«Grenzgänger!» – besonders im Kanton Genf rufen wohl nur wenige Wörter mehr Ressentiments hervor, als die offizielle Beschreibung von Personen mit Wohnsitz im Ausland, die in der Schweiz einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Thematik bestimmt die politische Agenda der Rhonestadt schon seit einigen Jahren, und der Aufstieg der politischen Bewegung «Mouvement Citoyens Genevois» (MCG) wird zu einem erheblichen Teil diesem Phänomen zugeschrieben. Ähnlich wie im Kanton Tessin hat dies dazu geführt, dass politische Bestrebungen für zusätzliche Hürden, um Grenzgänger anzustellen, oft von Erfolg gekrönt sind. Besonders bekannt ist der sogenannte «préférence cantonale», eine Art Inländervorrang für offene Stellen bei der kantonalen Verwaltung. Dies notabene lange bevor das Prinzip im Zuge der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative schweizweit politisch mehrheitsfähig wurde.
Wichtige Rolle am Genfer Arbeitsmarkt, geringe im Kanton Waadt
Zahlenmässig ist die Bedeutung der Grenzgänger zweifellos beachtlich. Zwar pendeln schweizweit mit 312 809 Personen bloss etwa 6,8% der Erwerbstätigen über die Landesgrenze (Stand 2017), doch ihre Präsenz ist regional stark konzentriert: Auf die Kantone Genf, Basel (Stadt und Land) sowie das Tessin entfallen rund zwei Drittel aller Grenzgänger. Im zum Kanton Waadt gehörenden Teil des Arc lémanique spielen sie – trotz zunehmenden Pendelströmen über den Genfersee – eine viel kleinere Rolle (aktuell ca. 7,3% der Erwerbstätigen). Im Kanton Genf stellen die Grenzgänger hingegen über einen Drittel der Erwerbstätigen. Der Anteil hat in den letzten rund 15 Jahren stark zugenommen (vgl. Abbildung). Es ist wenig verwunderlich, dass ein solcher Anstieg die Angst vor der Verdrängung einheimischer Erwerbstätiger oder vor Lohndruck schürt.
Doch sind diese Befürchtungen berechtigt? Tatsächlich ist die Arbeitslosenquote im Kanton Genf im Vergleich zum Rest der Schweiz seit jeher überdurchschnittlich hoch, wie die Abbildung zeigt. Sie pendelt seit 2002 (dem Inkrafttreten der Bilateralen I) zwischen 5% und etwas mehr als 7% und entwickelt sich, je nach Konjunkturlage, parallel zum gesamtschweizerischen Durchschnitt.
Im selben Zeitraum hat sich der Anteil der Grenzgänger an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen aber mehr als verdoppelt. Arbeitslosigkeit ist in Genf zweifelsohne ein virulentes Problem, doch eine Inzidenz für einen Zusammenhang mit der Zunahme der Grenzgänger lässt sich trotzdem nicht ausmachen.
Kein Lohndruck im Kanton Genf
Auch die Lohnstatistik zeigt keinen Einfluss durch die wachsende Anzahl der Grenzgänger. Die verfügbaren Daten für die Jahre zwischen 2008 und 2014 sind eindrücklich: Schweizerinnen und Schweizer verdienen im Kanton Genf in allen Jahren im Mittel rund 20% mehr als ihre Grenzgänger-Kolleginnen und -Kollegen. Während die Lohnentwicklung der in der Romandie Ansässigen konstant und etwa im Rahmen der schweizweiten Entwicklung nach oben zeigte, mussten die Grenzgänger jüngst mit wesentlich tieferen Entgelten für ihre Arbeit auskommen. Der Vergleich mit dem Schweizer Medianlohn illustriert darüber hinaus, dass mit der Anstellung von Grenzgängern in der Region Genf kein Lohndruck verbunden war: «Win win» für alle, sozusagen.
Dieser Beitrag wurde erstmals in der Publikation «Einzigartige Dynamik des Arc lémanique» publiziert.