Das Gesetz verlangt Ausschreibungen, wenn staatliche Behörden Monopole an Private vergeben. Noch herrscht aber zu wenig Wettbewerb. Die Teilnehmer des Anfang April abgehaltenen Workshops suchten nach Möglichkeiten, um die geltende Praxis der Ausschreibungs-verfahren zu verbessern.

Das revidierte Binnenmarktgesetz schreibt es in Artikel 2 klar vor: „Die Übertragung der Nutzung kantonaler und kommunaler Monopole auf Private hat auf dem Weg der Ausschreibung zu erfolgen“. Die tatsächliche Relevanz dieser Bestimmung sei aber sehr beschränkt, meinte Urs Meister, der Infrastruktur-Experte von Avenir Suisse, als er den Wettbewerbspolitischen Workshop eröffnete und damit die Teilnehmer in medias res führte: Das traditionelle Spezialistentreffen in der Zürcher Sihlcity setzte sich in diesem Jahr mit den Ausschreibungen auseinander: Sind sie der Schlüssel zu mehr Wettbewerb – oder nur kostspielige Pflichtübungen?

Prof. Armin Schmutzler vom Institut für Volkswirtschaftslehre an der Universität Zürich stellte in seinem Einführungsreferat die Stärken und die Schwächen des Ausschreibungswettbewerbs aus wissenschaftlicher Sicht dar. Der Ökonom erachtete es einerseits als Vorzug, dass die Firmen dank den Ausschreibungen im Allgemeinen nahe bei den tatsächlichen Kosten blieben und das kostengünstigste Unternehmen den Zuschlag erhielte. Gerade darin erkannte er aber auch ein schwerwiegendes Problem, nämlich den „Fluch des Gewinners“: Ein Sieg bei einer Ausschreibung sei nicht immer ein Signal dafür, dass der siegreiche Bieter das Angebot wirklich am Günstigsten bereitstellen könne. Er könnte sich nämlich auch – optimistischer als die Konkurrenten – schlicht und einfach verschätzt haben. Eine im Jahr 2008 publizierte Studie von Adank über die Bauaufträge im Kanton Zürich habe ergeben, dass die Bieter häufig versuchten, mit einer niedrigeren Qualität durchzukommen und auch, dass die Behörden selbst sich weitgehend auf lokale Bieter beschränkten. Oft käme es überdies zu Kollusion, also Absprachen unter den Bietern, und zu nachträglichen Transaktionskosten, weil es bei Grossprojekten nicht nur subjektive Fehleinschätzungen, sondern auch objektive Unsicherheit gäbe. Unter diesen Bedingungen könnten die Vorteile des Wettbewerbs schnell schwinden und Schmutzler meinte provokativ: „Lohnt sich also der ganze Aufwand noch?“

2011 wettbewerbspolitischer Workshop Avenir Suisse Zwald Vortrag

Ausschreibungen könnten jedoch tatsächlich zu Kosteneinsparungen oder Qualitätsverbesserungen führen, stellte der Ökonom anhand von Fallstudien weiter fest. Aber er forderte eine Weiterentwicklung des Ausschreibungswettbewerbs, eine bessere Dokumentation („Es ist sensationell, wie wenig bekannt ist, was in diesen Industrien geschieht“), kontrollierte Experimente, Methoden der Qualitätssicherung und gezielte Bekämpfung der Kollusion. Vor allem müsse aber ein echter Wettbewerb gewährleistet sein. Wenn die Behörde schon im Voraus wüsste, wer der Beste sei, sei das ganze Verfahren sinnlos.

Begriffliches Durcheinander

In der Schweiz krankt der Ausschreibungswettbewerb auch daran, dass noch völlig offen ist, wie die Begriffe in der Gesetzesbestimmung auszulegen sind: Dies stellte Thomas Zwald fest, Leiter Binnenmarkt im Sekretariat der Wettbewerbskommission (und eben zum Leiter Public Affairs beim Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen ernannt). Mangels Gerichtsurteilen seien die einzelnen Bereiche umstritten und noch nicht gesichert.

In der Frage, was ein öffentlicher Auftrag ist, setzt sich eine neue Auslegung durch. Bisher verstanden die Gerichte darunter die Beschaffung der für die staatliche Tätigkeit erforderlichen Sachmittel und Leistungen bei Privaten, mit der Bezahlung eines Preises als Gegenleistung. Dass ein öffentlicher Auftrag darüber hinausgehen kann, schrieb das Bundesgericht 2009 fest (BGE 135 II 49), als es den Fall zu beurteilen hatte, dass die Konzession für den öffentlichen Plakataushang in Genf verlangt, der Konzessionär müsse Velos zur Selbstausleihe zur Verfügung stellen. Auch dieser Veloverleih auf eigene Kosten sei eine öffentliche Beschaffung, also auszuschreiben, urteilte das höchste Gericht.

Noch nicht entschieden hat das Bundesgericht dagegen, wie die Begriffe „Monopol“ und „Private“ zu verstehen sind. Zwar hat die Weko in einem Gutachten von 2010 zur Erneuerung von Konzessionen für elektrische Verteileranlagen festgestellt, dass sie nicht nur rechtliche, sondern auch faktische Monopole als ausschreibungspflichtig sieht – diese Frage bleibt aber beim Gericht offen. Und bei den Stromverteilungs- und Wasserrechtskonzessionen will das Parlament aufgrund einer Motion von FDP-Ständerat und Axpo-Vizepräsident Pankraz Freitag die Ausschreibungspflicht ausschliessen. „Die Weko hat sich eine blutige Nase geholt“, sagte Zwald, „die Sache ist gegessen.“

Die Weko konzentriere sich nicht auf rechtsdogmatische Fragen, meinte ihr Repräsentant, sondern darauf, ob wirtschaftlicher Nutzen geschaffen werde. Das Binnenmarktgesetz biete ein grosses Potenzial für Ausschreibungswettbewerb, dessen Ausschöpfung stünden aber Hindernisse entgegen, wie fehlende Spielregeln, politische und bürokratische Widerstände, Intransparenz und Kollusion. Gefragt seien ökonomische Abstützung, politische Überzeugungsarbeit und mehr Rechtssicherheit: „Wo das Bundesgericht entscheiden kann, soll es entscheiden.“ Ebenso gefragt seien aber auch angriffslustige Bieter: „Es verirrt sich selten einer zu uns, der mehr Wettbewerb fordert.“

Dem Investitionsvolumen nicht förderlich

Weshalb die Politik die Stromwirtschaft von der Ausschreibungspflicht ausnehmen will, erklärte Michael Frank, der Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen. Es würde damit nämlich eine bewährte Praxis weitergeführt: „Die Vergangenheit lässt sich nicht auf Knopfdruck zurückstellen.“ Die Stromwirtschaft sei zu 85 Prozent in öffentlicher Hand: „Da wird der Wettbewerb bizarr.“ Bei Ausschreibungen würden bisher Preise und Kosten durch den Regulator überprüft: Aber braucht es diesen noch, wenn Wettbewerb herrscht?

Die Pflicht zur Ausschreibung, betonte Frank, stehe erstens im Widerspruch zur Verfassung, gefährde zweitens die Versorgungssicherheit und die günstige Grundversorgung, schaffe drittens Rechtsunsicherheit und schaffe damit negative Investitionsanreize, führe viertens sogar zu steigenden Preisen, da durch die Ausschreibungen Kosten entstehen, und sei deshalb unverhältnismässig: Das schlechte Kosten-Nutzen-Verhältnis rechtfertige solche Eingriffe nicht. Und nicht zuletzt bremse die Ausschreibungspflicht jeglichen Versuch, Netze zusammenzufassen: „Sie führt zu einer weiteren Zerstückelung der ohnehin sehr stark fragmentierten Netzbetreiberlandschaft in der Schweiz.“

Skeptisch in Bezug auf Sinn und Zweck der Ausschreibungen zeigte sich in der Podiumsdiskussion auch Olivier Buchs, Director Regulatory bei Sunrise: Bei den Mobilfunkanbietern scheine es angesichts des Zwangs, ein flächendeckendes Netz aufzubauen, nicht mehr als drei Player zu geben. Ausserdem könne niemand die technische Entwicklung voraussehen, also seine Einnahmen für das nächste Jahrzehnt schätzen und deshalb bei einer Auktion einen angemessenen Preis bieten.

Auch beim öffentlichen Verkehr komme der Wettbewerb überhaupt nicht voran, stellt Dominique Reber fest, der Leiter Infrastruktur, Energie & Umwelt bei Economiesuisse. In der direkten Demokratie mit ihrer extremen Skepsis gegenüber wettbewerblichen Entwicklungen stehe immer die Versorgungssicherheit zuoberst. Gerade da könnte der Wettbewerb aber viel bringen. Deshalb setzt sich Economiesuisse für das private Projekt einer zweiten Gotthardröhre ein: „Wir wollen Akzeptanz schaffen für eine offenere Art, mit der Infrastruktur umzugehen.”