Man hatte ihn für Ende 2014 angekündigt, letztendlich kam er erst im September 2016. Er, der Reformentwurf für die Ergänzungsleistungen (EL), der kleine Bruder der Reform der Altersvorsorge 2020 (AV2020). Der Bundesrat versuchte mit dieser Verzögerung grosses Aufsehen zu vermeiden, um die heikle Revision der 1. und 2. Säule, die im Zentrum der parlamentarischen Diskussionen stand, nicht noch komplizierter zu machen.

Plötzlich im Scheinwerferlicht

Nach der Ablehnung der AV2020 durch das Stimmvolk am 24. September 2017 werden die politischen Akteure nun plötzlich aktiv. Die Parteien wollen Nägel mit Köpfen machen und möglichst schnell eine Reform 
«light» vorlegen, die auf den kaum umstrittenen Punkten der verworfenen Vorlage basiert, wie auf dem flexiblen Rentenalter, der Anhebung des Rentenalters für Frauen auf 65 Jahre und der Senkung des Umwandlungssatzes. Die Linke hat jedoch klar zu verstehen gegeben, dass die nächste Reform Kompensationsmassnahmen beinhalten müsse, und auch von rechts erhält die Idee, die Reform mit Massnahmen zugunsten der am stärksten Benachteiligten anzureichern, breite Unterstützung.

Eine «Reform light» gefährdet die Gesundheit des Rentensystems. (Wikimedia Commons)

Vor diesem Hintergrund steht die Reform der EL plötzlich im Scheinwerferlicht. In der Logik der aus drei Säulen bestehenden Altersvorsorge würde eine Änderung im Bereich der Ergänzungsleistungen gezielte Massnahmen zugunsten jener Menschen ermöglichen, die wirklich darauf angewiesen sind, und auch garantieren, dass diese Vorteile tatsächlich im richtigen Portemonnaie landen. So würde zum Beispiel eine Erhöhung der Ausgaben, die für den Anspruch auf EL anerkannt werden (Art. 10 ELG), wie persönliche Ausgaben oder Maximalbeträge für die Miete, eine spürbare Verbesserung für mittellose Personen bedeuten. Eine gezielte Erhöhung der AHV für Menschen, die am stärksten von Armut betroffen sind, könnte hingegen eine entsprechende Kürzung ihrer EL nach sich ziehen und somit die gewünschte Unterstützung wieder zunichte machen.

Sparen am falschen Ort

Die Reform der EL sieht zurzeit vor, den Kapitalbezug aus der obligatorischen 2. Säule zu verbieten. Doch einerseits sind die erhofften Ersparnisse von 102 Mio. Fr. umstritten – dieser Schätzwert lässt nämlich die positiven Auswirkungen eines Kapitalbezugs ausser acht. Anderseits könnte sich diese Massnahme als Eigentor erweisen. Mit einem Mindestumwandlungssatz von 6,8% generiert nämlich jeder Neurentner, der sich für eine Rente entscheidet, einen Mutationsverlust von mindestens 50’000 Fr. Dieser Betrag muss durch Quersubventionierungen zulasten der Aktiven gedeckt werden. Er sinkt oder fällt sogar ganz weg, wenn sich der Neurentner einen Teil oder die Gesamtheit seines BVG-Guthabens als Kapital auszahlen lässt, was heute auf fast jeden zweiten Versicherten zutrifft. Ein Verbot des Kapitalbezugs würde demnach zu einem starken Anstieg der Quersubventionierungen führen. Einige nicht umhüllende Kassen hätten Mühe, diese zu garantieren.

Hinzu kämen potenzielle Kosten im Zusammenhang mit der Besitzstandfinanzierung zugunsten der Übergangsgeneration bei der nächsten Reform der 2. Säule. Die AV2020 sah für diese Personen ein gleichbleibendes Rentenniveau vor, trotz der Senkung des Umwandlungssatzes, was kollektiv von allen Pensionskassen finanziert worden wäre. Für jene, die sich für den Kapitalbezug entscheiden, war keine Kompensation vorgesehen. Für die Übergangsgeneration (45 Jahre und älter bei der AV2020) hätte das Verbot des Kapitalbezugs Zusatzkosten von 200 Mio. Fr. pro Jahr bedeutet. Die Zukunft wird weisen, ob die Übergangsgeneration bei der nächsten Reform der 2. Säule auch so grosszügig definiert wird. Doch die Zusatzkosten, die sich durch ein Verbot des Kapitalbezugs ergeben, bleiben etwa gleich und werden die weiter oben beschriebenen erhofften EL-Einsparungen bei weitem aufheben.

Optionen offenhalten

Da das Stimmvolk die AV2020 bachab geschickt hat, wird die Reform der EL zu einem wichtigen Faktor bei der Suche nach einem neuen Kompromiss. Eine voreilige und isolierte Reform der Ergänzungsleistungen würde nicht nur die Möglichkeiten einschränken, die mittellosen Rentner gezielt zu unterstützen, sondern auch die Kosten für die Kompensationsmassnahmen bei einer Senkung des Umwandlungssatzes beeinflussen. Darum sollte nichts überstürzt werden. Auch wenn die AHV und die 2. Säule wahrscheinlich unabhängig voneinander reformiert werden, ist es unerlässlich, eine Gesamtvision unseres Vorsorgesystems zu entwickeln. Die Reform der Ergänzungsleistungen müsste sistiert werden, bis dieser umfassende Überblick wirklich vorliegt und die Umrisse der nächsten Reform der Altersvorsorge klar zu erkennen sind.

Dieser Text ist am 15. November 2017 in der Ausgabe 11/17 der Zeitschrift «Schweizer Personalvorsorge» erschienen.