In der Serie «Schweiz 2050» fragt die NZZ: «Wären 12 Kantone besser?». Die historische Gliederung der Schweiz in 26 Kantone sei überholt, lautet ihre Analyse. «20 Minuten» hat das Thema aufgenommen und stellt fest, dass der «Kantönligeist» in der Schweiz nicht nur Tradition hat, sondern auch für handfeste Probleme sorgt. Natanael Rother verteidigt in einem Interview mit Pascal Michel von «20 Minuten» den Föderalismus.
«20-Minuten»: Herr Rother, aus welchem Kanton stammen Sie und was bedeutet er Ihnen?
Natanael Rother: Ich bin Zuger. Zug, und noch viel mehr das Ägerital, wo ich aufgewachsen bin, ist für mich Heimat. Hier habe ich lange in Vereinen mitgewirkt und es ist der Ort, wo meine Familie und Freunde aus der Kindheit leben.
Die NZZ schlug jüngst eine Neuordnung der Schweiz mit 12 Kantonen vor. Bei vielen «20-Minuten»-Lesern kommt das schlecht an: «Lokale Angelegenheiten müssen und können lokal gelöst werden», so der Tenor. Was halten Sie davon?
Es ist ein Planspiel, und die Zahl ist aus der Luft gegriffen. Auch ich bin überzeugt, dass die vielen – auch kleinen – Kantone ihre Aufgaben effizient erledigen können. Verschiedene Kantone zu fusionieren, heisst nicht automatisch, dass sie ihre Mittel auch effizienter einsetzen. Statt auf dem Reissbrett 12 Kantone zu definieren, sollten wir uns fragen, wie wir im bestehenden System mit 26 Kantonen Leerläufe vermeiden können.
Ein Argument gegen die 12-Kantone-Schweiz ist, dass die kleinräumige Struktur mit vielen Kantonen ein Erfolgsmodell darstellt. «Der Föderalismus ist die Stärke der Schweiz», schreibt ein Leser. Hätte die 12-Kantone-Schweiz überhaupt eine Chance bei den Bürgern?
Dem heutigen System eine 12-Kantone-Schweiz überzustülpen, ergibt keinen Sinn, weil die kantonalen Identitäten noch immer lebendig sind. Kantonsfusionen müssen von der Bevölkerung getragen und umgesetzt werden.
Warum ist der Föderalismus den Schweizern so wichtig? Ein Leser schreibt etwa: «Zentralismus funktioniert nicht, das sieht man in Frankreich.»
Föderale Lösungen stärken die Akzeptanz des Staatswesens bei den Bürgern, da die Gesetze nicht von «denen da oben in Bern» diktiert werden, sondern die Kantone eigene Wege gehen können. Auch die direkte Demokratie ist in den Kantonen und Gemeinden am stärksten. Die so geschaffene Bürgernähe sorgt für Vertrauen, und sie kann den heute weit verbreiteten populistischen Strömungen wohl einigen Wind aus den Segeln nehmen. Ein Graben zwischen der Politik und der Bevölkerung tut sich so nicht auf.
Der «Kantönligeist» sorgt aber auch für Verwirrung. Ein Leser schreibt: «Ist ja schon ein Witz, dass gefühlt jedes zweite Haus einen anderen Steuersatz hat. Vom Schulsystem gar nicht zu reden.»
Wir müssen es doch aushalten, dass die Kantone die Dinge unterschiedlich regeln. Das sorgt für einen Wettbewerb der Ideen und dadurch für einen effizienteren Einsatz der Mittel. Seit jeher dienen Kantone als Experimentierfeld. Man denke nur an das Ausländerstimmrecht: Kantone und Gemeinden haben längst vorgespurt, was in einer globalisierten Welt auch auf Bundesebene zu diskutieren ist.
Aber warum soll ein Kanton einen anderen Steuersatz haben? Eine Leserin findet das «Kantönligeist» par excellence.
Das Wort «Kantönligeist» ist ja schon fast zum Schimpfwort verkommen. Dabei ergibt es ja durchaus Sinn, dass die Kantone gewisse Aufgaben selber regeln, dazu gehört auch die Höhe der Steuern. So kann ein abseits der urbanen Zentren gelegener Ort wie der Kanton Nidwalden durch einen tiefen Steuersatz seinen natürlichen Standortnachteil ausgleichen. Damit der Föderalismus seine Kraft entfalten kann, braucht es eine gewisse Gelassenheit und ein Grundvertrauen in die Problemlösungskraft der Kantone.
Einige Leser finden trotzdem, man müsse alle Kantone abschaffen. Wohin würde das führen?
Wir würden in einer Schweiz leben, die mehr zentralistisch gekochten Einheitsbrei und weniger Vielfalt hat. Die Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern würde mit Sicherheit leiden. Und in Bern würde wohl noch mehr als schon heute der Verteilkampf um Bundesgelder geführt.
Es gibt aber auch gute Argumente für eine radikale Reform. Experten befürchten, dass unser politisches System in Zeiten der Globalisierung die Zerstückelung nicht mehr aushält.
Gewisse Aufgaben können nicht von den Kantonen allein gelöst werden. Es ergibt beispielsweise keinen Sinn, wenn jeder Kanton eine eigene Armee hätte. Aber gerade die Schnelligkeit, sich anzupassen, ist in der heutigen Zeit wichtig – und da kann ein kleinräumiges Modell sicher schneller reagieren.
Dieses Interview ist in «20 Minuten online» am 10. Juni 2017 unter dem Titel «Eine 12-Kantone-Schweiz macht keinen Sinn» erschienen. Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.