Die individuellen finanziellen Bedürfnisse und die Sparmöglichkeiten schwanken während des Erwerbslebens stark. Die eigene Aus- und Weiterbildung, Scheidungen, Familienneugründungen und die Investitionen in die Betreuung und Ausbildung der Kinder lösen in gewissen Lebensphasen einen hohen Mittelbedarf aus. Ihm kann das die zweite Säule kennzeichnende Zwangssparen in die Quere kommen.
Mit einer für die Arbeitnehmer freiwilligen überobligatorischen Vorsorge könnte ein zwischenzeitlich hoher Kapitalbedarf leichter gedeckt werden. Die Einschränkung auf das Überobligatorium dient dazu, Fehlanreize zu vermeiden: Versicherte sollen also nicht dazu verleitet werden, zu geringe Beitragsleistungen zu erbringen und den laufenden Konsum zu Lasten der Ersparnisse zu stark zu bevorzugen. Das Ziel der Altersvorsorge darf nicht gefährdet werden.
Das Überobligatorium dem eigenen Lebensrhythmus anpassen
Gemäss Bundesverfassung und Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) sollen die Leistungen der ersten und zweiten Säule die «Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise» erlauben. Diese generelle Vorgabe wird so interpretiert, dass bei voller Versicherungsdauer mit den Leistungen der AHV und der obligatorischen beruflichen Vorsorge rund 60% des letzten obligatorisch versicherten Jahreseinkommens vor der Pensionierung erreicht werden sollen. Im Allgemeinen wird dieses Ziel heute erreicht und die finanzielle Situation der Rentnerhaushalte ist befriedigend. Der Forderung nach besserer Berücksichtigung der individuellen Biografien kann deshalb Folge geleistet werden.
Das Überobligatorium ist mit einem Anteil von 57% am Kapitalstock der beruflichen Vorsorge ein wichtiger Bestandteil der zweiten Säule. Hier ist die Gestaltungsfreiheit bei der Wahl des Vorsorgeplans oder der Anlagestrategie bereits heute grösser als in der obligatorischen Vorsorge – wenn auch unter restriktiven Voraussetzungen.
Bei einer höheren Flexibilität könnte der Arbeitnehmer etwa jedes Jahr neu entscheiden, ob und wie viel er aus seinem überobligatorischen Sparbeitrag in die berufliche Vorsorge investieren will. Investiert er ihn nicht in die Vorsorge, entsteht für ihn eine Einkaufsmöglichkeit (siehe Abbildung). Damit ergibt sich für ihn ein Anreiz, trotz kurzfristiger Konsumpräferenz langfristig in die eigene Vorsorge zu investieren. Der Vorsorgegedanke bleibt bei dieser Lösung erhalten, und gleichzeitig wird dem Wunsch nach grösserer Eigenverantwortung der Versicherten Rechnung getragen.
Wichtige Rolle der Arbeitgeber
Unabhängig von diesem individuellen Entscheid des Arbeitnehmers zahlt der Arbeitgeber jedes Jahr gleich hohe Lohnbeiträge. Deren Höhe ist von personalpolitischen und steuerlichen Überlegungen abhängig. Das Engagement der Arbeitgeber ist deshalb wichtig, weil es einen überobligatorischen Vorsorgeplan, an dem sich die Arbeitnehmer freiwillig beteiligen können, erst möglich macht. Es stärkt aber auch den Ruf als attraktives Unternehmen und verbessert bei angespannten Arbeitsmärkten die Chancen für die Rekrutierung qualifizierter Arbeitskräfte. Die Rolle der Unternehmen in der zweiten Säule wird durch ein flexibleres Vorsorgesparen nicht marginalisiert.
Lesen Sie kommende Woche über den Deckungsgrad öffentlich-rechtlicher Pensionskassen.
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Mehr Informationen zum Thema finden Sie in dem kürzlich bei NZZ Libro erschienenen Buch «Verjüngungskur für die Altersvorsorge».