Am diesjährigen Armutsforum der Caritas  Zürich wurde nach Wegen gesucht, wie das politische Lobbying der Hilfswerke und gemeinnützigen Organisationen zugunsten der ärmsten Bevölkerungsschicht zu verbessern wäre. Die Tagung war speziell der Wohnsituation der Armutsbetroffenen gewidmet. Gemäss den sozialen Institutionen ist die Lage auf dem Wohnungsmarkt für diese Gruppe zunehmend schwieriger geworden, die Wohnverhältnisse prekärer. Darum mehrten sich die Anfragen für Notwohnungen, Wohnhilfen, Bürgschaften und andere Unterstützungen. Hinzu komme, dass die Armutsdiskussion in den letzten Jahren der Sorge um den Mittelstand gewichen sei. Wirklich kritische Lebensumstände würden darum eher verdrängt.

Konstanter Armuts-Anteil

Armut existiert leider auch in der reichen Schweiz. Glücklicherweise ist die Wohlstands-Schere in den letzten Jahren nicht weiter aufgegangen. Gemäss den Zahlen der Haushaltsbudgeterhebung (HABE) des Bundesamtes für Statistik hat sich der Einkommensanteil der Bezüger tiefer Einkommen in den letzten 10 Jahren nicht wesentlich verändert. Das unterste Quintil (die 20% einkommensschwächsten Haushalte) der Einkommensverteilung hatte 2008 9,5% des gesamten verfügbaren Einkommens der Haushalte zur Verfügung. Im Jahr 2000 lag dieser Wert bei 9,6%, zwischen 2000 und 2008 war der Anteil leicht höher, aber nie über 10%. Da das verfügbare Einkommen  in dieser Zeitperiode massiv anstieg, konnten sich auch die einkommensschwachen Haushalte absolut verbessern.

Vor allem in den grossen Städten dürfte sich die Lage der ärmsten Haushalte tatsächlich angespannt  haben. Unter allen Anspruchsgruppen an den städtischen Wohnraum haben sie naturgemäss die schlechtesten Karten. Aber gerade die Stadt Zürich befindet sich eigentlich in einer komfortablen Situation. Rund ein Viertel des Wohnungsbestandes kann dem gemeinnützigen Segment zugerechnet werden. Davon sind 20% Genossenschaftswohnungen, 5% der Objekte gehören der Stadt oder gemeinnützigen Institutionen. Im Vergleich mit ähnlichen Städten ist dies ein extrem hoher Wert. Man würde also meinen, dass dieser Bestand genügend Spielraum bietet, um dauerhaft von Armut betroffenen Menschen ein bezahlbares Obdach zu bieten.

Auch bei Gutverdienenden beliebt

Doch die Genossenschaften möchten sich in eine andere Richtung entwickeln: erklärtes Ziel ist die weitere Öffnung hin zum breiten Mittelstand. In Sinne der angestrebten Durchmischung möchte man ein Abbild der mittelständischen Stadtbevölkerung im Kleinen sein. Zwar leben durchaus auch Bedürftige in ihren Wohnungen, doch gerade die ärmsten Haushalte sind schon heute untervertreten. Die Bevölkerungsbefragung 2011 zeigt, dass 21% der Haushalte mit einem Jahreseinkommen unter 30‘000 Fr. Genossenschaftsmieter sind, bei den nächst höheren Einkommensklassen bis 90‘000 Fr. sind es hingegen über 30%. Bemerkenswert ist der Befund, dass es ebenso Genossenschaftsmieter mit klar überdurchschnittlichen Einkommen gibt. Im Einkommenssegment von 150‘000 Fr. bis 200‘000 Fr. – also an der Grenze zur Oberschicht – leben immerhin noch 12% in Genossenschaftswohnungen.

Dies wirft Gerechtigkeitsfragen auf. Erstens: Warum sollen der Mittelstand, aber nicht die wirklich Bedürftigen in den Genuss von sehr günstigem Wohnraum kommen? Zweitens: Nach welchen Kriterien werden diese Privilegien innerhalb der Mittelschicht verteilt? Und drittens: Wo liegt die verbindliche Einkommensgrenze?

Das Lobbying zugunsten der Ärmsten müsste also auch bei Wohnbaugenossenschaften ansetzen.