Die USA durfte gerade die längste Periode ihrer Geschichte ohne Rezession vermelden, und auch die Schweiz kann auf eine enorm ausgedehnte Zeit ökonomischer Prosperität zurückblicken. Sogar die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 ging verhältnismässig milde an uns vorbei – die letzte wirkliche Krise datiert aus den frühen 1990er Jahren. Eigentlich alles sehr positive Nachrichten. Dennoch bekommt man immer mehr den Eindruck, dass eine Saturiertheit um sich greift. Ausdruck findet sie unter anderem in einer für ein aufgeklärtes Land meist irrationalen Technologieskepsis.

Evidenz der Wissensschaft

Beispiele hierfür gibt es zuhauf: In der Öffentlichkeit gegenwärtig am meisten diskutiert wird die Einführung des neuen Mobilfunkstandards 5G. Eigentlich ist die wissenschaftliche Evidenz zu den (Nicht-) Risiken der Mobilfunkstrahlung eindeutig. Obwohl 5G die Strahlenbelastung pro gesendete Dateneinheit sogar reduziert, ist der Widerstand enorm. Interessanterweise stammt der Ruf nach einem 5G-Moratorium oft aus ähnlichen Kreisen, die im Bereich des Klimawandels (zurecht) auf die Evidenz der Wissenschaft pochen. Dass antiwissenschaftliche Skepsis politisch Erfolg haben kann, zeigt das Schicksal der Gentechnik in der Schweiz. Der hiesige Standort spielt in diesem Bereich gemessen am Potenzial leider nur eine kleine Rolle.

Obwohl 5G die Strahlenbelastung pro gesendete Dateneinheit sogar reduziert, ist der Widerstand enorm. (Wikimedia Commons)

Der technologische Wandel stösst aber auch auf anderer Ebene auf Widerstand. Zwar verlagert sich das Leben der meisten Menschen zunehmend in die digitale Sphäre. Doch sobald diese Realität in Gesetz und Verwaltungstätigkeit Niederschlag finden soll, ist der Aufschrei programmiert. Aktuellstes Beispiel ist der jüngste Bundesratsentscheid zum Thema E-Voting, der die Überführung des elektronischen Stimmkanals in den ordentlichen Betrieb vorläufig zurückgestellt hat. Obwohl die Gesetzgebung den anerkannten technischen Anforderungen bezüglich Sicherheit Rechnung getragen hätte, überwogen die Skepsis und damit faktisch auch das Misstrauen gegenüber dem Gesetzgeber selbst. Bei manchen Kommentaren im Nachgang zum Entscheid meinte man sogar eine gewisse Sehnsucht nach der Landsgemeinde als einzig möglicher Ausprägung unmittelbarer Demokratie zu spüren. Das Stimmrecht für Auslandschweizer (immerhin mehr als 10% aller Schweizer Staatsbürger!) oder für Personen mit Beeinträchtigungen ist dann rasch nicht mehr so viel wert, andere Vorteile erst recht nicht.

Trauerspiel um E-ID

Ein besonderes Trauerspiel ist auch die Einführung der E-ID, die sich faktisch schon über mehr als zehn Jahre hinzieht. Die nun angepeilte Lösung legt die Herausgabe der digitalen Identität in die Hände derer, die mit ihr vor allem arbeiten müssen, also der Privatwirtschaft. Die Hoheit über die individuellen Daten bleibt dabei selbstredend beim Staat, die Anforderungen an den Datenschutz und an die Aufsicht sind im geplanten Gesetz entsprechend streng. Doch den Kritikern reicht dies nicht. Unter dem Eindruck von Skandalen wie demjenigen um Cambridge Analytica sehen sie trotz den klaren Vorgaben vor allem die Gefahr des Datenmissbrauchs. Wie dieser aussehen könnte, bleibt schwammig, auf eine Abwägung mit den Chancen der neuen Infrastruktur in Form der E-ID wird komplett verzichtet. Vergessen geht ebenso, dass seit der Fichenaffäre der Staat alles andere als ein Musterschüler im Umgang mit Daten ist.

Angst vor Innovation und ihren Folgen ist kein neues Phänomen. Beliebtes Beispiel ist die Angst vor dem Einfluss «hoher» Geschwindigkeiten auf den Menschen bei der Erfindung der Eisenbahn. Die Sehnsucht nach der guten alten Zeit ist bisweilen älter als die gute alte Zeit selbst. So bleiben auch die Gründe für die aktuell grassierende Technologieskepsis diffus. Die Nicht-Greifbarkeit der digitalen Welt sowie die Angst vor Kontrollverlust spielen eine grosse Rolle. Möchten wir die Prosperität der Schweiz jedoch erhalten, gilt es, den Wandel zuzulassen und ihn zu gestalten. Tun wir dies nicht, kehrt die Phase des permanenten Aufschwungs rasch ins dauerhafte Gegenteil.