Die Doppelrolle des Staates als Regulator und Eigentümer im Energiemarkt treibt seltsame Blüten – meist auf Kosten der kleinen, «gefangenen» Stromkonsumenten: Grosse Verbraucher können ihren Stromversorger wählen, während die privaten Haushalte an die lokalen Lieferanten gebunden sind. Im freien Teil des Marktes bilden sich die Strompreise über den Wettbewerb, im abgeschotteten Teil verrechnen die Stromversorger ihre Kosten plus Marge. Um die gefangenen Konsumenten zu schützen, bedient man sich einer typischen helvetischen «Krücke»: Die Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom) überwacht die Tarife und kann «ungerechtfertigte Preiserhöhungen» zulasten der privaten Haushalte untersagen. In einem vollständig geöffneten Markt wäre eine solche Überwachung überflüssig, es würden einfach die kartellrechtlichen Spielregeln gelten.

Die Politik schröpft die Stromkonsumenten

Die Tätigkeit der ElCom führt zu aufsehenerregenden Entscheiden. Letzten Sommer urteilte das Bundesgericht gegen die Centralschweizerischen Kraftwerke (CKW), dass sie Preisvorteile bei der Beschaffung von günstigem Strom stark einseitig den Grosskunden im freien Markt weitergegeben haben. Viele andere Energielieferanten dürften eine ähnliche Praxis pflegen: Der teurere, meist selbstproduzierte Strom aus Schweizer Wasser- oder Atomkraft wird den privaten Haushalten weiterverrechnet, während die Grosskunden von billigem europäischem Strom profitieren. Die ElCom schätzt die Kosten dieser Praxis auf rund 90 Franken pro Haushalt und Jahr. Insgesamt hätte die Stromrechnung der Schweizer Haushalte 2015 um rund 327 Mio. Franken tiefer ausfallen können.

Flugs provozierte das Bundesgerichtsurteil parlamentarische Aktivität: Eine Kommission will das Stromversorgungsgesetz so abändern, dass den privaten Haushalten legal die höheren Kosten aufgebürdet werden können. Angesichts solcher Fakten erstaunt die Hartnäckigkeit, mit der sich die Mär von den Vorteilen staatlichen Eigentums im Stromsektor hält.

Der Stausee Grande Dixence. (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

Imposante Staumauern wie jene der Grande Dixence sind Symbole für einen Energiemarkt der Vergangenheit. (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

Auch der Kanton Zürich verfolgt mit den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich (EKZ) politische Ziele. Zur Sanierung der Kantonsfinanzen will die Regierung die EKZ verpflichten, dem Kanton in den nächsten drei Jahren insgesamt 90 Millionen Franken abzuliefern. Danach soll das Unternehmen regelmässig Gewinne zugunsten der Kantonsfinanzen ausschütten.

Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, dass der Eigentümer eines Unternehmens, das im Wettbewerb steht, eine angemessene Entschädigung für sein investiertes Kapital erhält. Dass jedoch ein staatlicher Monopolbetrieb auf dem Buckel der gefangenen Haushalte namhafte Gewinne erwirtschaftet – und dafür von lokalen Politikern noch gelobt wird – ist höchst fragwürdig. Dies widerspricht der verbreiteten Vorstellung diametral, wonach Staatsunternehmen im Vergleich zu privaten Unternehmen günstigere und qualitativ bessere Leistungen bereitstellen. Die Gewinnabschöpfung des Kantons stellt nichts anderes als eine Schattensteuer dar, die von den Kleinbezügern zu berappen ist.

Ein sauberer Schnitt ist notwendig

Um den heutigen Missständen in der Strombranche zu begegnen, bräuchte es zweierlei: Erstens müsste das Versprechen des Parlaments, den Strommarkt nach 2013 auch für Kleinbezüger zu öffnen, endlich eingelöst werden. Damit könnten auch die Haushalte von den heute tiefen europäischen Strompreisen profitieren. Zweitens sollten die Stromunternehmen privatisiert werden, wobei grundsätzlich nichts gegen ausländische Investoren spricht, um die Steuerzahler von den zunehmenden finanziellen Risiken zu entlasten.

Unsinnig ist dabei das oft gehörte Argument, dass ein Verkauf von Stromunternehmen zum heutigen Zeitpunkt einer «Verstaatlichung von Verlusten» gleichkommt. Der Wert eines Unternehmens hängt nämlich nicht von dessen Leistungen in der Vergangenheit ab, sondern von den Zukunftsaussichten. Technisch gesprochen entspricht er den diskontierten zukünftigen Gewinnausschüttungen. Je düsterer die zukünftigen Gewinnperspektiven eines Unternehmens sind, umso tiefer fällt dessen Bewertung aus. Die in den letzten zehn Jahren massiv gesunkene Börsenkapitalisierung von Unternehmen wie Alpiq, BKW und Repower sind genau Ausdruck dieses Mechanismus. Im heutigen Umfeld auf eine Wertsteigerung der staatlichen Stromunternehmen zu hoffen, bedeutet nichts anderes, als sich gegen die Erwartungen des Marktes zu stellen. Genau aufgrund solcher irrationaler Verhaltensweisen kommen Spekulationsblasen zustande. Durch eine Privatisierung von Stromunternehmen würden auch die Interessenskonflikte entschärft, die einer verantwortungsvollen «Governance» im Weg stehen.

Dieser Text ist in der Ausgabe vom 19. Januar 2017 in der «Handelszeitung» erschienen.
Weitergehende Informationen zum Thema finden Sie in unserer Publikation 
«Das Märchen vom Tafelsilber – eine Privatisierungsagenda für die Schweiz»