Wer denkt, Zürich und Basel seien alleine die unbestrittenen Wirtschaftsmotoren der Schweiz, der sollte einen Blick über den Röstigraben werfen. Am Arc lémanique ist in den letzten zwei Jahrzehnten eine starke Dynamik entstanden, in wirtschaftlicher wie in gesellschaftlicher Hinsicht.

  • Eindrücklich entwickelt haben sich zum Beispiel die Hochschulen der Region. Die Universitäten Genf, Lausanne sowie die EPFL versammeln 28% aller Schweizer Studentinnen und Studenten unter ihrem Dach. Sie ziehen aber überdurchschnittlich viele Ressourcen an: 34% aller Drittmittel für die Forschung flossen seit 2010 zum Arc lémanique – und 43% aller EU-Fördermittel. International besonders attraktiv ist die EPFL, wo rund 50% der Studierenden eine ausländische Vorbildung haben (zum Vergleich, ETH 33%).
  • Ein weiteres Indiz für die Wirtschaftsdynamik sind die Start-up-Finanzierungen. Zwischen 2013 und 2017 wurde die Hälfte des in der Schweiz erfassten Wagniskapitals in der Genferseeregion platziert, verglichen mit einem Viertel im Grossraum Zürich. Zur wirtschaftlichen Entwicklung tragen neben namhaften Organisationen wie das Cern, das Wyss Center oder der Campus Biotech auch die zahlreichen multinationalen Unternehmen, zum Beispiel im Pharmasektor bei, in deren Umkreis sich viele kleine Unternehmen etablieren konnten.
  • Wenig in der Öffentlichkeit bekannt ist zudem, dass Genf nicht nur Heimat vieler internationaler Organisationen ist, sondern auch ein führender Standort im internationalen Rohstoffhandel. Fünf der zehn umsatzstärksten Unternehmen der Schweiz haben hier ihren Sitz und stammen aus dieser Branche. In der Region wird rund die Hälfte des weltweiten Kaffee- und Zuckerhandels und ein Drittel des Handels mit Erdöl, Getreide und Ölsaaten abgewickelt.
  • Nicht zuletzt spiegelt sich die Agilität der Region in den schönen Künsten. Von 200 Musikfestivals in der Schweiz finden mehr als 30% an den Ufern des Genfersees statt. Da Festivals in der Schweiz vor allem eigenfinanziert sind, zeigt dies auch die Dynamik und private Initiativkraft der Region auf.
  • In Sachen direkter Demokratie und Einbezug der lokalen Bevölkerung ist die Region voraus: Auf Gemeindeebene dürfen die Ausländer wählen und abstimmen, manchenorts sind sie selbst sogar wählbar.

Über all diesen Erfolgen dürfen die bestehenden Probleme nicht ignoriert werden.

  • Die steuerliche Ausschöpfungsquote in der Region ist die höchste der Schweiz. Während sie aber im Kanton Waadt für den Abbau der Schulden eingesetzt wurde, trägt der Kanton Genf weiterhin Schulden von ca. 37 000 Fr. pro Einwohner. In Basel-Stadt, dem am zweitstärksten belasteten Kanton, liegen die Verbindlichkeiten pro Einwohner um 10 000 Fr. tiefer. Auch der Deckungsgrad der kantonalen Pensionskassen ist mit 61% (GE) und 73% (VD) tief, was eine implizite Schuld für künftige Generationen darstellt.
  • Notorische Engpässe gibt es auch auf dem Immobilienmarkt und in der Verkehrspolitik. In beiden Bereichen können nur liberale Therapieansätze zur nachhaltigen Besserung beitragen.

Das neue «avenir spezial» ermöglicht in staatspolitischer Hinsicht eine klare Schlussfolgerung: Der Schweizer Föderalismus ist ein äusserst erfolgreiches Lernlabor für den Wettbewerb der besten Ideen, in dem alle Beteiligten von den unterschiedlichen Erfahrungen profitieren können. Auch der Genferseebogen bietet den Eidgenossen «jenseits des Röstigrabens» Stoff für Inspiration.