rolle. Hingegen betrafen 47% der im Jahr 2020 neu zugesprochenen IV-Renten psychische Erkrankungen. Und genau in diesem Punkt dürfte die Pandemie bei den Pensionskassen finanzielle Spuren hinterlassen. Die Homeoffice-Pflicht, das Verbot von Sport- und Kulturveranstaltungen sowie die Beschränkung der Anzahl Kontakte im privaten Bereich haben bei vielen Versicherten psychische Störungen ausgelöst.

47 Prozent der im Jahr 2020 neu zugesprochenen IV-Renten betrafen psychische Erkrankungen. (Larm Rmah, Unsplash)

Gemäss der Swiss Corona Stress Study der Universität Basel ist der Anteil von Menschen mit schweren depressiven Symptomen zwischen der ersten und der zweiten Corona-Welle im Jahr 2020 von 3% auf 18% angestiegen. Diese Entwicklung stellt für die IV und damit auch für die von deren Rentenentscheiden abhängigen Pensionskassen eine doppelte Herausforderung dar: einerseits wegen der gestiegenen Rentengesuche, andererseits, weil sich in Krisenzeiten eine Eingliederung der Betroffenen viel schwieriger gestaltet.

Es gibt zu wenig Case Manager

Je länger die Arbeitsunfähigkeit dauert, desto geringer sind die Aussichten auf eine Eingliederung. In unklaren Situationen, wie sie bei psychischen Erkrankungen typisch sind, kann eine rasche und gezielte Intervention ein Abgleiten in eine Negativspirale verhindern – zu einer Depression können sich eine Alkoholabhängigkeit, der Verlust des Arbeitsplatzes oder Schulden gesellen. Um einen solchen Absturz ins Elend zu verhindern, können die IV, die Krankentaggeld-Versicherer (KTG-Versicherer) oder die Pensionskassen einen Case Manager einschalten. Dieser koordiniert die Massnahmen der Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Ärzte und Versicherer.

Obwohl die Arbeitgeber eigentlich verpflichtet sind, Langzeiterkrankungen ihren Pensionskassen frühzeitig zu melden, sind es oft die KTG-Versicherer, die als erste davon erfahren. Doch für Letztere beschränkt sich die Rendite einer «Investition» in einen Case Manager lediglich auf die Einsparungen, die während der maximalen Leistungsdauer von 730 Tagen möglich sind, während die IV und die Pensionskasse noch während Jahren oder gar Jahrzehnten die Kostenfolgen einer nicht gelungenen Eingliederung zu tragen haben. Obwohl das System in seiner Gesamtheit von einem Case Manager profitieren würde, rechnet sich dessen Einsatz für den KTG-Versicherer oft nicht.

Bessere Kostenaufteilung

Diese fehlenden gemeinsamen finanziellen Interessen sind ein klassisches Beispiel für positive externe Effekte: Die Pensionskassen und die IV profitieren vom Case Management, obwohl sie nicht zur Kostenbeteiligung gezwungen sind. Diese Verzerrung ist nicht nur ungerecht, sie schadet auch allen Beteiligten, denn es wird dadurch viel zu selten ein Case Manager eingeschaltet.

Will man ein besseres Gesamtergebnis erzielen, braucht es Finanzmechanismen, die diese positiven Externalitäten internalisieren. Oder auf gut Deutsch: Sämtliche Akteure, die von den Vorteilen des Case Managements profitieren, sollten einen Teil der Kosten tragen. Die Mitglieder des Vereins Compasso haben deshalb eine Vereinbarung für die Kostenaufteilung entwickelt, die eine pragmatische Lösung dieses Problems ermöglicht. Die KTG-Versicherung und die Pensionskasse vereinbaren mit einer kurzen E-Mail oder per Telefon, wer die Koordination des Falls übernimmt, für welchen Höchstbetrag und wie die Kosten aufgeteilt werden sollen (beispielsweise 50/50).

Obwohl der Verein Compasso offiziell von rund 100 Mitgliedern getragen wird, darunter auch vom ASIP und von Inter-Pension, erfolgt die Umsetzung der Vereinbarung noch nicht systematisch. Ausserdem wäre es wünschenswert, wenn die Kostenaufteilung auch die kantonalen IV-Stellen involvieren würde. Von einer solchen Zusammenarbeit würden nicht nur alle an der Finanzierung von Invaliditätsfällen beteiligten Akteure profitieren, sondern vor allem auch die Hauptbetroffenen, nämlich die Menschen mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung.

Dieser Beitrag ist in der Zeitschrift «Schweizer Personalvorsorge», Ausgabe 7/21 erschienen. Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie in der Studie «Eingliedern statt ausschliessen».